Società | Wein-Lesen

Kant auf Twitter

Der ORF-Journalist Andreas Pfeifer setzt sich in seiner fulminanten Eröffnungsrede beim Literaturfestival in Neustift auch kritisch mit seinem Berufsstand auseinander.
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Foto: Weinlesen
Meine Damen und Herren,
Liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller,
 
hier vor Ihnen, hinter geschützten Klostermauern, während nebenan in der reich bestückten Stiftsbibliothek das Zeitalter des Buches vor sich hindämmert, hier erinnere ich an einen kurzen Satz, der nicht mehr gilt. Geschrieben hat ihn ihn ein Kollege von Ihnen, selbst Sohn eines Klosterhofmeisters und einer Pfarrerstochter, im Jahre 1803, als er als Hauslehrer eines Hamburger Weinhändlers in Frankreich weilte. Ebendort schreibt er eine Hymne, die - im hohen Dichterton - die irrlichternde Schönheit einer Landschaft besingt, ein französisches Arkadien, die schöne Garonne, die Gärten von Bordeaux, die Eichen und die Silberpappeln, den Nordostwind. Und dann, ganz zum Schluss folgt, als überzähliger Vers, überraschend und wie zufällig jener letzte Satz, der nicht mehr gilt.
"Was aber bleibet, stiften die Dichter."
Erschrecken Sie nicht, ich habe nicht vor, eine Gedenkrede auf die Poesie zu halten. Das hier ist ein internationales Literaturfestival auf der Höhe seiner Zeit, keine Nostalgieveranstaltung im Club der toten Dichtung. Und mir schwant schon auch, dass Friedrich Hölderlin selbst so seine Zweifel und – noch mehr - seine Selbstzweifel hatte, wie es sich für einen frühmodernen Literaten auch gehörte. Seine Hymne trägt den Titel "Andenken". Trennung, Abschied und Vergänglichkeit sind ihr eigentliches Thema, gut möglich also, dass dieser letzte Satz schon damals nicht mehr galt, dass auch er in die kulturpessimistische Tradition der Literatur fällt, die so viel Kultur gestiftet hat. Aber als lapidares Postulat, als selbstbewusstes poetisches Manifest stimmt die Behauptung, dass aber bleibet, was die Dichter stiften, doch immerhin das Lob der Einbildungskraft an, des unbezähmbaren Zaubers der Poesie, sie ist ein kühnes Plädoyer für den Reichtum der Fiktion, für einen zumindest imaginierten Aufstand wider die Realverfassung dieser Welt. Und sie steht für eine Zeit, als die Dichtung, die literarischen Fiktionen tatsächlich noch etwas gestiftet haben. Einen tonangebenden Diskurs, einen Echoraum, würden wir heute sagen, Gesellschaftsfähigkeit, Sinn und Streit, im besten Falle Eingriffe und Zugriffe auf die Wirklichkeit, auf die Werthaltungen des guten alternden Abendlandes.
„Sie überlassen die Eröffnungsrede eines internationalen Literaturfestivals mir, einem Journalisten. Daran erkenne ich, dass Sie kapituliert haben.“
Diese Zeiten sind vorbei und entzaubert, daran können auch die Bücher, die nebenan in der Stiftsbibliothek vor sich hindämmern, nichts mehr ändern. Die Gutenberggalaxis, das hat der Medienphilosoph Marshall Mc Luhan schon 1962 postuliert, ist in Auflösung begriffen, das Zeitalter der Schriftlichkeit vergilbt, möglicherweise schrumpfen also auch die Spielräume der Schriftsteller.
Ich erkenne es daran, dass Sie kapituliert haben. Ja Sie, die angestammten Inhaber der Deutungshoheit, Sie, als Teilnehmer einer „vielfältigen Weltbeschau“, wie ich Ihrem Programmheft entnehmen darf, Sie, die Beherrscher der Sprache und des Sprechens wider das Gerede und das Geschrei, Sie, – Sie überlassen die Eröffnungsrede eines internationalen Literaturfestivals mir, einem Journalisten.
