Economia | Transport

„Das sind unmenschliche Zustände“

Der Toblacher Frächter Fortunato Rizzo über unzumutbare Zustände für LKW-Fahrer, die Schikanen, mit denen man täglich konfrontiert ist, und das Wegschauen der Politik.
Rizzo, Fortunato
Foto: Privat
Salto.bz: Herr Rizzo, Sie schlagen Alarm und sagen: Die Zustände für die LKW-Fahrer sind nicht mehr zumutbar. Warum?
 
Fortunato Rizzo: Der Transportsektor war immer schon ein schwieriger Bereich. Wir haben in den vergangenen 15 Jahren versucht, diese Arbeit unseren jungen Chauffeuren irgendwie schmackhaft zu machen. Wir haben einheimische, Südtiroler Fahrer gesucht und auch gefunden. Führerscheinneulinge, denen wir auch die Ausbildung mitfinanziert haben. Jetzt aber bekommen wir den ganzen Frust dieser jungen Fahrer mit.
 
Was passiert mit dem Fahren?
 
Sie sagen, wir bekommen seit einem Jahr nichts mehr zum Essen. Denn überall gibt es den Lockdown oder die Uhrzeiten ab 20 Uhr sind nicht einhaltbar. Die Autobahnraststätten sind so überfüllt, dass man kaum mehr rankommt. Am Ende schaut – wenn man Glück hat - vielleicht ein belegtes Brot heraus. Ich denke, ein warmes Essen steht diesen Menschen doch zu. In gewissen Regionen in Deutschland ist sowieso alles zu. Auch im Veneto. Je nach Strecke müssen sie sich immer mit diesem Problem auseinandersetzen, das kaum lösbar ist. Kommen die Fahrer dann einmal zum Essen, ist es immer nur Take Away. Das heißt, man isst im Auto oder irgendwo an der Straße.
Die Empfänger weigern sich oft, den Chauffeuren den Lieferschein zu unterschreiben, weil sie sagen: „Ich greife den Zettel nicht an“.
Die Fahrer müssen auch die Schutzkleidung tragen?

Das kommt noch dazu. Dabei sind die Abstandsregelungen in vielen Orten ein schlechter Witz. Die Fahrer präsentieren sich mit Maske und Handschuhen, während die Mitarbeiter der Unternehmen, wo wir auf- oder abladen, sehr oft ohne Maske unterwegs sind. Und andererseits weigern sich die Empfänger oft, den Lieferschein zu unterschreiben, weil sie sagen: „Ich greife den Zettel nicht an“. Das sind einfach unmenschliche Zustände.
 
Dazu kommen noch die vorgeschriebenen Coronatests?
 
Das ist überhaupt die schlimmste Situation. In diesen Testarealen wie Sadobre und auch andere warten die Leute stundenlang Ellenbogen an Ellenbogen, damit ihnen ja keiner vorgeht oder vorfährt. Um rein- oder rauszufahren stecken sie dann im Stau. Das sind einfach keine Zustände. Das ist nur mehr Schikane. Ich würde jedem wünschen, dass er das einmal drei Tage mitmacht, was unsere Fahrern täglich aushalten müssen. Die Meisten würden nach einer Woche durchdrehen.
 
Auch die hygienischen Vorschriften machen den LKW-Fahrern zu schaffen?
 
Das ist erst recht absurd. Seit einem Jahr dürfen die Fahrer beim Be- und Entladen nicht mehr dabei sein. Müssen sie auf die Toilette, so dürfen sie das nicht. Erst diese Woche hat mir einer meiner jungen Fahrer erzählt, dass ihm der Staplerfahrer dort, wo er abgeladen hat, erklärt habe, das Klo sei gesperrt, er solle doch hinter einem Bretterstapel seine Notdurft verrichten. Es war ein Betrieb in Südtirol. Ich denke, hier wird die Würde der Menschen mit Füßen getreten. Auch in Südtirol. Das darf doch nicht sein.  
 
 
Sie sagen, das ist menschenunwürdig?
 
Ja. Denn die Mitarbeiter leiden und halten diese Situation nicht mehr aus. Erst am Samstag hat einer meiner Fahrer aus dem Nachbardorf, er ist 23 Jahre alt, mit den Worten gekündigt: „Fortunato, ich muss am Montagfrüh schon Angst haben und mit Kopfweh aufstehen, was die Woche über passiert. Werde ich etwas zu Essen finden? Muss ich wieder hinter einem Stapel Bretter auf Klo gehen? Es tut mir leid für dich, aber diese Leute sollen die Ware selber herumführen“. Das ist die Stimmung unter den LKW-Fahrern.
Ich denke, hier wird die Würde der Menschen mit Füßen getreten.
Sie fahren immer noch selbst und können aus eigener Erfahrung sprechen?

