Cultura | Salto Afternoon

Kritik in 3 Plattitüden

In Slowenien preisgekrönt erscheint nun im Folio Verlag die deutsche Übersetzung des literarischen Debüts von Ana Schnabl. Ein Erzählband, der es in sich hat
Ana Schnabl
Foto: Matej Pušnik

„Das müssten sie irgendwie anders regeln.“ So beginnt „Trittico“, die erste von zehn Erzählungen, im literarischen Debüt „Grün wie ich dich liebe grün“ der Slowenin Ana Schnabl. Und so beginnt in Ermangelung besserer Ideen auch dieser Text, denn in Zeiten häuslicher Isolation drehen sich die Gedanken oft im Kreis und die großen kreativen Ergüsse wollen partout nicht aus dem labbrigen Hirn herausfließen. „Buch gelesen, Buch für gut befunden“ – mehr geben die zerebralen Windungen auch nach einem kurzen Auslauf auf den Balkon nicht her. Jede mögliche Äußerung zum Buch endet in einer Sackgasse voller feuilletonistischer Plattitüden.

 

Plattitüde Nr. 1: Die Autorin ist eine feine Psychologin.
In Schnabls Erzählungen ist vieles kaputt. Zwischenmenschliche Beziehungen aller Art, menschliche Psychen, Lebensentwürfe. Mit großer Zärtlichkeit taucht sie ein in die Welten ihrer Figuren, angefangen bei der psychisch Kranken, für die die Warteschlange in der Apotheke ein nervlicher Marathon ist, bei dem der Schweiß in Strömen fließt, bis hin zur neidischen Jugendlichen, die ihrer schönen und beliebten Zwillingsschwester tatenlos dabei zusieht, wie diese sich selbst auflöst. Das mag klingen wie ein Trauerspiel an kaputten Figuren, tatsächlich aber bietet die Autorin das eine oder andere angedeutete Happyend an, und wer bei ihrer unglaublich präzisen Studie einer maroden Familie beim Restaurantbesuch oder bei den Ausschweifungen eines neurotischen Cannabissüchtigen nicht schmunzeln muss, dem/der ist auch nicht zu helfen. Wobei wir bei der nächsten Plattitüde wären.

Plattitüde Nr. 2: Die Autorin beherrscht alle Tonalitäten.
Ein Merkmal vieler lesenswerter Debüts ist es, dass sie zwar stilistisch gut sind, das Niveau, das sie sich gesetzt haben, und den Ton jedoch nicht durchgehend halten können. Einen Vorwurf, den man Schnabl nicht machen kann. Mit wenigen Sätzen schlägt sie in jeder Erzählung einen neuen Ton an und gibt damit jeder Figur und jeder Geschichte eine ganz eigene Färbung, die sie auch bravourös bis zum Ende durchzieht. Da ist die liebevolle Melancholie, die einen der Protagonisten und seine alte Mutter beim Eis essen am Meer begleitet, da ist die selbstbewusste Erotik, die in der Luft liegt, als eine Mitarbeiterin auf der Firmenweihnachtsfeier auf einen Mann mit gefährlich grünen Augen (daher der Titel) trifft. Da sind die großartig umständlichen Endlossätze des obengenannten neurotischen – und durchaus selbstironischen – Cannabissüchtigen, einen zu zitieren sei an dieser Stelle trotz Länge erlaubt: „Ich weiß nicht, welchen Sinn es hätte, die altbewährte Taktik der Selbstbezichtigung bis ins Detail darzulegen, vermutlich wissen Sie, worauf ich hinauswill, denn es gibt keinen Menschen auf dem Planeten, der nicht irgendwann Veränderungen geplant und zugleich zu Gott gebetet hätte, dass sich absolut nichts ändern möge, denn es gibt keinen Menschen auf dem Planeten, der nicht wüsste, dass der Übergang zwischen alter Komfortzone und neuer Komfortzone über den Höllenspalt des Verderbens führt, aus dem Schwefel und Unheil wabern.“ Und damit weiter zur letzten Plattitüde.

Plattitüde Nr. 3: Die Autorin legt ein vielversprechendes Debüt vor.
Die Erzählungen sind einzeln stark, sie überzeugen als Gesamtkonzept, man kann sie in einem Zug verschlingen oder für lange Abende rationieren, oder aber beides in dieser Reihenfolge – die Vielseitigkeit lässt es zu. Auch wenn Ana Schnabl sich in diesem ersten Erzählband besonders als Meisterin der bezaubernden Schlüsse erweist, lässt sich nur hoffen, dass „Grün wie ich dich liebe Grün“ erst der Anfang gewesen ist.