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Beim Fernsehen zusammenrücken

Warum wir ein europaweites ARTE brauchen.
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Foto: arte
Vergangenen Sommer habe ich zwei Monate in Südfrankreich verbracht. Zwischen Weinbergen und der Mittelmeerküste wollte ich mein Französisch verbessern. Um Geld zu sparen und die Kultur kennenzulernen, lebte ich auf Bauernhöfen, wo ich gegen Kost und Logis halbtags arbeitete.  So erntete ich am Rande eines malerischen südfranzösischen Städtchens wochenlang Knoblauch. Manchmal fühlte ich mich etwas fremd. Etwa, wenn beim Mittagessen die Kartoffeln nicht als Beilage zum Fisch gereicht wurden, sondern für sich, als einzelner Gang irgendwann vorher oder nachher. Oder wenn mir die sechsjährige Tochter Rose von der Ganztagsschule erzählte.
 

Europa fehlt die gemeinsame Öffentlichkeit

Was wir über die EU wissen, kommt oft von PolitikerInnen, die aus Brüssel in ihr Heimatland zurückkommen und ihre eigene Heldengeschichte erzählen. Zum Beispiel wie sie höhere Staatsausgaben erkämpft haben. Oder dass ihre scheinbar genialen Ideen für mehr Gerechtigkeit in der Agrarpolitik leider gescheitert sind, wegen der EU.
Auch JournalistInnen, die über EU-Politik berichten, fokussieren sich auf das, was in ihrem Heimatland am wichtigsten ist. In der Migrationsdebatte geht es dann für Italiener um die Boote vor Lampedusa, für Österreicher um die Balkanroute und für die Deutschen darum, wie viel mehr Menschen ihr Land im Vergleich zu anderen aufnimmt.
Das ist nachvollziehbar und doch ein Problem. Denn ohne gemeinsame Öffentlichkeit fehlt der Austausch zwischen den Ländern. Echte Europapolitik bräuchte Europapolitiker, die auf EU-weiten Listen antreten. Listen mit einem gemeinsamen Programm, die es Spaniern ermöglichen würden, Griechen zu wählen, oder Polen, wenn ihnen deren Politik zusagt. Aber wie sollten sich heute solche Listen bilden?
 
 
Fremd fühlte ich mich, wenn im Fernsehen von Überschwemmungen an Orten die Rede war, die ich nicht kannte, und von Debatten, von denen ich nichts wusste. Zum Beispiel, dass Macron Tempolimit 80 auf den Landstraßen einführen wollte, und damit die Einwohner der Provinz gegen sich aufbrachte. Wenn mir Freunde und Familie aus Südtirol erzählten, dass in Italien gerade großes Thema sei, wie die französische Grenzpolizei mit Geflüchteten umgehe und wir in Frankreich davon nichts mitbekommen hatten.
 
Für echte Europapolitik braucht es eine gemeinsame Öffentlichkeit. Dass die fehlt, merkt man an Schulterschlüssen wie etwa dem zwischen AfD und Lega. Diese Parteien eint die Rhetorik und Stimmungsmache gegen MigrantInnen. Aber sollte es irgendwann um Realpolitik gehen, um den Umgang mit Staatsschulden in Südeuropa zum Beispiel, sind Konflikte vorprogrammiert (siehe dazu diese Analyse auf Perspective Daily). Solange die Wähler nach Nation getrennt Medien konsumieren, wird das aber so schnell keinem auffallen.
 

Darum: Lasst uns zusammen fernsehen!

 
Fernsehen ist immer noch das meistgenutzte Medium in Europa.
Deshalb sollte hier die europäische Öffentlichkeit entstehen. Nicht als Europamagazin an schlechten Sendezeiten auf dem dritten Kanal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Sondern als eigener Kanal mit Elefantenrunden, in denen sich EU-Spitzenpolitiker streiten, in EU-Sprachen übersetzt, synchronisiert oder zumindest untertitelt. Mit Nachrichtensendungen, für die internationale Journalistenteams das Wichtigste aus Europa und der Welt zusammentragen. Mit Reportagen aus allen Ecken und Winkeln des Kontinents, die Gemeinsamkeiten und Einzigartiges aufzeigen. Und mit Spielfilmen und Dokumentationen. Deren Produktion könnte so ein EU-Sender mitfinanzieren.
 
 
Vor allem das Fernsehen ließ mich manchmal fremd fühlen. Außer, wenn die französische Großmutter in meiner Gastfamilie arte einmachte. Dann sahen wir dieselben Dokus, die ich aus meiner Heimat kannte. Und ich merkte es diesen Dokus an, dass sie weniger an den Ton und die Sehgewohnheiten eines einzigen Landes angepasst waren. Stattdessen hatten sie ihre ganz eigene Ästhetik.
 

L'Elite für alle

 
Arte ist die Abkürzung für „Association Relative à la Télévision Européenne“, übersetzt in etwa „Zusammenschluss für das europäische Fernsehen“. Der Anspruch ist also da. Nur müssten noch die restlichen 25/26 Länder ins Boot geholt werden, für ein Arte Europe. Ein solcher Sender ist bezahlbar: Artes jährliche Ausgaben entsprechen ca. 0,08 % des EU-Budgets.
 
Und ein solcher Sender kann viel wert sein: Eine Absicherung, wenn in Mitgliedsstaaten die Medien beschnitten werden, wie in Polen, oder einseitig dominiert, wie in Berlusconis Italien. (Die Idee hat der EU-Parlamentarier Jakob von Weizsäcker (SPD) schon vor einiger Zeit gegenüber dem Spiegel geäußert)
 
 
Und ja, arte hat den Ruf eines Elitenprogramms. Aber was spricht dagegen, sich auf einem südfranzösischen Knoblauchbauernhof elitär fühlen zu können? Mit der Großmutter des Knoblauchbauernhofs sah ich mir Dokumentationen über ABBA und andere Bands von früher an, und sie erzählte mir von der alten Zeit. Wir sahen einen Film über Mozarts Leben, und ich erzählte davon, wie ich im Chor in Wien das Requiem gesungen hatte.
Und was erst, wenn es eine Nachrichtensendung gegeben hätte, für die heute Tempo 80 eine Rolle gespielt hätte, und morgen die Flüchtlingskrise zwischen Italien und Frankreich, und übermorgen die Vorstellung der ersten KandidatInnen für die EU-weiten Listen der kommenden Wahlen! Debatten würden nicht mehr an den Staatsgrenzen enden. Und wir EuropäerInnen würden mehr mit- statt übereinander sprechen.