Ich darf Sie daran erinnern, dass meinem Berufsstand ein fragwürdiges Renommee eignet. Journalisten, das sind doch die Tagelöhner der Desinformation, sie sind die Repräsentanten der Halbbildung, und die Halbwertszeit ihrer Erkenntnisse reicht über die Zeitung oder den Schnee von gestern selten hinaus. Schon der Philosoph Friedrich Nietzsche hat sich weiland über seinen physischen Ekel an der Sprache der Journalistik geäußert, weil sie im krassen Gegensatz zur Gelehrsamkeit und zur Bildung stünde. Und auch Sie, die Schriftsteller, befänden sich mit dieser Diagnose in bester Gesellschaft, denn ihr wortgewaltiger Kollege Karl Kraus hat schon ein für alle Mal festgestellt:
„Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist, aber effektives Stroh gedroschen wird.“
Ich betreibe diese Selbstbezichtigung, weil ich davon ausgehe, dass Sie als Autoren noch immer den Terminhandel des Geistigen, der Ideen betreiben, wenngleich mit weniger Effektivität und mit weniger Dividende, als das einmal der Fall gewesen sein mag. Ich unterstelle nicht, dass Sie als Dichter den objektivierbaren und schon gar nicht den ewigen Wahrheiten verpflichtet sind und nachhängen, aber doch wohl der Wahrhaftigkeit Ihrer Wahrnehmungen, der inneren Stringenz ihrer Gedanken, der Wahrheit ihrer Fiktionen, der Unverwechselbarkeit Ihres Ausdrucks, der Einzigartigkeit Ihres Tonfalls. Die Frage ist allenfalls, wer Ihnen noch zuhört.
 
 
"Was aber bleibet, stiften die Journalisten" – könnte ich nun dagegenhalten. Dieser Satz galt einmal. Das waren noch Zeiten, als wir die Fackel der Aufklärung, das Pathos der Aufdeckung vor uns hertragen konnten. „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien" schrieb der Soziologe Niklas Luhmann, noch 1996, beinahe schon rückblickend. Wir also, die säkularisierten Schreiber waren die Triebkraft der Globalisierung, wir standen ganz vorne an der Front der Weltwahrnehmung, und wir veränderten sie auch, wir wagten die Kritik , wir probten den Aufstand gegen die Mächtigen. Und Sie, liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Sie hatten die Wahl. Sie konnten sich unserer Bewegung anschließen, als engagierte Literaten, Sie konnten Ihre fiktionalen Archive entrümpeln und mitmarschieren an der Front der medialen Welterschließung und Welteroberung oder aber sich schmollend zurückziehen hinter die Bücherberge, in die Stiftsbibliotheken. Beinahe hätten wir sie abgedrängt in die Winkel der Schöngeistigkeit, die nicht mehr galt und nicht mehr zählte.
Doch ich kann Sie beruhigen, auch diese Zeiten sind vorbei, auch wir, die Journalisten haben kapituliert. Wir leben ja nachweislich in Zeiten, in denen demokratisch gewählte Präsidenten die Medien als "Feinde des Volkes" bezeichnen und ein nicht näher definiertes Volk oder dessen gewählte oder selbsternannte Vertreter sie als "Lügenpresse" verdächtigen. Es sind Zeiten, in denen Präsidenten die Herren der Fiktionen sind, Präsidenten, die nachweislich und mit messbarem Wahlerfolg lügen, unter dem Jubel ihrer Gefolgschaft die Presse- und die Meinungsvielfalt beschneiden, Journalisten, auch Schriftsteller ins Gefängnis werfen und die Rechtschaffenheit des Rechtsstaates in Zweifel ziehen. Nicht die besten Zeiten mithin für jene Dienstleistung an der Demokratie, die Zeitungen, Radio- und Fernsehsender seit Jahrzehnten in ihre Leitbilder schreiben und für die sie noch immer bezahlt werden. Der Journalismus, bislang der alternativlose Transmissionsriemen zwischen Politik und Gesellschaft, läuft - je nach Weltgegend schnell oder schleichend – Gefahr, seine Freiheit, seine Glaubwürdigkeit und seine Geschäftsgrundlage einzubüßen.
