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Kunstflucht

Der Künstler Hans Winkler über seine Ötzi-Füße im Museion, mögliche Ötzispuren auf Hawaii, sein Kunstprojekt zum Thema Geld und den geplanten Gesellschaftsbaum in Glurns.
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Foto: Foto: Ivo Corrà

salto.bz. Die von Ihnen gefertigte Fußskulptur des Ötzi hat es gut 10 Jahre nach der Entstehung als Ausstellungsobjekt ins Museion geschafft. Sie haben damals den Ötzi aus seinem Museum fliehen lassen. Ist seine Flucht gelungen?
Hans Winkler: Als die Mumie zur super-touristischen Attraktion wurde, von hunderten von Augenpaaren täglich angestarrt, entwickelte ich das visionäre Konzept seines Verschwindens – aus dem Archäologischen Museum. Hierfür habe ich sowohl eine Kopie von Ötzis Füßen angefertigt und unmittelbar in die frisch geteerten Straßenabschnitte an der Talferbrücke in Bozen und in den Bergen eingelassen. Dadurch wurde seine Flucht belegt.

Wie haben Sie den Begriff Flucht vor 10 Jahren wahrgenommen, wie nehmen Sie ihn gegenwärtig wahr? Als Künstler? Als Mensch?
Interessant war, dass zu dieser Zeit eine Pfeilspitze in Ötzi’s Rücken gefunden wurde, womit jede Menge Geschichten zu seiner Person und zu seiner Flucht aus kriminalistischer Sicht entstanden. Der Begriff Flucht steht ja meist im Zusammenhang mit politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, passiert aber auch aus kulturellen und ideologischen Gründen.
Während des Vietnamkriegs und der Zuspitzung kapitalistischer Strukturen in Mitteleuropa  der 1960er und 1970er Jahre, hatte sich auch in unseren Ländern eine neue Fluchtbewegung entwickelt, die mit der Wiederentdeckung von alternativen, anarchistischen Lebensformen, vor allem auf das Land, einhergingen – Stichwort Landkommunen oder Monte Verità in Ascona. Es ist auch immer verbunden mit der Neugierde auf andere Länder mit traditionelleren Lebensformen und kulturellen Werten. Ich war etwa 1977 im Nahen Osten, auch in Aleppo, Syrien und in der Türkei als die Zypernkrise zu einer Militärischen Auseinsetzung zwischen der Türkei und Griechenland führte. Um aus dem Kriegsgebiet zu kommen, wurde ich zusammen mit anderen deutschen Reisenden, bei Nacht, auf eine griechische Insel abgeschoben. In gewisser Weise als Kriegsflüchtling.

Ihre Skulptur ist im Rahmen der aktuellen Heimat-Ausstellung von Nicolò Degiorgis im Museion in Bozen zu sehen. Wo sind Sie daheim? In Berlin, New York, Bayern, oder gar in Südtirol?
In Bayern aufgewachsen verbrachte ich allerdings jeden Sommer in Südtirol, 1982 bin ich nach Berlin gezogen und seit 1995 lebe ich auch in New York.
Das Wort daheim, oder Heimat ist ja mit emotionalen Erinnerungen, vor allem aber mit der Entdeckung von Reiseliteratur und des urmenschlichen Gens zum Nomadentum gekoppelt. Mit 12 Jahren, habe ich mich auf eine Reise in einem geklauten Boot gemacht. Das Ziel war das Schwarze Meer. Dieses Abenteuer endete allerdings  noch am gleichen Tag an der ersten Staustufe des Inns.

Was interssiert Sie beim Reisen?
Neben der Inspiration durch Reise- und Entdeckerliteratur  beschäftigte ich mich seither mit Geschichte und den Bewegungen der Menschheit oder den Wanderungen der Völker, die immer Spuren hinterließen.
In diesem Jahr wurden einige Höhlen der Schwäbischen Alb zum Weltkulturerbe gekürt, da dort spektakuläre Ausgrabungen stattfanden die sogar die Geschichtsschreibung veränderten.
Die ans Tageslicht gebrachten Skulpturen, Malereien oder Flöten werden auf die Zeit von 40.000 - 45.000 Jahre datiert und stehen im direkten Zusammenhang mit der Besiedelung Mitteleuropas von Afrika aus.

Im Rahmen Ihrer Recherchen zu einem Kunstprojekt ergaben sich auch spannende Verbindungen zu Ötzis Zeit mit einer kleinen Insel bei Hawaii…
Während der Arbeit mit dem Eismann publizierte ich das kleine Handbuch “taetowierte Steine”, in welchem die Tätowierungen von Ötzi eine direkte Verbindung zu dem Phänomen der Schalensteine herstellen, da dort ähnliche Formen und Zeichen zu finden sind.

Seit 1898 ist Hawaii ein von den USA gewaltsam und illegal besetzter Ort.

Im Januar 2013 wurde ich erstmalig auf die Hawaiianische Insel Kahoolawe eingeladen. Diese ist für die Hawaiianer, Polynesier seit über Tausend Jahren der Hafen von und nach Tahiti.
Dort stieß ich auf Schalensteine, Steine und Felsen, ähnlich wie in Südtirol, die künstliche Vertiefungen in der Form von kreisrunden Schalen – Sonnensymbole – zeigen, aber auch Symbole, wie das Kreuz, Anordnungen von Schalen in Kreuzform und Strichmarkierungen oder bestimmte Gestirnkonstellationen, die zu bestimmten Jahreszeiten am Himmel beobachtbar sind. Diese natürlichen Navigationshilfen stehen in Verbindung zu den Körpertätowierungen, die über verschiedene Ereignisse berichteten und Hilfestellung bei der Navigation leisteten.

