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Hört ihr, wer spielt?

Open Pianos for Refugees versucht, über die Musik Vorurteile abzubauen. Gleichzeitig ermöglichen sie Musikunterricht für alle und ein spielerisches Lernen der Sprache.
Klavierunterricht
Foto: alexander gotter

Wer sich an einen der großen weißen Flügel setzt und spielt, verliert. Sie verliert Hautfarbe, Geschlecht, Status, Nationalität und all jene Vorurteile, mit denen die verschiedenen Kategorien behaftet sind: Geflüchtete. Sozial Schwache. Schwarze. Weiße. Frau. “Plötzlich sind sie nur noch Menschen mit einer musikalischen Begabung”, erzählt Omar Altayi, Koordinator des Musikinstituts doremi und Mitglied der Organisation Open Piano for Refugees. Gemeinsam mit seinen Teamkollegen bemüht er sich seit 2016 darum, über die Musik gesellschaftliche Vorurteile abzubauen und Menschen verschiedenster Art, Herkunft und politischer Orientierung zusammenzubringen.

 

Vom Pianino zum weißen Flügel

 

Angefangen hat das Ganze mit einem kleinen Pianino am Platz der Menschenrechte in Wien. Die Menschen kamen vorbei, setzten sich hin und spielten. Andere - von der Musik angezogen - stießen dazu und lauschten der Musik. Manch eine spendete eine Kleinigkeit, ein anderer übernahm das Spielen. Jeder war willkommen, ganz unabhängig vom eigenen Hintergrund oder der eigenen politischen Orientierung. “Ich war wirklich überrascht, wie viele Menschen Klavierspielen können!”, erzählt Omar Altayi. “Als wir dann gesehen haben, wie gut das Ganze funktioniert, haben wir die Aktion wieder und wieder durchgeführt.” Bis aus einem einzelnen Pianino auf dem Platz der Menschenrechte eine ganze Reihe weißer Flügel wurde, und aus einigen Freiwilligen eine Organisation, die mittlerweile in ganz Österreich und Deutschland unterwegs ist und zudem ein eigenes Musikinstitut in Wien betreibt.

 

Ich war überrascht, wie viele Menschen Klavierspielen können!

 

Die dafür nötigen Instrumente werden von verschiedenen Klavierhandlungen zur Verfügung gestellt, die das Projekt unterstützen und gleichzeitig auch ihren Namen in der Öffentlichkeit platzieren dürfen. Das Musikinstitut wird hingegen vor allem durch Spenden - und in diesem Jahr zum ersten Mal durch eine kleine öffentliche Zuwendung - getragen.

 

Musikunterricht für alle

 

Dabei handelt es sich beim doremi um kein gewöhnliches Musikinstitut: Doremi bietet Paarunterricht an, bei dem im besten Fall eine oder ein Geflüchtete*r und eine einheimische Person zusammen spielen. “Uns geht es darum, dass die Schülerinnen und Schüler Freundschaften knüpfen und so neben dem Instrument auch die deutsche Sprache lernen können. Gleichzeitig wollen wir allen Menschen die Möglichkeit bieten, ein Instrument zu erlernen; auch jenen, die sich im Normalfall keinen Musikunterricht leisten könnten”, so Altayi.

 

Um diese Ziele zu realisieren, stützt sich das Musikinstitut auf ein “Zahl so viel du kannst”-Modell, wobei - wie der Name schon sagt - sozial schwache Personen nichts oder nur wenig bezahlen und jene, die es sich leisten können, auch mal mehr als nur die eigenen Kosten decken: “Der finanzielle Aufwand beträgt im Semester etwa 210 Euro pro Person. Manche bezahlen die volle Summe, manche nur einen Bruchteil davon und andere mehr. Der Preis hängt von der finanziellen Situation ab, in der sich eine Person befindet. Ändert sich diese, so ändert sich auch der Preis”, erklärt Altayi. All das, was nicht über die Einnahmen gedeckt werden kann - Raummiete, Lehrpersonal oder Instrumente - wird über die Spenden der Open Pianos und einen kleinen öffentlichen Beitrag gedeckt. Zudem ist es auch möglich, eine Musikpartnerschaft abzuschließen, über die der Musikunterricht für eine Person finanziert wird.

 

In diesem Semester ermöglicht die Initiative rund 180 Schülerinnen und Schülern den Musikunterricht. Viele von ihnen würden ohne doremi wohl kein Instrument erlernen: "Wir führen am Ende des Schuljahrs immer eine kurze Umfrage durch, bei der wir auch fragen, ob die Person auch ohne das Institut Musikunterricht nehmen würde. Zu 99 Prozent ist die Antwort Nein”, erzählt Altayi. “Es ist schön, dass wir dazu beitragen können, die Welt musikalischer zu machen. Und zwar unabhängig von politischer Orientierung, Hautfarbe, geflüchtet oder nicht. Wir richten uns an alle, die mitmachen möchten.”

 

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Sepp.Bacher Mer, 12/08/2021 - 14:41

In diesem Bericht geht es um das Erlernen von Instrumenten und nebenbei die deutsche Sprache (in Wien?). Ich möchte in diesem Zusammenhang von einer Erfahrung berichten, von der ich gestern in einer TV-Doku gehört habe, und zwar um Sprache lernen durch das Singen.
In diesem Bericht ging es um ein Experiment, das die Dänen mit Grönländischen Kindern gemacht haben. Grönland war Kolonie von Dänemark. Die Dänen wollten die Inuit-Bevölkerung "dänisieren". Also starteten sie das Experiment und brachten Inuit-Kinder nach Dänemark. Zuerst in ein Heim, dann bei Pflegefamilien. Als erstes wurde begonnen, den Kindern die Sprache bei zu bringen. Dabei haben sie viel gesungen.
Ein Betroffene, die jetzt schon in die Jahre gekommen ist, hat das so ausgedrückt: wir haben uns die Sprache ersungen. Also vor allem durch das Singen erlernt. In diesem Falle wirken die zwei Hirnhälften zusammen: die linke ist für das Rationale, die Sprache zuständig, während die rechte für das irrationale und Sinnen-hafte (z.B. das Bildhafte, das Musische, usw.) zuständig ist. Folglich lernt man einen Text leichter, wenn er gesungen wird ; ein Lied leichter als ein Gedicht. Ich glaube, diese Erfahrung wird im normalen Sprachen-Lernen nicht oder zu wenig berücksichtigt.

Mer, 12/08/2021 - 14:41 Collegamento permanente