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Ganzheitliche Kunstarbeiterin

Martina Oberprantacher ist die neue Direktorin bei KunstMeran. Ein Gespräch über rassismus- und diskriminierungskritische Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Und über Kunst
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Foto: Andreas Marini

Salto.bz: Sie folgen auf Herta Torggler als Direktorin bei Kunst Meran. Mit welchen Erwartungen gehen Sie an diese neue Herausforderung?

Martina Oberprantacher: Mit sehr freudigen Erwartungen und gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich in sehr große Fußstapfen trete. Strukturelle Gegebenheiten und Bedingungen von Kunstinstitutionen interessieren mich bereits seit langem. Bis jetzt war ich in meiner Funktion als Vermittlerin maßgeblich mit der Programmkonzeption beschäftigt und wie man diese mit dem Organisatorischen und Administrativen in Einklang bringt. Nun bin ich, umgekehrt, für den organisatorischen und administrativen Bereich zuständig und mit der Frage, wie man diesen mit der programmatischen Ausrichtung der Institution sinnvoll verbindet. Ich werde mich also – parallel zum künstlerisch-kuratorischen wie vermittlerischen Programm – dem strukturellen und personellen Gefüge sowie der Rolle von Kunst Meran im gesellschaftlichen wie politischen Kontext widmen.

Sie haben nach Ihrem Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck jede Menge Erfahrungen im lokalen wie internationalen Museumsbereich gesammelt. Welche dieser Erfahrungen hat Ihre Arbeit am bedeutendsten geprägt?

Es war bestimmt keine einzelne Erfahrung, die meine Arbeit geprägt hat, sondern ein Spektrum ganz unterschiedlicher Erfahrungen. Prägend für das Arbeiten im Südtiroler Umfeld war für mich die freie Mitarbeit am Museion, die Co-Leitung des Vermittlungsbereichs bei der Landesausstellung 2009 und die ehrenamtliche Tätigkeit als Vorstandsmitglied in der ar/ge kunst. Dadurch konnte ich mir Wissen und Praxis im Kunst- und Vermittlungsbereich aneignen.
Was meine Arbeit im internationalen Kontext beeinflusst hat, war die Erfahrung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Art Education an der Zürcher Hochschule der Künste unter der Leitung von Carmen Mörsch. Ein Schwerpunkt des Instituts war das Forschen zu rassismus- und diskriminierungskritischer Vermittlungs- und Bildungsarbeit und das Ermitteln von Bedingungen, die kulturelle, aber auch soziale wie politische Ausschlüsse produzieren. Sehr wichtig wie eindrücklich war auch meine langjährige Arbeit als leitende Vermittlerin am Lenbachhaus in München. Schließlich konnte ich dort die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Praxis nachvollziehen und das Programm entsprechend ausrichten.
Bei den beiden letzteren Anstellungen war also die Frage relevant, von wem, weshalb, wie und mit welchen Voraussetzungen Kulturproduktion stattfindet und Kunst rezipiert wird. Auch für meine Arbeit im Kunsthaus ist diese Frage absolut zentral.

Mit seinen vielschichtigen Programmangeboten soll das Kunsthaus eine Akademie für die Stadtgemeinschaft – unabhängig von Bildungsabschlüssen – sein...

Vor sieben Jahren haben Sie Ihre Zelte in München aufgeschlagen und haben dort für das bekannte Lenbachhaus gearbeitet. Aus sehr vielen Bewerbungen wurden Sie damals ausgewählt…

Ja, das hat mich auch überrascht. Nein, ehrlich, ich dachte, dass ich gemessen an der Anzahl von sehr vielen sehr gut qualifizierten Vermittler*innen in Deutschland wenig Chancen haben würde. Am Ende zählte meine Erfahrung im zeitgenössischen Kunstbereich, mein konzeptueller Zugang zur Vermittlungsarbeit und mein kritisches wie politisches Verständnis von Kulturproduktion.
Den Komplex des sogenannten Provinziellen konnte ich bald durch die Einsicht überwinden, dass man als freie Mitarbeiter*in in Südtirol häufig vertiefte Einblicke in Kultureinrichtungen gewährt bekommt und man dadurch die institutionellen Strukturen wie Abläufe gut kennen lernt. In Deutschland ist dies in der Regel nur im Rahmen von Praktika und Volontariaten – also zeitlich begrenzt – möglich.

