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Zikaden

Ein Projekt zu Kunst und Literatur - kuratiert von Heinrich Schwazer und Christine Vescoli - ist ab 12.6. in der Kunsthalle West im Eurocenter Lana zu sehen. 
Kunsthalle West3
Foto: Kunsthalle West

Malerei sei „stumme Dichtung“ und Dichtung „redende Malerei“ hielt Horaz in seiner utpictura poesis-Formel fest. Recht geschwisterlich waren die „Schwesterkünste“ jedoch nie. Für Leonardo da Vinci war die bildende Kunst im Wettkampf zwischen den Künsten, der sogenannte „paragone“, der Dichtung überlegen. Gotthold Ephraim Lessing arbeitete in seiner wirkungsmächtigen Schrift „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766) eine strikte kategoriale Trennung der Künste heraus, die von den Romantikern sogleich wieder nivelliert und in eine Universalpoesie überführt wurde.

 

Im 20. Jahrhundert hat der Modernismus der Malerei jeglichen Kontakt mit der Literatur verboten, gleichzeitig wanderten im Futurismus, in der Konzeptkunst und der visuellen Poesie Worte in den Bildraum ein, um dort als das Andere der Malerei (die sprachliche Mitteilung) zu ihrem Eigenen gemacht zu werden. Aktuell haben die neuen digitalen Medien inter-/mediale Möglichkeiten eröffnet, die althergebrachte Text-Bild-Unterscheidungen scheinbar überflüssig machen. Die Gegenwartskultur und -kunst sind von einer schier totalen Durchlässigkeit zwischen den Medien geprägt.

In Blind Dates gingen Kunst und  Dichtung eins ins andere über und ordneten sich entlang einer allmählichen Verfertigung eines Ganzen.

Das experimentierfreudige Theater und die Performance Art sowie die Spoken-Word-Dichtung beispielsweise problematisieren und überschreiten die Grenzen ihres eigenen Mediums auf vielfältige Weise. Begleitet wird der Siegeszug der Medienbilder (der digital codierten Bilder) und dem damit einhergehenden vorgeblichen Ende der Ära des künstlerischen Bildes, von scheinbar widersprüchlichen Stichworten wie „Bilderlosigkeit“, „Bilderflut“ sowie einer fortschreitenden Marginalisierung von Sprache, Schrift und Buchkultur.

 

Im Kontext solcher Fragestellungen ist die Ausstellung „Zikaden“ in der Kunsthalle West angesiedelt. Am Anfang stand die Idee, den in der Festung Franzensfeste im Rahmen der Ausstellung „Lockout“ (2020) begonnenen Dialog zwischen bildender Kunst und Literatur fortzusetzen. War es damals noch weitgehend ein Nebeneinander, so geht es jetzt um die Erprobung von Möglichkeiten des Flüssigen dazwischen. Nach dem Prinzip der stillen Post und dem Lieblingsspiel der Surrealisten, „Cadavre Exquis“ lieferte ein erster Künstler ein Bild ein, auf das ein/e Dichter/in mit einem Text antwortete. Der/die nächste Künstler/in antwortete auf diese Antwort. Das ging fort und fort, ohne dass der eine wusste, wer die andere ist. In Blind Dates gingen Kunst und  Dichtung eins ins andere über und ordneten sich entlang einer allmählichen Verfertigung eines Ganzen. Denken, Stil und Methoden der KünstlerInnen und SchriftstellerInnen werden in immer neuen gegenseitigen Übersetzungen so anschaulich wie selten. Erst am Ende, bei der Ausstellung, sehen alle alles. Einem Chor vergleichbar ist das Gesamtwerk eine Stimme aus Stimmen.