Economia | Tourismus

Lebensraum-Management

Südtirol soll zum idealen Lebensraum sowohl für Einheimische als auch Touristen werden. Was das neue Tourismuskonzept sonst noch bereit hält.
Arnold Schuler
Foto: LPA
Salto.bz: Herr Landesrat Schuler, erstmals spricht sich die Südtiroler Landesregierung im Landestourismuskonzept (LTEK) für eine Bettenobergrenze aus? Weshalb hat man sich zu diesem Schritt entschlossen?
 
Landesrat Arnold Schuler: Die wirtschaftliche Entwicklung Südtirols während der vergangenen Jahrzehnte war ziemlich beeindruckend. Von einer der ärmsten Regionen Italiens ist unser Land – auch dank des Tourismus – zu einem der wohlhabendsten Europas aufgestiegen. Dabei haben die vielen Familienbetriebe, die den Tourismus in Südtirol geprägt haben, vor allem auf das Qualitätsmerkmal gesetzt – eine unserer Stärken – aber eben auch auf das Wachstum. Wie der Landwirtschaft sind aber auch dem Tourismus Grenzen gesetzt. Das bedeutet nicht, dass das Wachstum an sich eingeschränkt wird, nur soll zukünftig Wachstum in erster Linie für die Qualität gelten und nicht für die Quantität.
 
Die Touristen besuchen uns nicht, um im Stau zu stehen.
 
Was sind allgemein die Ziele, die man sich mit dem LTEK gesetzt hat?
 
Einerseits wollen wir die Akzeptanz für den Tourismus in der Bevölkerung erhalten und andererseits Südtirol den Touristen weiterhin als attraktives Urlaubsziel präsentieren. Sie besuchen uns schließlich nicht, um im Stau zu stehen. Somit geht es in erster Linie nicht um ein Destinationsmanagement, sondern um ein Management des gesamten Lebensraumes, in dem sich Touristen wie auch Einheimische wohlfühlen. Wie bereits angesprochen, spielt die Akzeptanz dabei eine wichtige Rolle, ein weiterer Schlüsselbereich ist der Umgang mit den Ressourcen wie Wasser, Grund und Boden. Es ist deshalb unser erklärtes Ziel, diesen Lebensraum für alle so ressourcenschonend wie möglich zu nutzen. Aber auch der Fachkräftemangel in der touristischen Branche wird immer mehr zum problematischen Thema.
 
 
Alle scheinen sich darüber einig zu sein, dass der Tourismus nachhaltiger und ressourcenschonender gestaltet werden muss. Nur über das „Wie“ streitet man sich. Was ist der Ansatz der Landesregierung?
 
Über die zentralen Schwerpunkte herrscht bei allen Diskussionspartnern Einigkeit. So zum Beispiel, dass wir ein modernes Besuchermanagement brauchen. Es ist leider eine Tatsache, dass der Tagestourismus in einigen Gebieten überhandgenommen bzw. ein Ausmaß erreicht hat, dass er zu einer Belastung geworden ist. Es gibt heute allerdings bereits viele Möglichkeiten, Besucherströme zu lenken wie beispielsweise über Online-Buchungen. Ein weiterer Schwerpunkt betrifft die Qualitätskriterien bei den Einstufungen der Betriebe. Wir haben uns auf eine wichtige Neuerung geeinigt, und zwar dass die Zertifizierungen im Bereich der Nachhaltigkeit bei der Einstufung eines Betriebes zukünftig eine wichtige Rolle spielen muss. Das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit soll sich also nicht nur auf schöne Worte beschränken, dieses Konzept soll konkrete Auswirkungen auf die Einstufung der Betriebe sowie auch auf Events, wie beispielsweise Christkindlmärkte, haben.
 
Mit der Zertifizierung der Betriebe sprechen Sie jene Zertifizierung an, welche die Klima Agentur bereits in Angriff genommen hat?
 
