Ambiente | Weltausstellung

EXPO still gestanden! Wasser marsch!

Das wichtigste Nahrungsmittel wurde von den EXPO-Veranstaltern entweder vergessen oder aber gar verdrängt: schlichtes Leitungswasser. Warum eigentlich?
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Es gibt heuer wirklich sehr viele gute Gründe, die Weltausstellung 2015 in Mailand zu besuchen, denn dort geht es um nicht weniger, als um die Zukunft der globalen Ernährung. Die Veranstalter wollten die einstige „Leistungsschau“ eher zu einem „Diskussionsforum“ umgestalten und haben dabei aber das wichtigste Nahrungsmittel entweder vergessen oder aber gar verdrängt: sauberes Brunnenwasser, auch genannt Leitungs- oder Hauswasser.

Vielleicht waren meine Erwartungen einfach zu groß, mit der ich in Mailand das Eingangstor zum Messegelände passiert habe, vielleicht habe ich deshalb insgeheim schon geahnt, dass ich eines meiner Lieblingsthemen, nämlich das sogenannte„Leitungswasser“ dort nur sehr stiefmütterlich behandelt sah. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Nicht trinkbares Wasser als Architekturdekoration in Form von Fassadenvorhängen, Springbrunnen, Wasserspielen, Planschbecken und Kanälen bzw. dann trinkbar in umweltschädlichen Plastikflaschen zum Kaufen, gibt es auf der Messe natürlich im nahezu unendlichen Überfluss.

Wer aber, so wie ich, gerne frisches Brunnenwasser in seine mitgebrachte Mehrwegflasche füllt, der muss lange suchen und hierzu weite Wege auf dem Gelände zurücklegen. Das kann jetzt ein Versehen der Veranstalter sein, aber möglicherweise offenbart sich hier schon die Vision der globalen Großkonzerne, die uns ja gerne glauben machen wollen, dass das, was quasi gratis aus der Leitung sprudelt von minderer Qualität sei, als gekauftes und auf der Autobahn transportiertes Trinkwasser in Plastikflaschen.   

Der Verdacht, dass die großen Nahrungskonzerne hier im Hintergrund der Messekonzeption ordentlich mitmischen, erhärtet sich nach dem Betreten des Schweizer Pavillons. Als einziges Land hat die Schweiz die Versorgung mit Trinkwasser zu ihrem zentralen Thema gemacht. Unter dem Motto „Water for Europe“  findet der Besucher im Inneren des düster beleuchteten Pavillons eine sinnlose Naturstein-Installation, mit der veranschaulicht werden soll, dass Wasser als Regen von oben auf die Schweizer Berge tropft, bevor es später dann in verschiedene Flüsse fließt. Da wäre man ja von alleine auch nie drauf gekommen.

Erst beim Verlassen des Schweizer Pavillons entdeckt der -ob dieser Sensation- verwirrte Besucher auf Hinweisschildern, wer sich für diese didaktische Bankrotterklärung zuständig fühlt und es ist beileibe keine Überraschung : Der weltgrößte Lebensmittelkonzern, die Schweizer Firma Nestlé, die sich in den vergangenen Jahren bereits in zahlreichen Ländern die Wasserrechte erworben hat, outet sich unverforen direkt: „Nestlé welcomes you to Feed Your Mind“ verkünden Informationstafeln am Seitenrand des Schweizer Pavillongrundstücks überaus anmaßend. 

Leitungswassertrinker wie ich, die gerne frisches Brunnenwasser trinken, gehören zu den natürlichen Feinden des Food-Giganten, da wir als Konsumenten ausfallen und damit nicht zur Renditesteigerung beitragen können. Der Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe erklärte im Fernsehinterview unmißverständlich, dass er Wasser nicht für ein öffentliches Gut hält, sondern, dass dieses idealerweise komplett privatisiert und den Regeln des freien Marktes unterworfen werden sollte. Wie das dann aussieht, wenn Nestlé in Afrika fremde Quellen abschöpft, um es dann gewinnorientiert bei uns zu verkaufen, läßt sich in diversen ARD-Dokumentationen bereits anschauen.

