Cultura | Salto Afternoon

Trauma am See

Am Wochenende füllte die Dokumentation „Das versunkene Dorf“ gleich mehrmals den Kinosaal in Schlanders. Ein Lokalaugenschein.
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Foto: Foto: Salto.bz

„Ich habe ja Haider-Wurzeln“ betonte der Wiener Regisseur Georg Lembergh vor dem Premierenpublikum in Schlanders: „Mein Großvater stammte aus St. Valentin. Er war dort Lehrer und musste in den Dreißiger Jahren auswandern, weil er zu wenig Italienisch-Kenntnisse hatte.“
Später hat Lembergh immer wieder seine Tanten im Oberen Vinschgau besucht und kehrte als Erwachsener mit künstlerischem Anspruch an diesen rätselhaften Ort zurück - fotografierte die Landschaft, den Turm im See, und sammelte Material zur Seestauung: „Man musste das dokumentieren, bevor die letzten Zeitzeugen sterben.“ 
Wollte er zunächst ein Fotoprojekt realisieren, so ist am Ende ein Film herausgekommen.

Wenn ich Graun wieder so machen könnte, wie es gewesen ist, würde ich meinen kleinen Grund hier verkaufen und ginge sofort wieder nach Graun.
(Zeitzeugenerinnerung)

Der Film vom versunkenen Dorf wurde vorab schon auf einigen Festivals gezeigt, was manchen Vinschger verärgerte. Nun aber wurde die Kino-Doku im Tal des Geschehens vorgeführt und sorgte dort auch für starke Emotionen und viele Tränen. Anhand telegener Zeitzeugen, sorgsam aufbereitendem Archivmaterial und feinen Landschaftsaufnahmen wird die Geschichte der Dörfer Graun, Reschen und einiger umliegenden Weiler und Höfe erzählt - von der Option bis in die Gegenwart. Drei Generationen kommen zu Wort und erzählen ihre Kindheitserinnerungen: Von der Vertreibung bis hin zu abenteuerlichen Fußballerlebnissen am Seegrund.
Am Ende gibt es auch einen versöhnlichen Ausstieg der jüngsten Generation, die den See in all seinen Facetten positiv nutzen möchte.

„Wir haben einen Berg an Material gesammelt“ erzählte der Lokalmatador, historische Berater und Zeitzeugen-Interviewer des Films Hansjörg Stecher. In wenigen Monaten soll auch sein Buch (ca 350 Seiten) zum Film erscheinen: „Ein Vorteil war, dass ich die Sprache der Zeitzeugen spreche. Der Dialekt war ein wichtiger Türöffner. Wir haben sehr viele Zeitzeugen in allen Landesteilen besucht - vor allem auch in Nordtirol und im Trentino, wohin eben viele nach der Stauung abwanderten.“

Niederschmetternd war auch die weitgehend unbekannte Geschichte der nahen Schweizer Ortschaft Splügen in Graubünden. Sie hätte nämlich in den 1940er Jahren ein ähnliches Stausee-Schicksal ereilt wie die Ortschaft Graun. In einer Volksabstimmung sprach sich die Bevölkerung allerdings gegen das Projekt aus. Zum Leidwesen der Grauner. Über Geheimverträge der Schweizer mit der Montecatini in Mailand wurde die mit dem Ende des 2. Weltkriegs beinahe versunkene Reschenstausee-Idee wieder aus der Versenkung geholt. Und wie so oft siegte Geldgier.

Aus den vielen Stunden Interviews haben die Filmemacher einige Charaktere ausgewählt, deren Erinnerungen als roter Faden dienen und im Film zum kollektiven Erzählstrang werden. Dazwischen leuchten kurze Texteinblendungen auf, welche wichtige historische Fakten zum besseren Verständnis der komplexen Geschichte hervorheben.
Am Ende zeigt sich, dass es die mittlere Generation war, die zur Versöhnung zwischen See und ehemaligen Bewohnern aufgerufen hat: Einmal in der politischen Figur des Albrecht Plangger, daneben in der Figur des Schriftstellers Sepp Mall.
Beeindruckend auch der Wunsch eines jungen Kite-Surfers, der den Bar-Besuch seiner Großmutter an einer geplanten coolen Bar am Reschenseeufer herbeisehnt. 

„In diesem Film wurde sehr viel zusammengetragen und ich freue mich auf das Buch. Auch die jüngere Generation hat mit diesem Thema zu kämpfen und so sind auch mir einige Tränen gekommen“ meinte ein junger Mann nach dem Film. 

Doch wie immer gab es auch kleine Kritikpunkte am filmischen Machwerk. Wo war die Würdigung des legendären Pfarrers geblieben? Oder die Geschichte zu den Kirchturmglocken, die vor der Abnahme über eine Stunde lang geläutet hatten? Die Antwort ist einfach: Die Filmemacher wollten nicht bereits mehrfach servierte Bilder und Geschichten neu polieren, sie wollten neue Geschichten auftischen. 

„Mich hat der Film sehr bewegt“, meinte ein weiterer Kinobesucher und ergänzte: „Auch meine Mutter hat heute ein paar Tränen vergossen. Das war ihre Heimat und sie musste auswandern. Deshalb ein großes Lob an das Filmteam, es hat mit diesem Produkt allen Beteiligten einen großen Gefallen getan, den Zeitzeugen und den Nachkommen.“ 

„Der Film - mit italienischen oder mit englischen Untertiteln - kommt demnächst nach Bruneck, nach Bozen und Brixen. Auch nach Österreich und Deutschland“  fügte Wilfried Gufler - Produzent des Filmes - hinzu.

Das versunkene Dorf nähert sich dem tragischen Thema äußert liebevoll und versöhnlich. Es gelingt dem Film generationenübergreifend in die Zukunft zu blicken und positiv gestimmte Geschichtsaufarbeitung zu betreiben - die verbindet und nicht trennt. 

 

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Gunny K Mar, 06/12/2018 - 09:21

Durnwalder war am Samstag im Saal um den Film anzusehen. Dass sich an diesem Tag keiner zu den Inhalten bezüglich der gerichtlichen Auseinandersetzungen von Land und Gemeinde Graun äußerte liegt auf der Hand. Am Sonntag wurde das Thema aber nach der Vorführung kurz von einem der Zuschauer aufgegriffen da im Film Durnwalder und der damalige Bürgermeister Plangger vorkamen. Letzter meinte im Film dass die Gemeinde mit Bozen und dem Landeshauptmann Durnwalder mehr gerichtliche Auseinandersetzungen hatte als es mit Rom Jahrzehnte vorher waren. Das angesprochene Thema wurde aber vom moderienden Präsidenten des Hauses schnell abgehandelt da man merkte dass es vielleicht zeitfüllender kommen würde. Es ist aber Tatsache dass auch der Landesregierung vor ca. 20 Jahren mehr ums geldgewinnen ging als um eine Teilhabe der geschädigten Gemeinde Graun am Stromkuchen.

Mar, 06/12/2018 - 09:21 Collegamento permanente