Cultura | Salto Afternoon

Ni una mas

Eine neue feministische Bewegung erobert die Welt. Über die Entwicklung der italienischen Fraktion „Non una di meno“.
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Foto: Quelle: Pardeller

Am Vorabend zum Tag der Frau 2017 serviert SALTO AFTERNOON einen Gastbeitrag von Marlene Pardeller:

 

Die letzte große Bewegung, die in Italien hauptsächlich von Frauen getragen war, war Se non ora, quando? (SNOQ), die sich am 13. Februar 2011 formierte, um sich gegen die sogenannte BungaBunga-Politik des damaligen Regierungschefs Silvio Berlusconis zu wenden. Der Name wird einem Roman Primo Levis entlehnt – unheimlich mutet die Identifizierung einer ganzen Bewegung mit den Zuständen für Juden und Jüdinnen während des Zweiten Weltkriegs an. Concita de Gregorio, Journalistin der L'Unitá, verbreitet eine Online-Petition, die sich gegen die italienische Politik wendet, gegen eine Kultur, die Frauen nicht respektiert. Diese wurde von 40.000 unterschrieben, Demonstrationen folgten, an denen einige Hunderttausend teilnahmen.

Doch es schien, dass außer der moralischen Empörung die aufgestandenen Frauen nicht viel verband, der politische Impetus konnte nicht gebündelt werden. Zeitgleich fanden zweimal die feminist blog camps (2011 in Turin; 2012 in Livorno) statt. Während SNOQ sich hauptsächlich aus Frauen ab 40 formierte, die in Italien wohnten, waren beim „feminist blog camp“ auch Frauen ab 18 aus ganz Italien vertreten, sowie auch die, die beschlossen hatten, Italien zu verlassen weil sie sich dort keine Zukunft vorstellen konnten. Der Wunsch war, dass sich ein Wochenende lang die Anwesenden austauschen. Es wurden Postpornographie und neue Performance-Möglichkeiten inszeniert, philosophische und politische Konzepte von imaginierter Weiblichkeit diskutiert, über Webspaces sowie Gesetzeslage und Status Quo des Erziehungssystems gesprochen. Die Anwältin und CEDAW-Mitglied Barbara Spinelli hatte die schlimmsten Nachrichten mitgebracht. Sie berichtete von der hohen Frauenmordrate in Italien (im Schnitt werden etwa 10 Frauen pro Monat ermordet) und der häufigen Straflosigkeit der Verbrechen.
Weit davon entfernt, Delikte der Mafia oder des marginalisierten Südens Italiens zu sein, waren und sind die höchsten Zahlen in der Lombardei und im Veneto verortbar.

Das Resultat dieser beiden sehr unterschiedlichen Formierungen war, dass die Frauen damit den Grundstein der breiten nationalen Vernetzung legten. Dieser seit 2011 kontinuierlich stattfindende Austausch ermöglichte es schließlich, dass sich Gewalt an Frauen, deren Gipfel Mord (genannt femminicidio) und deren Vorboten häusliche Gewalt sind, als der gemeinsame Nenner für die sich neu formierende Bewegung Non una di meno herausbildete. Damit schließt sich Italien einer weltweiten Bewegung von Unten an, die ihren Ausgang in Argentinien unter dem Namen Ni una menos fand und eine Vernetzung der Frauen ganz Lateinamerikas ermöglichte im Kampf gegen die Tabuisierung und weitestgehend straflosen Gewaltausübung bis hin zur Ermordung von Frauen und der Erarbeitung systematischer gesamtgesellschaftlicher Umwälzungsprogramme.
Die Austauschbarkeit der Toten und Gewalt Erfahrenden birgt den Kern des Problems. Simone de Beauvoir schrieb 1949 in Das andere Geschlecht: „Man wird nicht als Frau geboren sondern zu einer gemacht“ - objektiviert, ohne Selbstbestimmung und Unabhängigkeit; die Ermordung ist in unserer Gesellschaft der höchste Ausdruck davon, Frau geworden zu sein.
Gegen diese Kultur wendet sich die weltweite Bewegung „Ni una mas“ („Non una di meno“, „Keine mehr“). Der Auftakt in Italien war am 25. November 2016 in Rom, am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Dieser wurde für ein nationales feministisches Treffen genutzt. Die Demonstration war mit 200.000 Teilnehmerinnen eine der Größten seit den 70er Jahren. Anschließend wurden zweitägige Arbeitstische eingerichtet, in welchen in den Sektionen Erziehung, Gesundheit, Arbeit, Recht und Medien sowie Kunst und Kultur systematisch gegen die in ihnen staatlich unterstützte Gewalt gegengearbeitet wird. Ein weiterer Schritt dahin war die nationale Versammlung am 4. und 5. Februar 2017 in Bologna.
Die feministische Revision der existierenden politischen Realität wird der italienischen Regierung nach ihrer Ausarbeitung vorgelegt, das nächste nationale Treffen findet wieder in Rom Ende März 2017 statt.