Nein, hier geht es um die Einstufung der gastgewerblichen Beherbergungsbetriebe und die Zuweisung von Sternen aufgrund ihrer Merkmale. Zukünftig soll Nachhaltigkeit in den Kriterienkatalog aufgenommen werden. Für die Vergabe der Sterne wird es also weniger entscheidend sein, ob in jedem Zimmer ein Telefon vorhanden ist oder wie viele Gänge ein Menü hat, sondern ob die zentralen Themen der Zeit berücksichtigt werden – und ein zentrales Thema ist eben die Nachhaltigkeit.
 
Nachhaltigkeit soll sich nicht nur auf schöne Worte beschränken.
 
Ist das Landestourismuskonzept auch als „Riegel“ zu verstehen? Sowohl ein „Genug“ für die touristisch stark erschlossenen Gebiete, als auch ein „Konservieren“ der wenig erschlossenen Gebiete?
 
Grundsätzlich hat uns die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, dass die stärksten Entwicklungen in den ohnehin bereits stark erschlossenen Gebieten stattgefunden haben. Verständlicherweise ist das wirtschaftliche Interesse aufgrund der guten Auslastung dort am größten, während in vielen anderen Gemeinden die Entwicklung ein wenig dahin dümpelte. Obwohl durchaus Erweiterungsmöglichkeiten vorhanden gewesen wären und Zonen ausgewiesen wurden, wurden sie in den touristisch wenig erschlossenen Gebieten oft jahrelang nicht genutzt.
Unser Ziel ist es aber nicht, einen einheitlichen Entwicklungsstand zu schaffen. Dies wird auch nicht möglich sein, denn der Stammgast der einen Gemeinde besucht als Tagestourist eine andere Gemeinde - wir beobachten innerhalb des Landes eine starke Mobilität. Unser Fokus muss deshalb auf das gesamte Land gerichtet sein und nicht auf einzelne Gemeinden.
Um die touristische Entwicklung landesweit zu regulieren, wurde unter anderem das Konzept des Bettenkontingentes entworfen. So können Betten, die in touristisch stark entwickelten Gemeinden frei werden, teilweise in das Landeskontingent übergehen, was zu einer Umverteilung in die touristisch schwach entwickelten Gebiete führen kann. Trotzdem wollen wir damit im Rahmen der Rekordzahlen von 2019 und der erworbenen Rechte bleiben.
 
Wie HGV-Präsident Manfred Pinzger kürzlich Salto.bz gegenüber erklärte, sieht er die Idee der Bettenbörse recht skeptisch. Seiner Meinung nach wäre die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass in touristisch stark erschlossenen Gebieten Betten frei würden, weshalb für die weniger erschlossenen eine andere Lösung gefunden werden muss.
 
Die Zahlen belegen, dass auch in touristisch stark entwickelten Gebieten Betten frei werden. Daraus ergibt sich der Spielraum für die geplante Umverteilung. Natürlich kann man auch überlegen – und das lässt das Konzept durchaus zu – kleinen Betrieben vorab ein bestimmtes Kontingent zuzuweisen, welches aber in den kommenden Jahren wieder ausgeglichen werden muss. Somit entbehrt die Aussage, dass man mit dem neuen Konzept kleine Betriebe zum Aufgeben zwingt, jeder Grundlage. Die dafür notwendige Flexibilität wird sicher zugelassen werden.
 
 
 
Laut Erhebung im Rekordjahr 2019 verfügt Südtirol derzeit über rund 228.000 Betten. Dazu kommen noch rund 20.000, die bereits genehmigt wurden, macht insgesamt 250.000. Ein angemessenes Bettenkontingent?
 
Wie viele Betten es am Ende sein werden, wissen wir noch nicht. Zum einen, weil die Betriebe die Zahl für das Referenzjahr 2019 richtig stellen können. Weiters wird sich bei den erworbenen Rechten erst zeigen, wieviele davon in Anspruch genommen bzw. umgesetzt werden. Diese neue Form der Zählung, Nächtigungen und Betten müssen übereinstimmen, erlaubt uns übrigens, diese auch zu kontrollieren.
 