Wenn man so will, ist das also die eigentliche H2O-Message der Konzerne, die von dieser EXPO ausgehen soll: „Wasser ist eigentlich ausreichend vorhanden und wir können es zur allgemeinen Belustigung und Unterhaltung in Fontänen und Kaskaden durch die Luft wirbeln lassen. Wasser zum Trinken in Plastikflaschen ist ebenfalls ausreichend vorhanden und du kannst es jederzeit von uns abgepackt zum Literpreis von ca. 3 Euro käuflich erwerben. Willst Du hingegen frisches Brunnenwasser, so wie zu Hause, dann musst du suchen und dich auf einen langen Weg machen und dich am Ende in eine Schlange mit vielen anderen anstellen."

Für einige Völker ist diese tägliche Wassersuche ja bereits schon bittere Realität und Nestlé ist nicht ganz unschuldig an dieser Situation. Derzeit wundern sich viele Einheimische, weshalb eigentlich so viele Flüchtlinge zu uns kommen. Neben Krieg, Not und Elend ist auch Wassermangel häufig eines der Fluchtmotive, an denen wir, die reichen Industrienationen, nicht ganz unschuldig sind. Ich wundere mich überhaupt nicht, dass diese Menschen zu uns kommen. Mich wundert eher, dass sie noch so freundlich sind und uns noch demütig anlächeln. Ich hätte großes Verständnis dafür, dass sie uns einfach ihre Verachtung spüren lassen, nachdem wir ihnen, unter anderem durch Nestlé, ihre Lebensgrundlage zerstört haben und sie dadurch zur Flucht zwingen.

Durch unser Konsumverhalten können wir unmittelbar dazu beitragen, dass es für Firmen wie Nestlé künftig nicht mehr so lukrativ sein könnte, fremdes Trinkwasser in Plastikflaschen abzupacken, zu verschiffen und zu verkaufen. Den Ängstlichen unter uns, denen unser Hauswasser vielleicht nicht ganz geheuer ist, kann der Verfasser dieser Zeilen versuchen mit seiner bisherigen Lebenserfahrung sämtliche Bedenken zu nehmen: Ich trinke seit über dreißig Jahren fast ausschließlich Leitungswasser (und zwar überall (!) in Europa), habe dadurch ein unerschütterliches Immunsystem, keine Allergien und bin nie krank.

Weshalb so viele Konsumenten, auch die mit einer ökosozialen Grundhaltung, Trinkwasser in Plastikflaschen kaufen, das ist für mich unerklärlich und lässt sich rational kaum erklären. Trinken wir doch bitte lieber öfter unser feines Südtiroler oder Münchner Hauswasser und wir werden merken, dass uns nichts fehlen wird, aber stattdessen der Müllberg in der Küche deutlich schrumpft.

Zur EXPO sollte man natürlich trotzdem fahren, alleine schon wegen der fantastischen Atmosphäre und dem globalen Empfinden, dass nämlich die ganze Welt hier um einen herum versammelt ist. Die EXPO ist ja in erster Linie auch ein Architekturfest und es lohnt sich schon alleine deshalb der Eintritt, nur um zu bestaunen, was den kreativen Köpfen weltweit wieder an Pavillonkreationen eingefallen ist. Ob man dann noch darüber hinaus etwas an Erkenntnissen für eine bessere Welt mitnimmt, bleibt ja jedem selber überlassen und das Ernährungsthema bietet ja eigentlich mannigfaltive Ansätze für Diskussionen.

Beim Thema Trinkwasser hat die EXPO in meinen Augen leider komplett versagt und es liegt der Verdacht nahe zu vermuten, dass dahinter leider (ein) System steckt.

 

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Stefan Hauptmann Mer, 06/17/2015 - 16:33

Eine sehr interessante Thematik, welche uns in Zukunft immer mehr beschäftigen wird. Wir haben ein Riesenglück in Südtirol, sauberes Wasser aus der Leitung beziehen zu können. Besonders nach längeren Auslandsaufenthalten, wo Trinkwasser größtenteils von Coca Cola und Nestle bereitgestellt wird, wird dieser Fakt ersichtlich. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen... Konzerne kaufen Wasserquellen und lösen alle Inhaltsstoffe aus dem Wasser mithilfe der sogenannten Umkehrosmose und geben künstliche Stoffe/Mineralien hinzu. Heraus kommt ein neues "verbessertes" Produkt welches sich besser und teurer verkaufen lässt. Gleichzeitig wird das Grundwasser immer stärker durch Chemikalien belastet (z.b. durch Schiefergasförderung). Diese Entwicklung ist in meinen Augen eine Katastrophe.

Mer, 06/17/2015 - 16:33 Collegamento permanente