Società | Polemik

WM: Deutschland oder Italien?

Politische Scharmützel zum bevorstehenden WM-Start: Von einem blauen Landeshauptmann, einem philosophierenden Bürgermeister und einem Minister ohne Geschichtskenntnis.

Fußballfieber am Tag vor dem WM-Start in Brasilien. Während man dort angesichts der breiten sozialen Proteste  gegen die Milliarden-Ausgaben des Großevents versucht, dem Chaos vorzubeugen, verlagert sich die Erregung hierzulande auf ganz andere Themen. Zum Beispiel auf die banale Frage: Deutschland oder Italien? Die reicht in diesen Tagen schon für empörte Briefe der Südtiroler Freiheit an Österreichs Sportminister Gerald Klug: Dieser ließ sich in der österreichischen Kronen Zeitung doch glatt zu einem „Forza Azzurri“ hinreißen – und begründet seinen Favoriten Italien mit den Südtiroler Wurzeln seiner Familie. „Bei einer solchen Meldung bleibt vielen Südtirolern die Spucke weg“, kommentiert Matthias Hofer von der jungen Südtiroler Freiheit umgehend. Und fragt den „Minister des Vaterlandes“ in einem offenen Brief, ob er als solcher nicht die eigene Geschichte kennt. Nun warten die überzeugten Tiroler auf eine Entschuldigung aus Wien – und vermitteln dem Minister noch ein wenig sportliche Landeskenntnis: “Es ist wenn schon logisch, dass wir bei dieser WM Deutschland die Daumen drücken. Österreich ist ja leider nicht dabei.“

Bleibt zu hoffen, dass der Minister nicht zufällig eine Südtiroler Tageszeitung in die Hände bekommt. Dort outet sich am Mittwoch niemand geringerer als der Landeshauptmann selbst ganz offen als Azzurro. „Ich bin seit jeher Fan der italienischen Nationalmannschaft und drücke ihr – im Gegensatz zu einigen meiner Familienmitglieder – natürlich auch in Brasilien die Daumen“, wird Arno Kompatscher zitiert.

"Einmal pro Jahr ist der Wahnsinn erlaubt"

Ob er dafür Haue vom Südtiroler Schützenbund bekommt? Der hat sich im Vor-WM-Fieber vorerst einmal auf Bozens Bürgermeister Luigi Spagnolli eingeschossen. Der Anlass: Die Position des Bürgermeisters in einem Pro & Contra in der Juni-Ausgabe der Tiroler Schützenzeitung gegen ein Verbot von Kundgebungen auf dem Bozner Sieges- und Gerichtsplatz während der Fußball-WM . Hintergrund sind die Befürchtungen der Schützen, dass das Gr0ßeregnis „wie auch schon in der Vergangenheit für zu politischen Provokationen und faschistischen Krawallen auf den bekannten prekären Plätzen genutzt wird“.  „Politische Akzente gab es während der WM nie“, konterte Spagnolli, „sie erzählen Unwahres mit dem Ziel, das Zusammenleben zu erschweren.“  

Prompt lieferten ihm die Schützen Videomaterial und Fotos als Beweismittel – und wundern sich, dass  dem ersten Bürger der Stadt entgangen ist, wie es in der Vergangenheit nach verschiedenen WM-Spielen in Bozen zugegangen ist. Die Antwort Spagnollis? Ein kurzer Abriss über die Mentalität italienischer Fußballfans – samt philosophischen Fußnoten. Azzurri-Fans würden während der 90  Minuten Spielzeit und den paar Stunden die Anhänger der gegnerischen Fußballmannschaft als das Schlimmste ansehen, was es auf der Erdoberfläche gibt – egal ob dies nun Deutsche nach einem Spiel gegen Italien oder Anhänger von Juventus bei einem Spiel gegen Fiorentina in Florenz seien, klärt der Bürgermeister die Schützen auf. Beweis dafür, dass alle Italiener Faschisten seien, sei dies in keiner Weise, meint er unter Verweis auf ein Seneca-Zitat: „Semel in anno licet insanire" - einmal pro Jahr ist der Wahnsinn erlaubt".

Ein Motto, das bekanntlich auch beim Public Viewing der Spiele in der Landeshauptstadt gilt. Denn für alle Spiele, an denen die deutsche oder italienische Nationalmannschaft beteiligt ist, heißt es in Bozen „Open End“ statt Sperrstunde um 23 Uhr. Eine Lösung, die ebenfalls nicht frei von Polemiken gesehen wird. Doch wie Vize-Bürgermeister Klaus Ladinser am Dienstag auf RAI Südtirol meinte: Damit komme man den zwei starken Blöcken in Bozen entgegen, deren Herz entweder für Deutschland oder für Italien schlägt. Wie groß der Wahnsinn tatsächlich wird? In der Vorrunde gibt es am 14. Juni einen Vorgeschmack: Das spielt Italien gegen England. Mit Spielbeginn um 24 Uhr.