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Unter der Linde

Die Künstlerin Carmen Müller hat in Chur eine Tanzplattform um einen Lindenbaum geschaffen. Ein poetischer Zuruf.
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Foto: ART-PUBLIC Chur

Bereits der Minnesänger Walther von der Vogelweide nannte eines seiner schönsten Liebesgedichte „Unter der Linde“. Es thematisiert das Liebeserlebnis eines Mädchens mit ihrem Geliebten in der freien Natur.

Unter der Linde
an der Heide,
wo unser beider Bett war,
da könnt ihr schön
gebrochen finden
Blumen und Gras.
Vor dem Walde in einem Tal,
tandaradei,
sang die Nachtigall lieblich.

Zahllos sind die Liebeserklärungen an diesen Baum in Form von Gedichten, Erzählungen und Liedern. Im Schatten der Linde wurde aber auch über Jahrhunderte Gericht gehalten, sowie Spiele und Tänze durchgeführt. Die Linde war gesellschaftlicher Mittelpunkt.

Die Verbindung von Tanz und Lindenbaum hat die in Brixen geborene Künstlerin Carmen Müller animiert, den weit verbreiteten alten Brauch der Tanzlinden (Niederlande, Schlesien, Ostpreußen, Elsass, Baden, Schweiz und Bayern) künstlerisch wiederzubeleben. Auf dem Rosenhügel der Alpenstadt Chur in Graubünden hat Müller auf über zwei Metern Höhe, einen Tanzboden entstehen lassen, der bis 29. September zugänglich und "betanzbar" ist.


Der Churer Rosenhügel diente im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein als „Galgenbühel“. Um 1850 wurde er zum Landschaftspark ausgestaltet, der nach den Plänen des Initiators Alexander Moritzi (1806–1850) sogar zu einem botanischen Garten heranwachsen hätte sollen. Daraus wurde nichts. Die Anlage geriet in Vergessenheit.

Unter dem Titel BEGEGNUNG wurde der Rosenhügel nun vom Verein ART-PUBLIC Chur, als Ort der Auseinandersetzung zwischen Kunst und Natur neu belebt. Die künstlerische Leitung übernahm Kurator Luciano Fasciati. Carmen Müller lädt Besucherinnen und Besucher ein, an der Linde zu musizieren und „vergnügungsvoll das Tanzbein zu schwingen.“  Wie heißt es so schön in Kapitel 5 von Goethes Faust:

(...) Der Schäfer putzte sich zum Tanz,
      Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
      Schmuck war er angezogen.
      Schon um die Linde war es voll,
      Und alles tanzte schon wie toll. (...)