Cultura | Salto Afternoon

Emotional aufgeladen

Am Samstag spielte Arcadi Volodos in Salzburg, gestern war er mit Stücken der Romantiker Schumann und Schubert in Bozen. Sein Auftritt rief komplexe Gefühle auf den Plan.
Arcadi Volodov
Foto: Tiberio Sorvillo
Der Saal des Konzerthauses war für Volodos erstes Solo-Recital in Bozen mäßig, mit dem Künstler gewogenem Publikum gefüllt, das Licht auf seinen Wunsch dämmrig. In Reihe G ließ sich die expressive Mimik des Künstlers noch lesen, in denen hinter mir mag sie sich im Dämmer verloren haben. Den Auftakt machte der vor einem Vierteljahrhundert vielfach auf mechanische Virtuosität reduzierte Pianist mit der „Gasteiner“ Klaviersonate in D-Dur von Franz Schubert.
Der erste Satz, in einem für Schubert atypischen allegro vivace spielte den Stärken von Volodos zu: Sein direkter, energischer Einstieg und das dialoghafte Spiel seiner beiden Hände zeigten ihn in vollkommener Kontrolle. Die beidhändig, fanfarenhaften Motive des Stücks schliff er auf verschiedene Gefühlslagen zu: Triumphal, dringlich, freudig. Im zweiten Satz - con moto - wurden die leisen Töne besonders deutlich hörbar, zarteste zu nichts zerfallende Töne perlen sanft am sterbend echoenden Donner seiner mit Nachdruck gespielten Noten vorbei und erhalten den Raum, den sie vor dem verschwinden brauchen.
 
 
Den Scherzo - ein weiteres allegro vivace -nutzte Volodos zum Spiel mit der Aufmerksamkeit des Publikums: Mit einer überraschenden Verspieltheit an den Tasten, die mit Phrasierungen, unerwarteten Kleinst-Pausen und einem Wechsel zwischen Strenge und Sanftheit Strukturen herausarbeitete, bevor sich der Interpret gegen Ende des Satzes alles Scherzhafte zugunsten romantischer Emotionalität ablegte. Dann, im Rondo - allegro moderato - schlug der Russe eine Brücke zum nächsten Programmpunkt, den „Kinderszenen“ von Schumann. Zuvor zeigte er jedoch die große Autonomie seines Spiels - mit doppelter Präzision im dynamischen Anschlag - sowie der tänzerischen Qualität im Rondo, bevor es in die Pause ging.
 

Robert Schumann

 
Die „Kinderszenen“, scheinbar einfache Stücke, erfüllte Arcadi Volodos mit emotionalem Leben, dass über die Emotion des alltäglichen Lebens weit hinausgeht. Es sind Stücke, nicht aus der Perspektive eines Kindes, sondern der eines Erwachsenen, der zurückblickt, Erinnerung emotional auf- und überlädt. Wer sich bei einem kitschigen Film schon einmal über die Intensität und nicht Qualität des Schauspiels geärgert hat, mag verstehen was gemeint ist. Volodos empfindet die den Noten zugrunde liegenden voll und ganz beim Spielen, seine Gesicht, welches in Momenten seines nicht mehr zu sein scheint, lässt darauf schließen. Die 13 Miniaturen, mit Versatzstücken und Klangzitaten an das jeweils vorangegangene reichen vom zucker- bis zum bittersüßen, sind mit nostalgischer Verklärung durchdrungen. Ausgehend von einem sorgenfreien, ohne eine harsche Note auskommenden „Von fremden Ländern und Menschen“, über eine fast leidende „Träumerei“ bis zu den letzten Tönen eines in die Bestandteile der Stille zerfallenden „Der Dichter spricht“ überflutet Volodos das Publikum mit Gefühlen, gerade, da die Trennung der 13 Stücke nach der „Träumerei“ zusehends schwieriger wird, die fast nahtlosen Übergänge emotionale Realitäten miteinander vermischen.
 
 
Die Fantasie in C-Dur von Schumann sollte mit ihren drei Sätzen den Abschluss des Programmteils des Abends bilden. Hier trafen wieder der Maximalist und Minimalist Volodos aufeinander: Der „im Legenden Ton“ gehaltene erste Satz von stürmender Vortragsqualität bestach sowohl durch Textur, wie auch durch die absolute Dichte der zueinander in Beziehung gestellten Töne. Lieferte der zweite Satz mit seinen Dissonanzen zwischen linker und rechter Hand auch ein anderes Bild, die Tragik und das im Spiel erlebte Leid machten es schwer, sich nicht ein Stück weit aus dem Konzert in sich selbst zurückzuziehen. Auf Volodos Lippen waren unausgesprochene, vielleicht gemurmelte Worte zu sehen, nicht zu lesen. Der dritte und letzte Satz versuchte sich wieder in die Emotion des Triumphs aufzuwiegeln, als Stimmung kam eine manische Freude an. Fanfarenhafte Schläge, an eines der Anfangsmotive des Abends erinnernd, klingen nun blechern in die Emotionen hinein. Es ist immer noch eine Art von Freude zu spüren, nur ihre Qualität hat sich verändert, wird bis zum letzten Ansetzen für den Schlussakkord neu verhandelt. Arkadi Volodos hat im Konzerthaus in mir Gefühle geweckt, die sich nicht so mir nichts, dir nichts einordnen lassen und gerne eine Schublade für sich hätten. Dafür gab es lang anhaltenden Applaus, der wiederum mit Zugaben belohnt wurde. Aber nach fast zwei Stunden hoch emotionaler Musik waren da eigentlich viele auch schon satt.