Wie hat Ihr Arbeitsalltag im Lenbachhaus ausgesehen?

Regelmäßige Besprechungen haben den Arbeitsalltag klar strukturiert. Da gab es Besprechungen mit der Direktion und dem festen kuratorischen wie vermittlerischen Team, wo programmatische Entscheidungen getroffen wurden; Besprechungen mit dem Team der Öffentlichkeitsarbeit und des Besucherservices, um Fragen zu klären, welches Programm von wem wie wahrgenommen wird und welches Programm für welche Interessensgruppe vielleicht auch fehlt; Besprechungen mit der Verwaltung, der Geschäftsführung und dem Betriebsdienst, um die operativen Möglichkeiten zu prüfen; und die Teambesprechungen mit den vielen freien Mitarbeiter*innen, also den Kunstvermittler*innnen und Künstler*innen, um die Ideen und Konzepte zu den Vermittlungsprojekte zu diskutieren und um sich über die Vermittlungsarbeit inhaltlich auszutauschen.
Eine zentrale Arbeit waren auch die Kooperationsgespräche mit Vertreter*innen von Schulen, Jugend-, Sozial- und Pflegeeinrichtungen. Das waren sehr wichtige Partner, denn viele Bevölkerungsgruppen haben zwar Interesse an Kunst, aber vielleicht nicht die finanziellen oder motorischen Möglichkeiten, das Kunstmuseum ohne Unterstützung zu besuchen. Durch die Kooperationen war es möglich, kostenlose Teilnahmen an Vermittlungsaktivitäten oder eigens auf Personen mit Demenz abgestimmte Führungen anzubieten. Natürlich prägte auch der intensive Austausch mit Vertreter*innen von anderen Kultureinrichtungen innerhalb und außerhalb Münchens den Arbeitsalltag.
Daneben nahm das Management und die Feinplanung von Projekten viel Zeit in Anspruch – Zeit- und Kostenpläne mussten erstellt, Technik und der Auf- wie Abbau von Projekten organisiert, sowie die Texte für die Kommunikation der Vermittlungsaktivitäten geschrieben werden.
Also kurzum: Es war eine sehr abwechslungsreiche und ganzheitliche Arbeit, bei der man von Anfang bis zum Ende jeden einzelnen Schritt denken, planen und umsetzen musste.

In München war auch der Austausch mit Kunstschaffenden aus dem rassimuskritischen und queeren Bereich sehr intensiv. Somit war die Kunstszene, in der ich mich bewegt habe, nicht heteronormativ und nicht ausschließlich Weiß geprägt. Ich freue mich, wenn es in Südtirol auch so ist.

Sie haben viele Jahre für das relativ junge Berufsfeld Kultur- und Kunstvermittlung gearbeitet. Was werden Sie dazu für Meran planen?