Sowohl der Dachverband für Natur- und Umweltschutz als auch der HGV kritisieren die Sonderbehandlung von Airbnb und UaB. Wird es eine Gleichstellung von kleinen Gastbetrieben mit UaB-Betrieben geben bzw. eine eigene Regelung zu Airbnb?
 
Für Airbnb wird es mit Sicherheit keine Sonderbehandlung geben. Erklärtes Ziel dieses Konzeptes ist es, auch diesen Bereich zu regulieren, der massive negative Auswirkungen auf die Wohnungssituation in den Städten hat.
Es sind zwei Sonderregelungen im Konzept vorgesehen: zum einen die historischen Ortskerne und zum anderen – bis zu einem bestimmen Ausmaß –Urlaub am Bauernhof. Sowohl die historischen Ortskerne als auch die kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betriebe sind von übergeordnetem Interesse. Wir versuchen Anreize zu schaffen, damit die historischen Ortskerne durch den Tourismus wieder belebt werden – ausgenommen sind die touristisch stark entwickelten Gebiete. Der Urlaub auf dem Bauernhof wird nicht grundsätzlich ausgenommen, sondern allein dort, wo er zum Erhalt der kleinbäuerlichen Struktur beiträgt. Die Kriterien muss die Landesregierung in den nächsten Wochen definieren. Wenn wir nämlich die kleinstrukturierte Landwirtschaft erhalten möchten, müssen wir einigen bäuerlichen Familienbetrieben die Möglichkeit geben, Tourismus als zusätzlichen Erwerbszweig auf ihrem Hof anzubieten.
 
Für Airbnb wird es mit Sicherheit keine Sonderbehandlung geben.
 
Kritik gab es auch an der zu geringen Partizipationsmöglichkeit. Die Pustertaler Bürgermeister kritisieren beispielsweise, dass die Gemeinden im Vorfeld zu wenig eingebunden worden sind, auch der Dachverband hat eine breite Diskussion vermisst. Wie reagieren Sie auf diese Vorwürfe?
 
Was den Dachverband für Natur- und Umweltschutz anbelangt, nehme ich die Kritik zur Kenntnis, aber nicht was die Gemeinden betrifft. Dort wurde dieses Konzept im Rat der Gemeinden vorgestellt, sogar noch bevor es in der Landesregierung besprochen wurde. Zur Sprache sind dabei alle zentralen Punkte gekommen. Die Bürgermeister waren also die ersten, die mit einbezogen worden sind. Deshalb hat mich dieser Vorwurf etwas verwundert. Wir haben aber noch viele Details zu regeln und natürlich sind weitere Vorschläge von ihrer Seite willkommen.
 
Können Sie uns nähere Informationen zum „Fahrplan“ geben? Angeblich sollen die Durchführungsbestimmungen im April auf die Tagesordnung der Landesregierung gesetzt werden?
 
Ich muss hier vorausschicken, dass bereits mit Inkrafttreten des neuen Landesraumordnungsgesetzes keine Ausweisungen von neuen touristischen Einrichtungen mehr möglich sind. Ebenfalls nicht mehr möglich ist eine quantitative und qualitative Erweiterung der Betriebe nach den alten Bestimmungen. Alle anderen Punkte werden nun sukzessive über Gesetzesänderungen bzw. über Beschlüsse der Landesregierung erfolgen. Die weiteren Entscheidungen werden voraussichtlich in den kommenden Wochen bzw. Monaten fallen.
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Herta Abram Ven, 03/11/2022 - 13:25

Die Mehrheit der SüdtirolerInnen ist zu gewinnen für nachvollziehbare, transparente Maßnahmen.
Deswegen ist eine " zur Kenntnisnahme" der Kritik des Dachverband für Natur- und Umweltschutz zu wenig. Es braucht die Bereitschaft der LR zur Zusammenarbeit mit demselben.

Ven, 03/11/2022 - 13:25 Collegamento permanente