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Mediale Spannungen

Die Krise des Journalismus hält an; die Auswirkungen der Krise gipfeln im Sturm auf das Kapitol. Alexandra Borchardt analysiert die Irr- und Auswege der Branche.
Journalismus
Foto: Thomas Charter (c) unsplash

Es hätte kaum ein passenderes Datum für die Diskussion über die Rolle der Medien in einer Demokratie geben können. Das erwähnte die Autorin Alexandra Borchardt gleich zu Beginn der Vorstellung ihres Buches, zu der die Freie Universität Bozen am Donnerstag dieser Woche eingeladen hatte. Der Titel des besprochenen Buches: "Mehr Wahrheit wagen: Warum Demokratie einen starken Journalismus braucht".

 

“See you in D.C”

 

Am Tag zuvor stürmten Hunderte Trump Anhänger das Kapitol. Ihr Ziel: Den scheinbaren Wahlbetrug, der zur Abwahl von Donald Trump geführt haben soll, zu verhindern. Präsident Trump selbst hatte seine Anhänger seit der verlorenen Stichwahl am 3. November täglich über verschiedene Kanäle, allen voran Twitter und andere soziale Netzwerke, mit Falschinformationen gefüttert und sich selbst als den eigentlichen Sieger der Wahl erklärt. Wenige Tage vor der offiziellen Bestätigung Joe Bidens als künftiger US-Präsident durch den Kongress am 6. Januar rief Trump seine Anhänger zu Protesten auf. Mit den Hashtags #MarchForTrump und #StopTheSteal verbreitete sich der Aufruf rasend schnell auf Twitter und anderen sozialen Medien. Während Trump selbst den Protesten am 6. Januar fern blieb, stürmten Hunderte seiner Anhänger das Kapitol.

 

 

Als Reaktion auf die Gewalttätigkeit der Proteste verbreitete Donald Trump eine Videobotschaft. Darin bat er seine Anhänger, friedlich nach Hause zu gehen. Gleichzeitig drückte er Verständnis für die Proteste aus und rechtfertigte die Aktionen seiner Anhänger durch erneutes Bestehen auf vermeintlichen Wahlbetrug. YouTube und Twitter entfernten das Video, da es zu weiterer Gewalt anregen könnte.

Um 15:40 wurde Joe Biden als gewählter Präsident bestätigt. Zu dieser Zeit hatten die Proteste bereits 4 Todesopfer, zahlreiche Verletzte und über 50 Verhaftungen gefordert.

 

X Kein Zugang

 

Donald Trump wurde bis auf Weiteres auf Twitter und Facebook gesperrt. Es stellt sich die Frage, ob es die richtige Entscheidung war, Donald Trump, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, auf Facebook und Twitter zu sperren. Haben private Unternehmen ein Recht dazu, gewählte Vertreter des Volkes zu Wort zu lassen, oder umgekehrt, ihnen das Wort zu nehmen? 

Die Überlegung, ob Twitter und Facebook damit, dass sie Donald Trump auf den Plattformen blockiert haben, richtig gehandelt hätten oder nicht, komme etwas spät, so die Autorin Alexandra Borchardt. Es wäre nötig gewesen, Missinformationen und Falschmeldungen, die Donald Trump Monate (oder Jahre) lang verbreitete, zu blockieren oder sie mindestens als solche zu kennzeichnen. Das Problem dabei: Lange Zeit fühlten sich soziale Plattformen nicht für die Inhalte, die auf ihren Seiten geteilt wurden, verantwortlich und auch der diesbezügliche Wandel, der in den letzten Jahren stattgefunden hat, verläuft nur schleppend.

 

Journalismus im Kreuzfeuer der Kritik

 

Seit diesen Geschehnissen stehen nicht nur die sozialen Netzwerke, sondern der Journalismus als solcher im Kreuzfeuer der Kritik. Eine Kritik, die Alexandra Borchardt in ihrem Buch anhand der strukturellen Probleme des Journalismus aufzuarbeiten versucht.

Einerseits habe es der Journalismus verpasst, sich angemessen und im Sinne der Demokratie an die digitale Realität anzupassen. Soziale Netzwerke selbst sind nur Teil des Problems. Weit verheerender seien die Folgen der traditionellen Medien, die Tweets, Aussagen und Falschinformationen aufgreifen, sie aus dem Kontext reißen und zu neuen, undurchsichtigen Produkten, die sich an die Leser verkaufen lassen, verpacken. Dadurch entstehe ein Überangebot an Informationen, das durch ein Unterangebot an für die Leser als relevant empfundene Informationen ausgeglichen wird. Die Folgen sind Missinformation, Verwirrung und eine allgemeine Schwierigkeit, den Informationsfluss zu navigieren, die sich vor allem für die weniger gebildeten Gesellschaftsschichten ergibt.