Ja, und ich kann ihnen zig Geschichten erzählen, die ich erlebt habe und die kaum zu glauben sind. Einer meiner Fahrer sollte vorvergangene Woche Waren nach Innsbruck bringen. Aber am Brenner haben ihn die österreichischen Polizisten nicht passieren lassen. Ich rufe dann bei der Gendarmerie in Innsbruck an, wo man mir sagt, sie kennen sich nicht aus, ich soll beim Gesundheitsministerium anrufen. So rufe ich im Wiener Ministerium an und dort sagt man mir: Die Polizei habe falsch gehandelt. Mein Chauffeur hat inzwischen schon wieder umgedreht, um in der Sadobre einen Test zu machen. Er ist dann zurück auf den Brenner gefahren, auf der gesamten Strecke im Stau. Dort trifft er wieder auf genau dieselben Polizisten, die ihm ins Gesicht lachen und plötzlich meinen: „Wir wissen, du brauchst keinen Test, wenn du nur nach Innsbruck fährst“. Genau das hatte er ihnen aber schon Stunden zuvor erklärt.
 
 
Absurd ist es auch, dass man am Brenner diese Tests macht, wer aber über Tarvis nach Deutschland fährt, braucht nichts?
 
Sie müssen sich vorstellen: Die Polizei hält in Verona einen LKW auf, der nach Innsbruck oder München fährt, und schickt ihn über Tarvis dorthin. Ich frage mich schon, wozu ich in den letzten Jahren in die neuesten umweltschonenden LKWs investiert habe, wenn man mich dann zwingt, solche Umwege zu fahren. Das ist alles nicht mehr normal.
 
Die Politik sieht hier anscheinend keinen Handlungsbedarf?
 
Mich wundert es wirklich, dass weder die Politik noch die Verbände hier etwas unternehmen. Wenn das so weitergeht, bricht alles zusammen. Die Betriebe sterben. Mit dem ganzen Aufwand an Bürokratie, der bereits seit Jahren auf uns lastet, sollen wir uns auch das noch gefallen lassen. Die Mitarbeiter halten das einfach nicht mehr aus.
Mich wundert es wirklich, dass weder die Politik noch die Verbände hier etwas unternehmen. Wenn das so weitergeht, bricht alles zusammen.
Sie erleben Abgänge?
 
In einem Monat haben vier Mitarbeiter bei mir gekündigt. Sie waren alle zwischen 20 und 30 Jahre alt und sind hier ausgebildet worden. Sie haben gesagt, die packen das psychisch einfach nicht mehr.
 
Sehen Sie eine Lösung?
 
Nein. Auch mich greift es gesundheitlich langsam an. Es kann nicht angehen, dass immer wir die Lösungen finden müssen. Solange der Politik und den Verbänden der Ernst der Lage nicht bewusst ist, wird sich kaum etwas ändern.
 
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Hans Unterholzner Mer, 03/10/2021 - 09:57

Die Lösung wäre, die zuständigen Politiker für 24 Stunden hinter das Lenkrad eines LKW zu setzten. Die beschriebenen Umstände sind wirklich unmenschlich! Speziell für Länder wie Deutschland und Österreich, die ja sehr Exportabhängig sind, sind diese Zustände unverständlich, nachdem der Transport auf der Schiene derzeit noch sehr eingeschränkt ist. Wäre ein Streik keine Lösung?

Mer, 03/10/2021 - 09:57 Collegamento permanente
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Hanspeter Holzer Mer, 03/10/2021 - 11:16

Man sieht: Bayrische Herrscher sind traditionell nur stark gegen Tirol & Italien. Mit Frankreich legen sie sich nicht an.

Vielleicht müssen die Fahrer*innen die Brennerstrecke nach Bayern blockieren, damit auffällt, wer weiterhin für gefüllte Regale & laufende Industrie sorgt.

Mer, 03/10/2021 - 11:16 Collegamento permanente
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Sigmund Kripp Gio, 03/11/2021 - 07:32

Jeder Güterzug könnte 30 - 40 Fahrern dieses Leid ersparen. Wir brauchen Kostenwahrheit auf der Strasse, dann verlagert sich zumindest der Fernverkehr (und um den handelt es sich auf der Brennerroute hauptsächlich) auf die Bahn. Der Fahrer von kurzen Zulieferstrecken, der abends wieder zuhause ist, erleidet nicht solche Miseren. Die Verantwortung liegt aber auch stark bei den Spediteuren selbst! https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/aktuell/740-meter-gueterzug/

Gio, 03/11/2021 - 07:32 Collegamento permanente
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Michael Bockhorni Sab, 03/13/2021 - 11:17

warum kritisiert in den Kommentaren niemand die "Frächterlobby"? Ich denke es ist so wie bei den Pflegeberufen, geringe gesellschaftliche Anerkennung, schwache Interessenvertretung der Arbeitnehmer(innen), hoher Kostendruck (weil wir alle alles billig haben wollen).

Sab, 03/13/2021 - 11:17 Collegamento permanente