Politica | Raum und Landschaft

Wo ist Art. 105?

Das neue Urbanistikgesetz löscht eine Rekursmöglichkeit für den “kleinen Bürger”, bemängelt die Volksanwältin. Die Grünen wollen das verhindern.
Baustelle
Foto: Othmar Seehauser

Für Gabriele Morandell steht fest: “Das stellt sicherlich eine Beschneidung der Rechte des ‘kleinen Bürgers’ dar.” In ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht weist die Volksanwältin auf ein Detail hin, das tatsächlich von nicht unbedeutender Auswirkung ist: Das neue Urbanistikgesetz sieht keine Möglichkeit vor, Einspruch gegen eine Baukonzession zu erheben ohne vor Gericht zu ziehen.

Bisher bot Art. 105 des – aktuell noch – geltenden Raumordnungsgesetzes von 1997 die Möglichkeit des “Rekurs seitens der Bürger”. Demnach kann jeder Bürger innerhalb von 60 Tagen ab Beginn der Bauarbeiten bei der Landesregierung Einspruch erheben – und zwar “gegen Entwürfe, Genehmigungen oder die Durchführung von Arbeiten, die im Widerspruch zu Bestimmungen dieses Gesetzes, Verordnungen oder genehmigten Plänen stehen”. Eine Garantie für jeden Bürger, der sich etwa durch Bautätigkeiten von Nachbarn in seinen Rechten verletzt sieht und den Gang vor das Verwaltungsgericht vermeiden will oder ihn sich wegen der damit verbundenen Kosten nicht leisten kann.

Regelmäßig musste sich die Landesregierung in den vergangenen Jahren mit Eingaben gemäß Art. 105 des Landesraumordnungsgesetzes befassen – einer der spektakulären Fälle der letzten Zeit war etwa jener des Hotels “Rosa Alpina” in St. Kassian. Gegen die vom Bürgermeister ausgestellte Baukonzession brachten drei Anwohner im Juli 2016 einen Rekurs laut Art. 105 des Raumordnungsgesetzes ein.
Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein.

 

Nicht mehr jeder gegen alles

 

Am 1. Jänner 2020 soll das neue Raumordnungsgesetz in Kraft treten. Allerdings deutet derzeit alles darauf hin, dass es zu einem Aufschub kommt. Denn sowohl Gemeinden als auch Land sind noch weit davon entfernt, die Vorbereitungsarbeiten für die Urbanistikreform abzuschließen – knapp eineinhalb Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes.

Art. 102 des neuen Gesetzes für Raum und Landschaft, das der Landtag im Juni 2018 genehmigt hat, betrifft die “Verwaltungsrekurse”, also jene Rekurse, die – zusätzlich zu jenen beim Verwaltungsgericht – direkt bei der Landesverwaltung vorgebracht werden können. Bislang schloss das eine das andere nicht aus. Nun soll nur noch entweder ein Verwaltungsrekurs oder eine Anfechtung vor Gericht möglich sein. Und noch etwas ändert sich grundlegend.

“Die Rekursmöglichkeiten, die Art. 102 vorsieht, sind nur dem Anschein nach ähnlich wie jene in Art. 105 des alten Gesetzes”, zeigt der Grüne Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba auf. Während Art. 105 ausdrücklich jedem Bürger die Möglichkeit einräumt, in allen Phasen Rekurs gegen sämtliche Bauarbeiten bei der Landesregierung einzulegen, lässt Art. 102 des neuen Gesetzes nur mehr Rekurse “aus architektonischen, landschaftlichen oder ästhetischen Gründen” zu. Zudem steht die Rekursmöglichkeit nicht mehr allen zu, sondern nur mehr direkt betroffenen Subjekten – “nur mehr dem, dem eine Baugenehmigung abgelehnt wird oder Auflagen auferlegt werden”, liest Dello Sbarba aus dem Gesetz.

 

“Gesetz gerechter machen”

 

Volksanwältin Gabriele Morandell bestätigt: “Der Bürger bzw. Nachbar, der durch die Bautätigkeit am Nachbargrundstück in seinen Rechten verletzt wird, wird keine entsprechende Rekursmöglichkeit mehr haben, wie sie heute vom Art. 105 vorgesehen ist.” Somit bleibt nur der Gang direkt vors Verwaltungsgericht – oder aber der Weg zum Bürgermeister, der den Verwaltungsakt im Selbstschutzwege annullieren kann. “Die Erfahrung in den letzten Jahren hat jedoch gezeigt, dass die Bürgermeister nach Ausstellung der Baukonzession grundsätzlich keine Überprüfungen mehr anstellen, sondern dem Bürger den gerichtlichen Weg aufzeigen”, hält Morandell fest.

“Ein äußerst wichtiges und vor allem richtiges Instrument hat im neuen Landesraumordnungsgesetz buchstäblich keinen Raum mehr gefunden”, bemängelt Riccardo Dello Sbarba. Er hat mit seinen Grünen Landtagskollegen diese Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein Art. 102-bis ins neue Urbanistikgesetz eingefügt und die Möglichkeit der “Bürgerklage”, also des Rekurses eines jeden Bürgers bei der Landesregierung wieder eingeführt werden soll. Er sei sich “sicher, dass die Erweiterung des Gesetzes ‘Raum und Landschaft’ um diesen Artikel das Gesetz ein Stück weit gerechter machen wird”, meint Dello Sbarba.

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Be Bu Sab, 10/12/2019 - 16:23

Hier wurde gerade alles zugebaut.
Westseite: Sofort Rekurs eingelegt, weil eine Zufahrt komplett verbaut worden wäre. (Man könnte meinen, Architekten würden sich die Baustellen gar nicht erst ansehen.) Rekurs wurde stattgegeben und die Pläne abgeändert.

Hier aber kommt das Interessante: Nordseite, Bauherr ist mit der halben Gemeindeverwaltung befreundet, Baupläne ohne Überprüfung durchgewunken, Bürgermeister ohne Sachverstand unterschrieben und auf einmal stand da ne 10 Meter hohe Mauer direkt am Grundstück. Klage eingereicht, 3 Monate Baustopp, Ergebnis: Nix. Der zahlt jetzt ne kleine Strafe und kann die Mauer dafür stehen lassen.

Und noch was oben drauf: Als dieser Nachbar (Nord) vor 5 Jahren in der Planung auf der Ostseite involviert war, hat er sich nen kleinen Spass erlaubt und einfach mal nen Pfeiler in die Einfahrt gesetzt, wodurch die Haupt-Zufahrt abgeblockt wurde. Pfeiler wurde nach Rekurs zwar eingerissen und schmaler aufgestellt, aber größere Fahrzeuge kommen trotzdem nicht mehr ans Haus.

Sollte die Rekursmöglichkeit abgeschafft werden, werden sich ein paar Leute mit Sicherheit über die ohnehin verbreitete Narrenfreiheit freuen und jeder mit nem freistehenden Haus in ner möglichen Bauzone sollte jetzt schon auf nen Anwalt sparen.

Sab, 10/12/2019 - 16:23 Collegamento permanente