Società | Erwachsenenbildung

Baustelle „literale Kompetenz“

Viele Erwachsene haben Probleme mit dem Lesen und Schreiben! Mit dem Pilotprojekt: „Besser lesen und schreiben“, wollen das Amt für Weiterbildung und die KVW eingreifen.
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Foto: Quelle: Amt für Weiterbildung

Literale Kompetenzen sind das Einstiegstor in eine Welt, die, von Globalisierung und Digitalisierung geprägt, immer höhere Ansprüche an uns stellt“, beteuert Sven Nickel, Professor für Literalität und Schrifterwerb an der Freien Universität Bozen. Damit eröffnet er seinen fachlichen Beitrag anlässlich der gestrigen Pressekonferenz zur Schaffung eines Bildungsangebots für deutschsprachige Erwachsene, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, initiiert vom Amt für Weiterbildung und der KVW Bildung. Zum Projekt „Besser lesen und schreiben" äußerten sich Professor Sven Nickel, der Landesrat für deutsche Bildung und Kultur Philipp Achammer, Geschäftsführer der KVW Werner Atz und die Direktorin des Amtes für Weiterbildung Anika Michelon

 

Stigma und Tabu um geringe Literalisierung

 

Das Pilotprojekt beabsichtigt eine lokale Bildungsoffensive gegen ein globales Problem: Viele Menschen im Erwachsenenalter können nicht ausreichend lesen und schreiben, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Und meistens bleibt dies auch noch unentdeckt. Aus Angst und Scham vor Verurteilung und stigmatisierenden Zuschreibungen scheuen „gering literalisierte“ Menschen häufig das Eingeständnis eines Bildungsbedarfs an Grundkompetenzen, die viele für selbstverständlich halten.

Literale Kompetenzen sind das Einstiegstor in eine Welt, die immer höhere Ansprüche an uns stellt

Dass diese Fähigkeiten jedoch nicht selbstverständlich sind, untermauert Sven Nickel mit einer wissenschaftlichen Perspektive auf die Ursachen für geringe Literalisierung: „unterschiedliche Faktoren, wie etwa auditive oder visuelle Verarbeitungsschwierigkeiten, familiäre Hintergründe, Verlernen, Druck- oder sogar Gewalterfahrungen in Kindheit und Schulzeit, etc. wirken meist zusammen und bezwecken, dass das Fremdbild: ‚du bist zu dumm dazu‘, zum Selbstbild: ‚Ich bin zu dumm dazu‘, wird, was letztlich zu einer Vermeidungshaltung führt, die das Verständnis und Erlenen von Fähigkeiten hemmt.“ Das breite gesellschaftliche Unverständnis dieser komplexen Problematik ergibt, in Verbindung mit der Verleugnung von Betroffenen, das Tabu „geringer Literalisierung“, welches es zu brechen gilt.

 

Dies spricht auch Landesrat Philipp Achammer an, denn „Betroffene verstehen ihre Kompetenzlage als belastende Schwäche, die es zu verbergen gilt. Allerdings hat jeder von uns Schwächen und wir können diese nur lösen, indem wir sie eingestehen, darüber sprechen und daran arbeiten“. Das Angebot der Basisbildung solle dazu beitragen die Thematisierung des Problems in einem breiteren politisch-gesellschaftlichen Kontext zu entfachen, Präventionsarbeit zu leisten und betroffenen BürgerInnen eine angemessene Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen.

 

Das Projekt ‚Besser lesen und schreiben' bietet also persönliche, anonyme und kostenlose Beratung für Erwachsene mit Deutsch als Muttersprache sowie auch für sehr gut deutschsprechende Menschen, die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben oder diese Fähigkeiten gar nicht beherrschen, denen das Lernen schwer fällt oder etwa um Schulinhalte aufzufrischen", so Werner Atz. Darüber hinaus schildert Anika Michelon das Bestreben des Projekts, ein Netzwerk mit Arbeitsämtern, Betrieben, Beratungsstellen, Kontaktpersonen und diversen anderen Institutionen, die mit gering Literalisierten in Kontakt stehen, zu etablieren, um weitreichende Angebote und Hilfestellungen in Sachen Basisbildung aufstellen zu können.

 

 

Lernberatung „Besser lesen und schreiben“

 

Die Lernberatung umfasst eine gemeinsame Analyse individueller Lese- und Schreibschwierigkeiten sowie deren eventuelle Ursachen, wodurch ein individuelles Lern- und Übungsprogramm aufgestellt werden kann. Jene Übungen werden gemeinsam mit den Beratenden oder individuell von den Teilnehmenden durchgeführt. Alltagsnahes Lernen funktioniert natürlich am besten und so es ist auch möglich schwierige Briefe, Verträge, Zeitschriften, Internetbeiträge oder das Lieblingsbuch des eigenen Kindes mitzubringen und in den Lernprozess zu integrieren. Besser lesen und schreiben' wird ab 29. September 2022 jeweils Donnerstag von 16 - 18 Uhr, in der KVW Bildung Vinschgau am Hauptplatz 131 in Schlanders stattfinden.

Um die Enttabuisierung der Thematik der geringen Literalisierung voranzutreiben, lädt das Amt für Weiterbildung bereits am heutigen Weltalphabetisierungstag (08. September) in den Filmclub Bozen ein und zeigt die Dokumentation: "Rosi, Kurt und Koni - Menschen, die als Erwachsene Lesen und Schreiben gelernt haben", um die Bevölkerung dahingehend zu sensibilisieren, das Phänomen der gering literalisierten Erwachsenen unter der „einheimischen“ Bevölkerung wahrzunehmen.

 

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Josef Fulterer Ven, 09/09/2022 - 06:17

Viel besser als alle Nachhilfeversuche im Erwachsenen-Alter, wäre wenn die Lehrer:innen die Kinder mit persönlichen Problemen (Mobbing - Kriesen in der Familie - zu hohem Bewegungsdrang - Leseproblemen - zu starke Fixierung auf den Sport usw.), "in der nur einmal für die Bildung zur Verfügung stehenden Zeit im Leben," besonders "achtsam" betreuen würden.
Die Bildung im Erwachsenen-Alter ist sehr mühsam und gelingt auch nur bei überdurchschnittlicher Intelligenz.

Ven, 09/09/2022 - 06:17 Collegamento permanente
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rotaderga Ven, 09/09/2022 - 07:10

Früher war man von "Haus aus dumm oder gscheid". Heute haben der Kindergarten, die Schule, die Berufsbildungseinrichtungen Freiszeit-Sporteinrichtungen und das Umgebungsfeld Schuld. Ich denke aber, dass eine Kind gerechtere Familien und Arbeits- sowie Erwerbspolitik total fehlt und es keine wirkliche- praxisnahe- soziale Kompetenzbildungsgegebenheit gibt die "Hausverstandskompetenzen" vorlebt.

Ven, 09/09/2022 - 07:10 Collegamento permanente