„Wir leben ja nachweislich in Zeiten, in denen Präsidenten die Herren der Fiktionen sind. Präsidenten, die die Meinungsvielfalt beschneiden, Journalisten, auch Schriftsteller ins Gefängnis werfen und die Rechtschaffenheit des Rechtsstaates in Zweifel ziehen.“
In einer Satiresendung des deutschen Fernsehens tritt im Februar 2017 Immanuel Kant auf, in Gestalt eines fiktiven Wiedergängers, gleichwohl mit feiner Brokatweste und barocker Perücke ausgestattet. Von einem zeitgenössisch ernüchterten Journalisten wird der Königsberger Philosoph mit den neuen Utensilien der Wissensgesellschaft vertraut gemacht. Kant erhält ein Smartphone und ein Twitteraccount - und ist begeistert. „Mit diesem Werkzeug kann sich jeder am Erkenntnisprozess beteiligen schwärmt er, da muss meine Aufklärung ja in aller Welt verbreitet sein.“ Sogleich tippt er den kategorischen Imperativ in sein Handy: “Handle so, dass die Maxime Deines Willens zugleich auch eine Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung sein könnte“. Das geht sich aus, dafür genügen 140 Zeichen – doch der Tweet bleibt lange ohne jeglichen Widerhall im Netz. Kommentar des Journalisten: „Die Instrumente der Aufklärung sind in die Hände von Schminkfritzen geraten. „Bibis Beauty Palace“ hat 1000% mehr Abonnenten als die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Dann aber, nach langer Pause aber melden sich Jean Jacques Rousseau und Johann Gottlieb Herder via Twitter zu Wort und nennen Kant einen Königsberger Klops. Kant verliert die Nerven, nennt Rousseau postwendend einen Froschfresser, Herder ein Arschloch. Das Ergebnis ist ein Shitstorm, der mit deutschem Idealismus wenig und mit der Aufklärung nichts gemein hat.
Die Diagnose trifft zu, auch außerhalb kabarettistischer Schonräume. Im Dickicht der Digitalisierung droht der Journalismus seine als Naturgesetz missverstandene Deutungshoheit zu verlieren. Die Demokratisierung der medialen Produktionsmittel hat nicht nur die Pressefreiheit von einer überschaubaren Elite auf 3 Milliarden Menschen mit Internetanschluss übertragen, sie hat auch einen Nivellierungswettbewerb in Gang gesetzt, der der Befestigung der eigenen Meinung, Stimmung oder Emotion zuträglicher scheint als dem noblen Austausch von Gedanken, dem Ausgleich von Ideen und Ideologien. Mit der erhofften Globalisierung der Aufklärung konkurriert eine faktische Globalisierung der Affekte und der kalkulierten Empörungsbewirtschaftung.
Das sind wir nun endlich angelangt, auf Umwegen, im postfaktischen Zeitalter, in der undurchdringlichen Gegenwart von Fake News, Twitter und Facebook, im düsteren Labyrinth alternativreicher Fakten und Fiktionen. Und hier gelten etwas andere Bildungsmaximen. Fragen Sie Donald Trump. „I love the poorly educated“ hat er im Wahlkampf gesagt, und dass sich in seiner Bibliothek ein einziges Buch befindet, jenes über den eigenen Erfolg, von einem Ghostwriter geschrieben.
