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Stilfser Weltveränderung

Zu seinem 40. Geburtstag konnte der am 9. Februar 1931 geborene Schriftsteller Thomas Bernhard 1971 sein neustes Buch in den Händen halten. Ein Geschenk.
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Foto: Salto.bz

1971 erschien im Suhrkamp Verlag unter dem Titel Midland in Stilfs ein Erzählband mit drei Erzählungen des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard. Zwei davon hat er Ende der 1960er Jahre in Südtirol aufgesogen. Bernhard hatte sich nämlich aus gesundheitlichen Gründen in die karge hochalpine Gegend verschanzt, wohnte im Hotel Sonne und fuhr mit seinem Wagen gerne auch mal die atemberaubende Stilfserjoch-Straße auf und nieder. Seine Zeit in Stilfs bezeichnete er im Rückblick „als die glücklichste seines Lebens“.
Wie auch immer die bitterböse Zunge Bernhards dieses Glücksbekenntnis gemeint haben mag? Belegt sind jedenfalls allerhand direkte Bezüge zum Ortlergebiet.


Die Erzählung Midland in Stilfs erschien bereits zwei Jahre vor der Veröffentlichung bei Suhrkamp in der Zeitschrift Akzente: die beiden (vermutlichen) Halbbrüder, Franz und der Ich-Erzähler, leben in Bernhards düsterem Text, gemeinsam mit der Schwester und einem Knecht, auf dem abgeschiedenen Landgut in Stilfs im Ortlergebiet. Einmal im Jahr bekommen sie Besuch vom Engländer Midland, der das Grab seiner dort tödlich verunglückten Schwester aufsucht. 

In Stilfs den Hebel ansetzen, die Welt verändern!
[aus: Midland in Stilfs]

Die Erzählung Am Ortler. Nachricht aus Gomagoi handelt von zwei Brüdern und ihren Gesprächen und Vorfällen bei ihrem Aufstieg Richtung Ortlermassiv. Während der eine Bruder sich wissenschaftlich mit den Luftschichten beschäftigt, ist der andere Kunststückemacher. Ihr Ziel ist eine Sennhütte auf dem Scheibenboden, die ihnen von den Eltern hinterlassen wurde. Aus „Haß gegen den Ortler und gegen den Scheibenboden und aus Haß gegen die Sennhütte und aus Haß gegen alles, was mit dem Ortler und mit dem Scheibenboden und mit der Sennhütte zusammenhängt“ waren die beiden Brüder seit Jahrzehnten nicht mehr auf den zur Sennhütte hinaufgegangen. Was sie dort erwartet?


Nach dem Erscheinen des Erzählbandes war Verleger Siegfried Unseld überzeugt, dass dieses Buch „zu meinen Lieblingsstücken der Bibliothek Suhrkamp zählen“ wird. Und auch der Autor erklärte, Midland in Stilfs sei, „außen und innen ein sehr gutes Buch geworden“, an dem er „tagelang (...) die größte Freude gehabt“ habe. 
Zwei Wochen vor dem Briefwechsel mit dem Verleger hatte Thomas Bernhard das Ortlergebeit erneut bereist und ließ den Verleger wissen: „Gomagoi, wo ich gewesen bin, entspricht ganz und gar der Erzählung in Midland, diese Prosa ist von den drei Stücken die beste“. Diesem Selbsturteil des Autors pflichtete Unseld in seinem Antwortschreiben bei: „[...] die Nachricht aus Gomagoi ist sicherlich die schönste“. 


Gegenüber dem im Juli 2019 verstorbenen Dokumentarfilmer und Kulturfunktionär Peter Hamm bezeichnete Bernhard zwar Amras als sein ihm liebstes Werk, doch mit Am Ortler sei ihm später noch einmal etwas Ähnliches gelungen. Heute wäre Thomas Bernhard 90 Jahre alt geworden.