Wie ist das Leben heute auf der vergessenen Insel?
Kahoolawe ist derzeit nicht bewohnbar und ausschließlich für Hawaiianer zugänglich. Es sei den man hat eine Sondergenehmigung. Die kleine Insel im Hawaiianischen Archipel ist das kulturelle und geistige Zentrum, als auch ein Symbol für die Unabhängigkeit des Staates Hawaii und der Unterdrückung der Ureinwohner Amerikas. Mitten im Pazifik gelegen war die Insel bis Ende des 18 Jahrhunderts der isolierteste Ort der Welt. Bis der „Weiße Mann“ kam. Seit 1793, nach den Weltumseglungen und der „Landnahme“ durch  James Cook oder Captain Vancouver wurden unzählige Hawaiianer als billige Arbeitskräfte an die Amerikanische Westküste „vermittelt“. Bis heute gibt es Stämme, die traditionelle hawaiianische Werte pflegen. Seit 1898 ist Hawaii ein von den USA gewaltsam und illegal besetzter Ort.
Obendrein wurde Kahoolawe von der US Navy 1944 bis 1980 als Testziel für Bomben missbraucht.

Hätten alle genug Geld, hätte es keinen Wert.

Sie arbeiten derzeit an einer Ausstellung zum Thema Geld. Dabei werden alle Ihre legalen und illegalen Kunstprojekte zum Thema Geld zu sehen sein. Wie kam es dazu? Und weshalb ist es dem Staat nicht immer genehm wenn sich Künstler mit diesem Thema beschäftigen?
„Mit Geld spielt man nicht“, ist eine Ausstellung, die die Sichtweisen der Kunst, von Bankräubern, und selbst ernannten „anarchistischen“ Bankern auf Tauschmittel, Finanzwelt und Ökonomie präsentiert.
Laut Aussagen eines ehemaligen Notenbankchefs Bernard Lietaer ist Geld ein Zaubermittel, das alles bedeutet und doch keinerlei Wert hat. Es wird aus dem Nichts geschaffen, vermehrt sich exponentiell und bezieht seinen Wert (…) durch Mangel, Armut garantiert seinen Wert. Hätten alle genug Geld, hätte es keinen Wert.

Wie werden die Geldprojekte ausgestellt?
In der  Galerie M in Berlin werden raumspezifische thematische Installation zu sehen sein. Für die Ausstellung wurden Objekte entwickelt, die auf Geschichten und wahre Begebenheiten basieren, und das enge Verhältnis Bankraub, Börsenspekulationen oder Steuerhinterziehung, also Geld und Kriminalitaet symbolisieren.
Wie das Projekt Wir machen mehr aus Ihrem Geld, welches staatliche Reaktionen – eine Galerie - und eine Hausdurchsuchung ohne nennenswerte Folgen – hervorrief, und mit einem Zitat eines Mitarbeiters der Bundesdruckerei endete: „Mit Geld spielt man nicht“.

Die sich manchmal nicht nur in der Grauzone der Illegalität befindlichen Steueroasen etwa, entwickeln ein kriminelles Potenzial und enden in Weltwährungs- und Bankenkrisen oder Börsencrash.

Warum soll Kunst ab und zu illegal sein?
Ähnlich wie im freien Journalismus (Paradise Paper) sind künstlerische Arbeiten, die durch  unkonventionelle politische Statements in die rechtliche Grauzone zwischen legal und illegal eintauchen, um sich mit politischen und wirtschaftlichen Ereignissen auseinandersetzen. Das ist für die Gesellschaft und Demokratie unverzichtbar.
Man kann feststellen, dass  manche dieser Arbeiten oder Aktionen zwar  rechtlich gesehen illegal und notwendig waren, aber die Absurdität der wirtschaftlich, politischen Realität nie erreichen. Die sich manchmal nicht nur in der Grauzone der Illegalität befindlichen Steueroasen etwa, entwickeln ein kriminelles Potenzial und enden in Weltwährungs- und Bankenkrisen oder Börsencrash.

Sie wurden im Rahmen eines Kunstprojektes für die Stadt Glurns ausgewählt, eine künstlerische Intervention für die kleine Stadt zu schaffen. Was können Sie verraten?
Schon als Kind hat mich die Stadtmauer von Glurns fasziniert. Ein Bauwerk und Ort der schützt und den Einblick verweigert. Im Rahmen des Ideenwettbewerbs für Kunst im öffentlichen Raum in Glurns soll eine Aussichtsplattfform in einem Baum ausserhalb der Stadtmauer, als „öffentlicher Gesellschaftsbaum“, installiert werden.
In einer Baumkrone befestigt, wird ein einmaliger Blick über die Mauer- und auf die Stadt gewährleistet, der Imaginationen einfordert. Die Öffnungszeiten sollten nur in der Dämmerphase zur „blauen Stunde“, am frühen Morgen oder abends zugänglich sein. Ausschließlich für 1 oder 2 Personen.