Società | Mehrsprachigkeit

Ladinische Kindergärten als Vorbild

Das Projekt MELA präsentierte am Mittwoch seine Forschungsergebnisse zur Sprachentwicklung ladinischer Kinder in mehrsprachigen Kindergärten.
Projektvorstellung MELA
Foto: Julia T.

Wenn ein Ladiner aus Gröden nach Bozen kommt, ist er meist schockiert über die sprachliche Segregation, die er vorfindet. Aus dem Grödnertal ist man sowas nicht gewohnt, die Kindergärten sind dreisprachig ausgelegt, in der Bar hört man bunt durchmischte Stimmen, die „Guten Morgen,“ „un cafè per favore,“ und „se udon duman,“ rufen. Im restlichen Südtirol hinkt man dieser Entwicklung noch hinterher, zu groß ist die Angst, etwas von der eignen Muttersprache einzubüßen. Das Land fördert daher immer mal wieder Studien, die nachweisen sollen, wie sich mehrsprachige Bildung von Kindern und Jugendlichen auf deren Entwicklung und Sprachkompetenzen auswirkt. „Wir wollen fundierte fachliche Ergebnisse, anhand derer wir Entscheidungen treffen. Wir wollen keine Sprachpolitik vom Bauch heraus machen“, so begründet Bildungslandesrat Daniel Alfreider eine Studie, die kürzlich zum Thema Mehrsprachigkeit durchgeführt wurde.

 

Wir wollen fundierte fachliche Ergebnisse, anhand derer wir Entscheidungen treffen. Wir wollen keine Sprachpolitik vom Bauch heraus machen

 

Das Forschungsprojekt MELAMehrsprachig Ladinisch präsentierte am heutigen Mittwoch seine Ergebnisse. Das Besondere an der Forschung war der ganzheitliche Sprachansatz, erklärt die Leiterin des Projekts Ulrike Jessner-Schmid: „Wir näherten uns nicht wie üblich, monolinguistisch an die einzelnen Sprachen, sondern untersuchten die Mehrsprachigkeit als Gesamtes. Die einzelnen Sprachsysteme von mehrsprachigen Kindern stehen nämlich in ständiger Interaktion und bilden keine getrennten Einheiten“. Und wer kennt es nicht, man will etwas sagen, fängt auf deutsch an, findet in der kognitiven Schublade kein passendes Wort und greift deshalb auf das Reservewort im Deutschen oder Italienischen zurück. Codeswitching nennt man diese Fähigkeit, die in Südtirol oftmals als Handicap, statt als Vorteil gesehen wird. „Dies ist aber eine natürliche Eigenschaft von Mehrsprachigen Menschen und sollte als positiv aufgefasst werden“, so die Sprachwissenschaftlerin der Universität Innsbruck Jessner-Schmid.

Auch Landesrat Alfreider spricht sich dafür aus, keine Perfektion zu erwarten, dies hemme nur den Sprachgebraucht junger Menschen: „Wir sollten unsere kleinen Fehler als Chance sehen, statt als Gefahr und uns bei der Mehrsprachigkeit nicht auf diese zu fokussieren, sondern auf den allgemeinen Vorteil. Sprachen helfen, ein Bewusstsein über andere Kulturen zu schaffen, sie fördern die Mobilität der nächsten Generation und erhöhen ihre Arbeitschancen. Diese Möglichkeit wollen wir unseren Kindern geben.“

Frühe mehrsprachige Erziehung wirkt sich auf sprachlicher Ebene sehr positiv aus, sowohl auf Kenntnisse der Muttersprache als auch auf das Erlernen von anderen Sprachen

Und welcher Ort böte ein besseres Untersuchungsumfeld zum Thema Mehrsprachigkeit als Ladinische Bildungseinrichtungen? Beim Projekt MELA ging es besonders um die Sprachkompetenzen von Kindern im Kindergartenalter, denn es sollten die Möglichkeiten der Frühen Mehrsprachigkeit erfasst werden. Getestet wurden insgesamt 17 Kindergärten in Gröden und dem Gardertal. Gleich zu Beginn der Studie musste die Methodologie auf die Sprachkompetenz der Kinder neu angepasst werden, erzählt Jessner-Schmid erstaunt: „Die sprachliche Kompetenz der Kinder entsprach nicht ihrem Alter, sondern einem viel höheren Entwicklungsstand. Wir mussten die Tests zum Vokabular also der methodologischen Zielgruppe von 9-jährigen Anpassen“. 

Insgesamt wurden 3000 Aufgaben durchgeführt, um unterschiedliche Kompetenzen der Kinder zu testen. Die Ergebnisse beweisen es wieder einmal: Frühe mehrsprachige Erziehung wirkt sich auf sprachlicher Ebene sehr positiv aus, sowohl auf Kenntnisse der Muttersprache als auch auf das Erlernen von anderen Sprachen. Die Vorteile des Frühen Spracherwerbs wirken sich darüber hinaus auf weitere kognitive Fähigkeiten positiv aus, etwa auf die Kreativität.

ich rede zuhause grün, kann aber auch rot und gelb sprechen!

Die Frage, die sich nun laut Sprachwissenschaftlerin Jessner-Schmit stelle, sei: „Was kommt danach?“ Also wie wirkt sich das Frühe Lernen auf die Schulzeit aus, wie kann man diese Förderung fortführen? „Dafür braucht es weitere Forschung, am besten natürlich mit denselben Kindern“. Um die Kinder und Jugendlichen effizient in allen drei Landessprachen zu fördern, so müsse laut der ladinischen Schulamtsleiterin Edith Ploner der Unterricht nicht dem Zufall überlassen werden, sondern bedürfe einer Ordnung und Strukturierung. 

 

 

Diese sprachliche Strukturierung wird in ladinischen Kindergärten zum Beispiel mit Hilfe von Puppen und Farben gewährleistet. Dabei entspricht die grüne Farbe (mit respektiver Puppe) der ladinischen, die rote Farbe der deutschen, und die gelbe Farbe der italienischen Sprache. Die Kinder erhalten außerdem festgelegte Sprachecken- in denen sie die jeweilige Sprache an einem bestimmten Ort sprechen. Diese sogenannte Integrierte Mehrsprachendidaktik führt dazu, dass bei Aktivitäten und Spielen alle drei Landessprachen gleichzeitig und systematisch verwendet werden. Auch hier gilt es: Mehrsprachigkeit muss gesamtheitlich statt getrennt betrachtet werden. 

Auch auf Metaebene soll das Sprachverständnis der Kinder gefördert werden. Sie sollen lernen, über ihren eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren und ihre Sprachkompetenzen einzuschätzen. Kinder sollten anhand der drei Farben zeichnen, wieviel sie welche der drei Sprachen im Alltag nutzten. „Diese Aufgabe zeigte uns, wie schnell sich die Sprachverhältnisse in zwei bis drei Jahren verändern können“, erzählt Ploner erstaunt. So kam es vor, dass ein Kind, dessen Sprachzeichnung anfangs dominant grün war, nun ausgeglichener rot-gelb-grün schimmerte. Irgendwann riefen Kinder dann sogar stolz: „ich rede zuhause grün, kann aber auch rot und gelb sprechen!“ Das berichtet Schulamtsleiterin Ploner. Bunt ist also immer gut, das weiß die Ernährungswissenschaft, Kulturwissenschaft und nicht zuletzt auch die Sprachwissenschaft.