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Die große Frage des Miteinander

Die Ausstellung „On touching“ der Bozner Künstlerin Mirijam Heiler behandelt ein großes Thema: Berührung. Ein Interview über Empathie, soziale Kategorien und Wendepunkte.
Mirijam
Foto: Franziska Unterholzner

salto.bz.: Hallo Mirijam, bei deiner Ausstellung im Kunstforum Unterland geht es um das Thema Berührung. Was hat es damit auf sich? Sollen deine Werke den/die BetrachterIn berühren, Nähe schaffen?  

Mirijam Heiler: Was für eine Freude, liebe Lucia. In unserer pandemischen Gegenwart hat sich das alltägliche Berührungsverhalten erheblich verändert. Mit „On touching“ gehe ich von der Notwendigkeit aus, unsere Berührungspunkte zur Umwelt und Natur zu überdenken. Insofern steht besonders die artenübergreifende Berührung im Fokus. Flora und Mechanik, Mensch und Natur. 
Im Gegensatz zur nüchternen Beobachtung steht die Berührung entschieden für die Nähe eines wechselseitigen Kontakts ein. Wenn wir etwas berühren, dann werden wir zugleich berührt. Das Wort Befindlichkeit ist in dieser Hinsicht schön, weil es wörtlich sagt, dass ich mich nur finden kann, wenn ich tatsächlich spüre, dass ich mit der Welt in Berührung komme. Insofern ist es natürlich ein hohes Ziel, den/die BetrachterIn durch die Arbeiten zu berühren. 

Wie kommt es überhaupt zu diesem Thema? Welche Entstehungsgeschichte steckt dahinter? 

Wir müssen die große Frage des Miteinander neu thematisieren. Wie wir Menschen miteinander und mit anderen Geschöpfen umgehen, erweist sich als ökologische und ethische Sackgasse. Begreifen wir die Gegenwart als eine Zeit der Krise, so kann diese als möglicher Wendepunkt ein großes Potenzial entfalten. Diese Wendung kann spekulative Utopien ermöglichen, neue Formen des Zusammenlebens, des Miteinanders und der Empathie in einem lokalen und globalen Kontext. 
 


Ich denke, wir müssen den Menschen nicht mehr als Zentrum des Seins, als Lenker seiner Umwelt, sondern als Teil der Umwelt ohne Sonderstatus, als integriert in organische, aber auch technische Geflechte verstehen. Nur so können wir der Naturentfremdung des Menschen entgegensteuern. Donna Haraways schlägt vor, dass wir lernen, artenübergreifend füreinander Sorge zu tragen. Haraway transformierte dabei den Begriff der biologischen Verwandtschaft: Ihrer Meinung nach sollten wir uns jenseits eingeübter Formen wie der biologischen Familie verwandt machen, um die Kategorien, in denen wir füreinander verantwortlich sind, neu zu denken und zu erweitern. Die Frage der Ausstellung ist, wie wir uns durch Berührung miteinander verbinden können. Kann die Berührung artenübergreifendes Verstehen ermöglichen? Können wir durch Berührungen eine Praxis des Lernens entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart miteinander gut zu leben und zu sterben?  

Was bekommen die BesucherInnen der Ausstellung zu sehen? Bilder, Skulpturen, Fotografien?  

„On touching“ ist eine Gedankenverflechtung in Form eines immersiven Gesamtkunstwerkes. Knöcherne Gerüste, die mit Pflanzen über einen 3-D-Scan gekreuzt werden, synthetische Landschaften, die von der Eroberung des Körpers durch die Pflanzen erzählen, und Roboterfühler, welche die Berührung des Menschen suchen.  
 


Welche Techniken verwendest du für die Realisierung deiner Werke?  

Ich habe Malerei studiert, versuche aber immer mehr mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Insofern gibt es eine Vielzahl an Techniken in der Ausstellung. Ein Beispiel: Um das Sensilium der Berührung weiter erfassen zu können, habe ich gemeinsam mit dem Elektrotechniker Thomas Mair ein Fühlerpaar konstruiert, welches sich auf den/die BetrachterIn zubewegt, wenn er/sie in dessen unmittelbaren Nähe kommt und sich einzieht, wenn sich der/die BetrachterIn von ihm entfernt. Andere Arbeiten sind 3-D gedruckt, mit Öl auf Leinwand gemalt oder als JPG auf Monitoren zu sehen.
 


Welche war (oder ist) die größte Herausforderung für dich in Bezug auf die Ausstellung? Hattest du immer genug Ideen, einen ganzen „Ausstellungsraum“ zu füllen?  

Es ist genau andersrum. Die Schwierigkeit ist es, Ideen zu begrenzen und sie zu selektieren.  

Verfolgst du Ziele mit deinen Werken? Sollen sie Menschen aufwecken, wachrütteln, auf etwas aufmerksam machen?  

Ich glaube, dass KünstlerInnen eine gewisse soziale und politische Verantwortung haben. Sie befinden sich an der Schnittstelle zwischen Weltzugewandtheit und Weltflucht. Einerseits versuchen KünstlerInnen genau zu beobachten, was sich in der Gegenwart abspielt, andererseits eröffnet die Kunst Fluchtmöglichkeiten aus eben dieser Welt. Ich versuche einfach an der Diskussion zu partizipieren.  
 

Ich glaube, dass KünstlerInnen eine gewisse soziale und politische Verantwortung haben.


Gibt es ein „Grundkonzept“, nach dem du deine Werke realisierst? Zieht sich ein Thema durch oder probierst du immer wieder etwas Neues aus?  

Ich denke, dass sich eine gewisse „Handschrift“ immer erkennen lässt, aber ja, momentan versuche ich diese zu verändern und inhaltlichen Aspekten den Vorzug gegenüber formalen Fragestellungen zu geben.  

Betrachtet man deine vorangegangenen Bilder, stößt man immer wieder auf Linien – Trennlinien vielleicht? Sollen diese jetzt in der Ausstellung „on touching“ aufgelöst werden?  

Das stimmt, du sprichst die Serie „Rasterbilder“ an. Die Serie gleicht einer Suche, eine Formel zu finden, die die Welt lückenlos in den Griff bekommt. Und zugleich ist es das Begehren, aus der Linie auszubrechen, die Struktur aufzulösen, als Störung, als Riss oder offene Form. Sich sozusagen den Boden unter den eigenen Füßen zu entziehen. Diesen Rissen möchte ich in der Ausstellung mehr Platz bieten. „On touching“ ist für mich auch eine Art Experiment mit offenem Ausgang.