Bei der Versammlung in Bologna wurden auch die acht Punkte für den 8. März erarbeitet, an welchem der internationale Frauenstreik ausgerufen ist: Ausgehend von Lateinamerika haben sich die Frauen aus Polen und Italien angeschlossen, mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten sind nun auch die US-amerikanischen Frauen dabei, insgesamt sind es Frauen in mehr als 40 Ländern, die zum größte internationalen Streik wohl seit der ersten internationalen Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung 1905 mobilisieren.

Die acht Punkte für den 8. März sind:

La risposta alla violenza è l’autonomia delle donne
Die Frauenhäuser sollen weiterhin autonom verwaltbar sein und genug Geld dafür zur Verfügung haben.

Senza effettività dei diritti non c’è giustizia né libertà per le donne
Die Istanbuler Convention gegen jegliche Form von Gewalt, psychologisch, physisch, durch das Arbeitsrecht, muss voll implementiert und angewandt werden.

Sui nostri corpi, sulla nostra salute e sul nostro piacere decidiamo noi
Für eine freie, sichere, kostenlose Abtreibung und für die volle Zugänglichkeit von Ru-486. Gegen die gesellschaftlichen Stigmatisierungen von Abtreibenden.

Se le nostre vite non valgono, scioperiamo!
Für ein selbstbestimmtes Leben ohne prekäre Zustände, für die Einführung eines europäischen Mindestlohns, eine Krankenversicherung für alle, die auch die spezifischen Notwendigkeiten von Frauen berücksichtigt und abdeckt.

Vogliamo essere libere di muoverci e di restare. Contro ogni frontiera: permesso, asilo, diritti, cittadinanza e ius soli
Gegen die Gewalt der nationalen Grenzen, gegen die Auffanglager und Deportationen, gegen den institutionellen Rassismus.

Vogliamo distruggere la cultura della violenza attraverso la formazione
Vom Kindergarten bis in die Universität muss die Erziehung zu den Unterschieden implementiert werden um spezifischer Gender-Gewalt vorzubeugen. Nicht eine allgemeine Gleichstellungspolitik sondern ein Wissen um Machtverhältnisse und Stereotypisierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Gegen das Gesetz 107, das eine Erziehung zur Mündigkeit verunmöglicht.

Vogliamo fare spazio ai femminismi
Gewalt und Sexismus sind strukturelle Elemente der Gesellschaft, Feminismus sollte kein Spezialgebiet, sondern ein allgemeines Instrument zum Verständnis der Gesellschaft werden.

Rifiutiamo i linguaggi sessisti e misogini
Gegen das misogyne, homosexuellenfeindliche Bild, das von den Medien durch Sterotypisierung der weiblichen Körper verbreitet wird.

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gorgias Mar, 03/07/2017 - 19:28

Was für ein Blödsinn. Männer sind viel öfter Opfer von Gewalt als Frau und zwar schon vor dem ersten Lebensjahr.
Söhne werden von Mütter öfter geschlagen als Töchter. Wer redet davon?

https://www.youtube.com/watch?v=XaWs_aD28TQ

http://www.telegraph.co.uk/men/thinking-man/11871765/We-need-a-new-stra…

Jede achte Frau erkrankt an Brustkrebs, aber jeder sechste Mann an Prostatakrebs.
Warum wird nicht mehr in die Forschung gegen Prostatakrebs investiert?
Weltweit ist die Forschung gegen Brustkrebs doppelt so hoch wie jene gegen Prostatakrebs obwohl in absoluten Zahlen mehr Menschen an Prostatakrebs erkranken?

Frauen erhalten die geringeren Strafen für die selben Straftaten wie Männer. Das ist Diskriminierung vor dem Gesetz.

Mar, 03/07/2017 - 19:28 Collegamento permanente