Sobald ich am 16 Juni meine Arbeit bei Kunst Meran aufnehme, werde ich eine Bestandsaufnahme machen – mir einen Überblick über vergangene und aktuelle Vermittlungs- und Kooperationsprojekte verschaffen – und analysieren, was unter der erschwerten aber notwendigen Bedingung der aktuellen Kontaktbeschränkung möglich ist. Ich werde also gemeinsam mit dem gesamten Team von Kunst Meran an einem Programm arbeiten, das die erforderlichen Vorsichtmaßnahmen wie die Bedürfnisse unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen berücksichtigt und die aktuelle soziopolitische oder soziokulturelle Gegebenheit thematisiert. Die aktuelle Ausstellung „Risentimento / Ressentiment“, kuratiert von Christiane Rekade, bietet diesbezüglich viele Anknüpfungspunkte.
Für mich zeigt sich gerade durch die schwierige Situation unter der Pandemie, wie sehr Museen und Ausstellungshäuser als soziale Orte und als öffentlicher Raum gebraucht werden. Jetzt mehr denn je kann die Beschäftigung mit Kunst und Kultur unterstützend wirken, die eigene psychische, wirtschaftliche, soziale und politische Situation zu reflektieren. Im Prozess der individuellen wie kollektiven Reflektion kommt der Vermittlung eine wichtige Funktion zu.

Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?

An der neuen Aufgabe als Geschäftsführerin und Direktorin reizt mich das ganzheitliche und verschränkte Denken. Das heißt, alle Bereiche und Aufgaben des Kunsthauses – künstlerisches und vermittlerisches Programm, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, Vereinsarbeit, Verwaltung, Gebäudeverwaltung, Zusammenarbeit mit dem Caffé Kunsthaus u.v.m – mit der Gesamtkonzeption und Ausrichtung von Kunst Meran zu verknüpfen. Das Leitbild, das bereits entwickelt worden ist, soll sich somit im inhaltlichen wie organisatorischen Arbeiten spiegeln. Wichtig erscheint mir dabei, dass sich die Beschäftigung mit künstlerischen, kultur- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht nur durch die Themenwahl, sondern auch durch die Methodenwahl und durch eine reflektierte Vorgehens- und Handlungsweise vermittelt. Somit spielt das Nachdenken über die eigene kulturelle Praxis eine wichtige Rolle. Im besten Fall wird Kunst Meran genauso von der Gesellschaft wahrgenommen, wie es sich selbst versteht.

Welche Idee für Kunst Meran möchten Sie auf jeden Fall verwirklichen?

Was die Verwirklichung einer Programmidee betrifft, so warte ich auf den Arbeitsbeginn der neuen Kuratorin oder des neuen Kurators. Mit dieser Person und gemeinsam mit der Co-Direktorin Herta Torggler, der Kuratorin Ursula Schnitzer, der Assistentin Anna Zinelli, dem Präsidenten Georg Klotzner wird das Programm entwickelt und dann dem Vorstand des Vereins vorgestellt. Bis diese Schritte nicht abgeschlossen sind, halte ich mit dem lauten Verkünden von Ideen zurück.
Aber Eines scheint für mich jetzt bereits klar zu sein, dass das Kunsthaus seine verschiedenen kulturellen wie sozialen Rollen beibehalten sowie weiterentwickeln soll, z.B. in Form einer Kontakt-Zone für Menschen, die sich noch nicht kennen, aber Interessen miteinander teilen. Es soll ein Gedanken-Labor für neue Ideen sein, die gemeinschaftlich verfolgt werden möchten. Ich wünsche mir Kunst Meran als Ort, der sich zu einem Diskussions-Forum für unterschiedliche Sichtweisen auf Kunst, Kultur und Gesellschaft heranbildet; der sich als Experimentier-Feld für unbekannte künstlerische Prozesse und Diskurse versteht und der zum Aktions-Raum für ungewohnte Lernsituationen mit und durch Kunst wird. Mit seinen vielschichtigen Programmangeboten soll das Kunsthaus eine Akademie für die Stadtgemeinschaft – unabhängig von Bildungsabschlüssen – sein, die das Konzept der sozialen Arena verfolgt, in der das Künstlerische, das Gesellschaftliche und das Politische ausgehandelt werden und in der sich die lernende Institution stets auch selbst hinterfragt. Dabei sollen erprobte analoge, digitale und mediale Techniken und Methoden weiter ausgebaut und experimentiert werden, um einen größeren Radius von Interessierten erreichen zu können.

