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Hyänen und Schakale

Ein Gespräch mit Markus Wurzer, der sich intensiv mit dem Tagebuch eines Südtiroler Abessinienkämpfers beschäftigt hat. Nun hat er ein Buch herausgegeben.
Tagebuch
Foto: Scan Markus Wurzer

salto.bz. Wie kommt ein Osttiroler an das Tagebuch eines Südtiroler Abessinien-Kämpfers?
Markus Wurzer
Durch Zufall! Ich hatte das Glück bei einer Konferenz zum Ersten Weltkrieg im September 2011 Brigitte Strauß, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Südtiroler Landesmuseums für Volkskunde, kennenzulernen. Sie erzählte mir damals, dass bei der Sichtung der Museumsbestände das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Abessinienkrieg aufgetaucht sei und sie jemanden suchten, der das Büchlein wissenschaftlich aufarbeitet. Ich hatte zuvor noch nie etwas vom Abessinienkrieg gehört, der 1935 bis 1941 am Horn von Afrika tobte.  

Welchen Eindruck hatten sie beim Transkribieren des Tagebuchs?
Das Transkribieren war eine große Herausforderung. Zum einen ist jede Handschrift anders; das merkt man gerade bei der Kurrentschrift, in der das Büchlein gehalten ist. Man braucht einige Seiten bis man sich an den individuellen Stil gewöhnt hat. Zum anderen schrieb der Diarist nicht einfach nur in Standarddeutsch. In seinem Schreiben verwendete er neben Hochdeutsch auch Südtiroler Dialekt, Italienisch und sogar wenige afrikanische Wörter. Militärische Fachwörter kannte er wegen seiner militärischen Grundausbildung in Palermo etwa nur auf Italienisch. Das Tagebuch befindet sich in voller Länge im Anhang des Buches - und wurde auf diese Weise ediert, dass es auch Menschen lesen können, die eine der Sprachen nicht beherrschen.

13. Juni [1935] gerade an meinem Namenstag wurden wir nach Afrika geschikt. In der Früh marschierten wir hinaus zur 7. Artilerie [Artillerie] 
Andrä Ralser

Woher kommt Andrä Ralser? Sein richtiger Name darf ja nicht aufscheinen…
Genau, die Nachkommen des Tagebuchschreibers haben den Wunsch geäußert, dass der eigentliche Namen nicht genannt werden soll. Ich denke, dass es wichtig ist solchen persönlichen Wünschen zu entsprechen, weshalb wir uns entschieden haben ein Pseudeonym - Andrä Ralser eben - zu verwenden. Der Tagebuchschreiber stammte aus dem Wipptal. Er wurde 1911 in der Nähe von Sterzing als Sohn eines Bauern geboren.

Wie lässt sich Ralsers militärische Laufbahn beschreiben?
Ralser musste bereits 1932/33 seinen Militärdienst bei einem Bersaglieri-Regiment in Palermo/Sizilien ableisten. Ganze 18 Monate blieb er dort. Seine Hoffnung, durch das Absolvieren eines Gruppenkommandantenkurses, seine Dienstzeit auf zwölf Monate kürzen zu können, erfüllte sich nicht.  Als Italien bereits mit einem Krieg in Ostafrika rechnete, wurde der Jahrgang 1911 im Frühjahr 1935 eingezogen – so auch Ralser, der nach Livorno zum 3. Bersaglieri-Regiment gerufen wurde. Nach einer kurzen Zeit der Ungewissheit, warum und wofür er überhaupt eingezogen worden war, wurde er mit seinem Regiment im Juni 1935 nach Asmara, eine Hafenstadt in der italienischen Kolonie Eritrea, das an Abessinien angrenzte, verschifft. Dort blieb er bis Ende September; sein Regiment bereitete sich dort intensiv auf den Kriegseinsatz vor, der dann auch im Oktober 1936 begann. Ralser erlebte den darauffolgenden Krieg an vorderster Front. Im Februar 1937 konnte er nach Südtirol zurückkehren. 

Welchen Zeitraum umfasst das Tagebuch?
Ralser führte sein Tagebuch über gut sieben Monate hinweg: Es beginnt mit der Einschiffung in Livorno am 13. Juni 1935 und endet mitten in der drastischen Beschreibung eines Schlachtfeldes im April 1936. Warum er dann nicht mehr weiter geschrieben hat, konnte  nicht herausgefunden werden.