Ein weiteres Problem, das durch die digitale Transformation entsteht, bezieht sich auf die Verteilung der Information. Wie aus einem Report des Pew Research Centers hervorgeht, erhalten 55 Prozent der US-Amerikaner ihre Informationen über die sozialen Netzwerke. Bei Salto berufen sich die durch social media generierten Aufrufe im Januar auf knappe 25 Prozent. Wem aber welche Informationen und Inhalte vorgeschlagen werden, wird durch die Algorithmen der Plattformbetreiber bestimmt. Algorithmen, die vor allem von kommerziellen Interessen getrieben werden, Qualitätsmarken aber außer acht lassen. Welche Informationen werden verstärkt und welche übersehen? Wem werden welche Informationen vorgeschlagen und warum? Die Antworten zu diesen Fragen sind in undurchsichtigen Algorithmen der Plattformbetreiber – Brochard nennt sie “black boxes in Silicon Valley” – festgelegt. Diese verborgenen Entscheidungen haben jedoch verheerende Folgen, wie nicht zuletzt in Washington beobachtet werden konnte.

 

Andererseits beklagt Borchardt nebst der misslungenen Anpassung an die digitale Transformation vor allem die prekäre Beziehung zwischen Journalisten und ihren Lesern. Wie aus dem von Oxford und Reuters veröffentlichen Digital News Report hervorgeht, sehen sich nur 29 Prozent der Leser in den von den Medien behandelten Themen vertreten und nur 19 Prozent fühlen sich vom in den Medien angeschlagenen Ton angesprochen. Zu oft würde über Trumps letzten Tweet berichtet und nur allzu selten über Themen, die auf die konkreten Bedürfnisse der Leser eingehen. Bezahlbares Wohnen, Kinderbetreuung, Wirtschaftspolitik muss der letzten Falschaussage des soundsovielten Präsidenten der USA Platz machen. Zweifel werden höchst selten eingeräumt.

Immer mehr Menschen wenden sich vom Journalismus ab. Vertrauen und Aufmerksamkeit der Leser sinken: Weltweit vertrauen weniger als 50 Prozent der Leser jenen Medien, die sie selbst konsumieren. Traditionelle Geschäftsmodelle der Medienvertreiber brechen ein. Folglich suchen talentierte Journalistinnen und Journalisten sich ihr Geld anderswo zu verdingen. 

Das Fazit: Der Journalismus steckt in einer tiefen Krise. Paradoxerweise sind (soziale) Medien einflussreicher denn je. Die Welt wird nicht nur von den Medien erzählt, sondern aktiv von ihnen gestaltet.

 

Optimismus? 

 

Trotzdem bleibt Borchardt optimistisch. Die Covid-19-Krise hat viele in ihrem Bedürfnis nach fundierter Berichterstattung gestärkt und so die Nachfrage erhöht. Laut Borchardt müssen Journalisten aber wieder zu den Verbündeten des Volkes werden. Sich um ihre Bedürfnisse kümmern und darauf aufbauend den Horizont der Leser mit eingehenden Recherchen erweitern. Neue Technologien sollen dafür verwendet werden, die Bedürfnisse der Leser zu verstehen und auf sie einzugehen und nicht, sie durch schnelle, einschlagende Informationen hinters Licht zu führen. Das Publikum muss das Gefühl haben, dass es jemanden gibt, der sich um ihre Bedürfnisse kümmert und diese mit neuen Fragen erweitert und fundierten Antworten stillt. Nur so kann Journalismus sein demokratisches Potenzial entfalten. 

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Karl Gudauner Dom, 01/10/2021 - 10:49

Die Funktion und die Arbeitsweise der Medien ist ein zentrales Thema für die Gesellschaft. Schließlich liefern die Medien Informationen dazu, was relevant für ihre Entwicklung ist. Durch die Auswahl der Themen und die Darstellungsweise beeinflussen die Medien wesentlich die Wahrnehmung der Gesellschaft durch die Menschen. Dem Trommelfeuer der Medien ausgesetzt und gewohnt, ständig den Medientrichter als Blickfeld auf das Dasein zu nutzen, setzen sie sich einem machtvollen Apparat der Meinungsbildung aus. In der Summe wirken die Medien als prägendes Bildungsinstrument, das Werthaltungen lenkt und Weltbilder langfristig formt. Die Medieneigentümer wissen das zu nutzen. Zwischen Werbung, Information und Unterhaltung arbeiten SpezialistInnen in dieser Meinungsindustrie. Wirtschaftliche und politische Machtinteressen und nicht zuletzt die Gängelung der Massen als elitäres Spiel haben die Überhand genommen. In diesem Dickicht des opinion shaping ist es schwierig, eine Bresche für seriösen Journalismus zu schlagen. Die Auswüchse in den sozialen Medien verdeutlichen zumindest, dass dies für die psychische Hygiene der Gesellschaft dringlich geboten ist. Etwa durch die die Rückbesinnung auf die Deontologie, die den JournalistInnen in der Ausbildung vermittelt wird, als ethischer Grundlage. Einzelne Vorbilder sind hier sicher wertvoll. Aber ohne eine entsprechende Gesinnung der Herausgeber wird es nicht gelingen.

Dom, 01/10/2021 - 10:49 Collegamento permanente