2021 feiert Kunst Meran das 20jährige Jubiläum. Es ist also auf jeden Fall ein spannendes Programm für nächstes Jahr zu erwarten...

Wie schwer fällt der Abschied von der Großstadt München?

Die Münchner*innen behaupten ja, dass München keine Großstadt ist, sondern eher ein Dorf. Das stimmt in Teilen auch.
Der Abschied fällt schwer genau wie die Rückkehr leicht fällt. Es fiel mehr schwer, von den sehr geschätzten Kolleg*innen und von den vielen anderen spannenden Persönlichkeiten der Kulturszene Abschied zu nehmen. Aber München ist ja nicht weit weg und der Grund für einen Besuch jederzeit vorhanden. Hoffentlich ist das Reisen bald wieder auf einfachem Wege möglich.
Das, was mir mit Sicherheit fehlen wird, ist nicht die Qualität an Theater- und Ausstellungsproduktionen, denn Produktionen auf sehr hohem Niveau gibt es in Südtirol auch, sondern die Fülle und die Vielfalt. In München war auch der Austausch mit Kunstschaffenden aus dem rassimuskritischen und queeren Bereich sehr intensiv. Somit war die Kunstszene, in der ich mich bewegt habe, nicht heteronormativ und nicht ausschließlich Weiß geprägt. Ich freue mich, wenn es in Südtirol auch so ist.

Was war die beste Ausstellung, die Sie bei Kunst Meran gesehen haben?

Da kann ich mich unmöglich festlegen, ich habe nämlich sehr viele sehr gute Ausstellung im Kunsthaus gesehen. Aber ich bin natürlich befangen...
Vielleicht anders: Welche Ausstellungen hätte ich unbedingt sehen wollen und leider verpasst? Die Ausstellungen „Alois Kuperion – Malen ist mein Lebensinhalt“, kuratiert von Ursula Schnitzer, „GIANNI PETTENA: Natürliche Architekturen“, kuratiert von Christiane Rekade, und „Wer ist noch österreichisch?“, kuratiert von Luigi Fassi. Die drei Ausstellungen beschäftigten sich mit Fragen des Lebens auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Der Autodidakt Kuperion widmete sich unermüdlich der Malerei und somit einer Tätigkeit, die in seinem Leben eigentlich nicht – und schon gar nicht auf diesem Niveau – vorgesehen gewesen wäre. Bei Gianni Pettena sind die Grenzen zwischen Architektur und Kunst fließend. Der Gedanke des Transdisziplinären trägt sich durch sein ganzes Werk und ist gerade für Kunst Meran, einem Ort für unterschiedliche Disziplinen, absolut reizvoll. Und die Frage „Wer ist noch österreichisch?“ macht deutlich, dass das Denken in Grenzen und nationalen Konstruktionen heute wie damals (z.B. zurzeit des 1. Weltkriegs) kritisch reflektiert werden muss.

Arbeitsbeginn ist der 16. Juni 2020 um 8 Uhr. Wann ist die Programmrealisation unter Ihrer Leitung für Kunst Meran zu erwarten?

Das künftige Programm wurde und wird von Christiane Rekade, Ursula Schnitzer und Herta Torggler mit viel Vorlauf entwickelt. Durch die Coronakrise erlebt die Programmplanung aber ständige Veränderungen – unsichere und prekäre Bedingungen beeinflussen Transport und Leihgaben, Auf- und Abbauten von Ausstellungen ebenso wie viele andere Tätigkeitsbereiche. Somit lässt sich noch kein genauer Zeitpunkt der Programmrealisation unter meiner Leitung nennen. Aber so viel sei bereits erwähnt: 2021 feiert Kunst Meran das 20jährige Jubiläum. Es ist also auf jeden Fall ein spannendes Programm für nächstes Jahr zu erwarten, das wie immer das volle Engagement des gesamten Teams und des Vereinsvorstandes benötigt.