Welche Beobachtungen beschreibt Ralser besonders häufig? Wo geht er ins Detail?
In der Analyse zeigte sich, dass Ralser das Tagebuch vor allem deshalb führte, um einerseits seinen Alltag zu dokumentieren. Das heißt, dass er besonders viel Raum dazu verwendete um alles mögliche festzuhalten, dass mit dem täglichen Dienstbetrieb in Zusammenhang stand. Darüber hinaus schrieb er besonders viel über die afrikanische Landschaft, ihre Fauna und Flora, die Menschen, ihre Gebäude und Rituale. 

11. Nov.[ember 1935] Waren wir in Makalè [Macallè] ist eine ganz schöne Gegend. In den Dörf[ern] der Umgebung sah ich einige Häuser nach Europäischer art. Von weiten meinte ich Sizilianische Dörfer zu sehen.
Andrä Ralser

Wie ausdauernd schreibt er?
Besonders am Beginn seiner Reise schrieb er häufig und umfangreicher. Desto länger seine Reise dauerte, desto weniger schrieb er dann auch. Vermutlich deshalb, weil die neuen Eindrücke Gewohnheit wurden und sich so das Bedürfnis Besonderheiten zu verschriftlichen verflüchtigte. 

Wie beschreibt er Land und Leute?
Die Landschaften am Horn Afrikas beschrieb Ralser als schön und zur Landwirtschaft geeignet; aber auch als gebirgig und unzugänglich. Die Menschen nahm er als unhygienisch, wild, dreckig wahr, die in armseligen Unterschlüpfen hausten. 

Welchen Umgang pflegt er mit den anderen Soldaten?
Aussagen darüber lässt das Tagebuch kaum zu. Selten notiert er Bemerkungen über seine Kameraden und den Umgang mit ihnen. Nach allem was aus dem Büchlein hervorgeht, denke ich, dass er ein doch gutes Verhältnis pflegte und er sich als Teil seiner Gruppe identifizierte – schließlich wurde er gemeinsam mit diesen Männern gelobt, getadelt, bestraft, sie hatten dieselben Verluste zu beklagen und Erfolge zu feiern. 

 

Finden sich kritische Bemerkungen gegenüber den militärischen Autoritäten?
Die Wahrnehmung der militärischen Autoritäten ist in Ralsers Tagebuch äußerst differenziert. Während er die Offiziere, die seine Kompanie und Bataillon kommandierte als faul, trinkfreudig und feige charakterisierte, die die einfachen Soldaten unnötig schinden würden, nahm er die höheren Offiziere, als gutmütig und vernünftige Vorgesetzte wahr.

Landschaft und Landwirtschaft. Welchen Stellenwert haben die beiden Begriffe in Ralsers Tagebuch?
Ich denke ganz einen zentralen Stellenwert. Ralser war Sohn eines Bauern, was seine Wahrnehmung der afrikanischen Landschaften entschieden prägte. Er nahm diese nicht als Kampfräume wahr sondern als Räume in denen hervorragend Landwirtschaft betrieben werden könnte. Akribisch notierte er, was für Getreide die ansässigen Bauern pflanzten, wie sie arbeiteten etc. Eine Auswanderung als Siedler nach Afrika kam für ihn trotzdem nicht infrage.

[2. A pril 1936] Tote und verwundete Abesiner lagen in Häufen herum sie baten uns um Wasser was wir selber keines hatten in miten diesen Leichenfeld musten wir Stellung machen und die Front halten die Nacht.
Andrä Ralser

Mittlerweile sind weitere Abessinien-Tagebücher aufgetaucht. Was wissen sie darüber?
Selbstzeugnisse wie Tagebücher zu finden, ist nicht einfach, da sie sich nach wie vor meistens in Privatbesitz befinden. Im Laufe meiner Recherchen für mein Folgeprojekt konnte ich nun aber noch einige weitere Tagebücher ausfindig machen. Sie bieten einen wertvollen ergänzenden Blick zu den Erlebnissen Ralsers. Ihre Analyse wird unser Wissen darüber vertiefen, was junge Südtiroler in Abessinien erlebten und wie sie den Kriegseinsatz deuteten.