„Kant verliert die Nerven, nennt Rousseau postwendend einen Froschfresser, Herder ein Arschloch.“
Was, liebe Dichter, hat das mit Ihnen zu tun? Vielleicht sind sie ja längst virtuos und virtuell unterwegs auf den papierlosen Plattformen, vielleicht gelingt es Ihnen ja, die alten Weisheiten auf neuen Webseiten zu beheimaten. Wenn nicht, bleibt Ihnen immer noch der trotzige Rückzug in die Stiftsbibliothek, in die Bücherburgen, dort wo, Friedrich Hölderlin, Immanuel Kant, Karl Kraus vor sich hindämmern.
Doch ich muss Sie warnen. Wir erleben gerade eine epistemologische Erschütterung, die auch vor den Schonräumen der Literatur nicht halt macht. Auf den Verschiebebahnhöfen des Wissens und der Wahrheiten herrscht sehr reger Verkehr. Die Freiheit Ihrer Fiktionen ist bedroht. Sie müssen die humanistischen Möglichkeitsräume Ihrer Kunst verteidigen, Sie, die angestammten Erzähler, dürfen nicht zulassen, dass die Narrative unserer Zeit von Spindoktoren, von Maschinen, von Algorithmen verfasst werden.
Freilich, von einem Journalisten können Sie sich keinen guten Rat erwarten. Allenfalls könnte ich daran erinnern, was ich, der Sohn eines Schriftsetzers, von meinem Vater gelernt habe. Damals, im Buchzeitalter, als die Buchstaben noch aus Messing waren und die Zeilen aus Blei, habe ich – als Schüler - gelernt, wie man die Spatienkeile reinigt, jene feingeschliffenen Keile aus Metall, die einmal die Zwischenräume gebildet haben, die analphabetische Leere zwischen den Wörtern. Es war mein erstes gesammeltes Schweigen. Und das wäre doch eine Möglichkeit. Besetzen Sie die Wortzwischenräume, die Zwischenräume der digitalen Schwarzweißpostulate mit der analogen Wahrhaftigkeit Ihrer Wahrnehmungen, der inneren Stringenz Ihrer Gedanken, der Wahrheit Ihrer Imaginationen, mit der Unverwechselbarkeit Ihres Ausdrucks, mit Ihrem einzigartigen Tonfall, besetzen Sie mit Ihrer Sprache unverdrossen die Leere zwischen dem Gerede und dem Geschrei.
 
„Literatur ist Hinwendung an die Sprache“. Das hat eine der Ihren gesagt, Sabine Gruber, vor einem Jahr, hier, an ebendieser Stelle. „Sie ist ein Medium der Gesellschaftsanalyse und –kritik, selbst wenn sie diese Funktion verweigert, im besten Fall wird sie routinierte Wahrnehmung hinterfragen und Verlorengeglaubtes hervorzaubern können.“
Da leuchtet sie ja doch noch einmal auf, ein letztes Mal vielleicht, die alte Zauberkraft der Poesie, das kühne Lob der Fiktion wird angestimmt, nicht mehr im ganz so hohen Dichterton vielleicht, aber noch gut hörbar, und noch einmal wird der Aufstand gegen die Realverfassung unserer Welt geprobt, auch und vor allem in der Verweigerung.
Ich darf also, liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller, davon ausgehen und wünschen, dass dieses Festival der internationalen Literatur ein solches wird. Sie werden ein Lied anstimmen auf das Südtiroler Arkadien, den schönen Eisack, auf die Gärten von Neustift, gerne auch auf die Eichen und die Silberpappeln, den Nordostwind, selbst wenn es sie gar nicht gibt, da draußen. Sie werden den Modergeruch der alten Stiftsbibliothek atmen, Sie werden lesen und reden und überzählige Verse schreiben, Sie werden mit Klosterhofmeistern plaudern und mit Pfarrerstöchtern, sie werden mit Verlegern ins Gespräch kommen, mit Weinhändlern und - vielleicht – mit Journalisten.
Was aber bleibet, das mögen die Dichter stiften. Dieser Satz gilt.