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Stand-by-Staatsbürger

Das ius soli spaltet das Land. Wie stehen die Senatoren Zeller und Palermo zum heißen Eisen, das den Zugang zur italienischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll?
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638 Tage sind seit dem 13. Oktober 2015 vergangen. Jenem Tag, an dem die Abgeordnetenkammer mit großer Mehrheit dem neuen Gesetz zur Staatsbürgerschaft zugestimmt hat. Das ius sanguinis soll abgeschafft und durch das ius soli ersetzt werden. So lautete die Vorstellung des Einbringers des Gesetzes, der damalige Premier Matteo Renzi. Ministerpräsident ist Renzi inzwischen nicht mehr, aber überzeugt, das ius soli nach eineinhalb Jahren im Stand-by-Modus nun durch den Senat zu bringen, ist er immer noch. Doch die ohnehin knappe Mehrheit um den regierenden PD wackelt. Und Ministerpräsident Paolo Gentiloni zögert. Mittendrin zwischen den Taktierern in Rom: Senator Karl Zeller, der der Regierung Ratschläge erteilt – und Senator Francesco Palermo, der offen sagt: “Momentan wird es mit dem ius soli nichts.”

Die italienische Staatsbürgerschaft soll auch Kindern, deren Eltern nicht italienische Staatsbürger sind, zugänglich gemacht werden – über zwei Wege: Das ius soli temperato sieht vor, dass ein Kind ausländischer Eltern, das in Italien geboren wird, die italienische Staatsbürgerschaft erhalten kann – falls mindestens ein Elternteil seit fünf Jahren in Italien ansässig und in Besitz einer Langzeitaufenthaltsgenehmigung ist. Das ius soli culturae ermöglicht minderjährigen Kindern ohne italienische Staatsbürgerschaft, diese zu erhalten, wenn sie in Italien geboren oder vor ihrem 12. Geburtstag ins Land eingereist sind und für mindestens fünf Jahre einen regelmäßigen Schulbesuch auf italienischem Territorium nachweisen können. Auch Minderjährige zwischen 12 und 18 Jahren können die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn sie seit mindestens sechs Jahren in Italien ansässig sind und einen Schulzyklus von mindestens drei Jahren abgeschlossen haben. Nach einer ersten Behandlung im Plenum, die Mitte Juni wegen tumultartigen Szenen und Störaktionen der Lega Nord abgebrochen werden musste, war die Debatte des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Senat für den gestrigen Mittwoch, 11. Juli, anberaumt worden. Doch das heiße Eisen wurde nicht angefasst.

Und Integration?

Seit Wochen läuft vor allem die Lega Nord Sturm gegen das ius soli. Auch das restliche Mitte-Rechts-Lager ist dagegen, ebenso wie der Movimento 5 Stelle. Einzig die Linksparteien scheren aus der oppositionellen Kritik an der Überarbeitung der Staatsbürgerschaft aus. In Südtirol sind die Fronten seit Längerem geklärt: Auf der einen Seite der PD und liberale Kräfte – auf der anderen deutsche und italienische Rechtsparteien vereint dagegen. Und irgendwo dazwischen: die SVP. Von ihr kommt ein “Ja, aber” zum ius soli, wie ein überdeutliche Stellungnahme von Philipp Achammer zeigt. “Staatsbürgerschaft nur gegen Integrationsleistung”, fordert der SVP-Parteiobmann.
Den Vorschlag, den Zugang zur italienischen Staatsbürgerschaft stärker an die Integrationsbereitschaft zu binden, hatte SVP-Senator Karl Zeller bereits vor einiger Zeit vorgebracht.

“Das Problem” sind für ihn “nicht die in Italien geborenen Kinder, die den gesamten Schulzyklus durchlaufen haben und die im Grunde nichts von den Kindern, die italienische Staatsbürger sind, unterscheidet”. “Das Problem” sieht Zeller vielmehr im ius culturae: “Minderjährige, die unter diese Regelung fallen, müssen laut heutigem Text keinen Sprachkurs oder sonstigen Integrationsnachweis erbringen.” Der mehrjährige Schulbesuch ist dem Senator zu wenig. “Es ist nicht gesagt, dass sie nach drei Jahren Schule die Sprache beherrschen.” Anders die Meinung von Francesco Palermo: “Menschen, die schon seit Jahren hier leben beziehungsweise mehrere Jahre ununterbrochen die Schule besucht haben, dürften die Sprache und die Grundprinzipien der Integration schon gelernt haben.” Der Senator, der ebenso wie seine Kollegen der SVP der Autonomiefraktion angehört, ist “im Prinzip sehr offen und grundsätzlich für das ius soli”. Er dreht die Logik der Volkspartei um. Für Palermo ist die Staatsbürgerschaft ein Anreiz für Integration: “Mit der Staatsbürgerschaft steigen die Chancen auf eine komplette Integration. Unsere Gesellschaft baut auf Gleichheit – und wenn alle Menschen, die in unserem Land leben und weiterhin leben wollen, den Zugang zu denselben Möglichkeiten haben, wird Gleichheit gewährleistet. Daher glaube ich, dass ein erleichterter Zugang zur Staatsbürgerschaft der gesamten Gesellschaft zugute kommt.”

“Grundsätzlich Ja” sagt auch Karl Zeller, gesteht er, “aber nach dem Vorbild Deutschlands”. Seit 17 Jahren gilt dort das ius soli, wenn Eltern acht Jahre ansässig sind. “Die Frist kann aber auch auf sieben oder sechs Jahre gesenkt werden, wenn gewisse Integrationsleistungen erbracht werden”, erklärt Zeller. “Außerdem dürfen die Betroffenen keine Straftat begangen haben, für die sie zu mehr als 3 Monate Haft verurteilt wurden. In Italien sollen es zwei Jahre werden.” Er habe der Regierung Gentiloni nahe gelegt, den vorliegenden Gesetzestext zu korrigieren und sich an das deutsche Modell anzunähern.

Außerdem schlägt Zeller vor, zu überprüfen, ob die Staatsbürgerschaft auch wieder entzogen werden kann, etwa wenn jemand innerhalb von fünf Jahren ab Erhalt der Staatsbürgerschaft straffällig wird. Francesco Palermo relativiert: “Das ius soli betrifft nur einen gewissen Teil der Bevölkerung, und zwar jene Leute, die schon seit einer Weile in Italien sind und hier bleiben wollen. Dass sich darunter auch potenziell Leute befinden, die sich kaum integrieren wollen, ist ein Problem. Aber das hat mit der Staatsbürgerschaft nichts zu tun. Etwas überspitzt gesagt, möglichen Terroristen ist es egal, ob sie die Staatsbürgerschaft haben oder nicht – auch wenn sie sie nicht haben, bleiben sie trotzdem sehr gefährlich für die Gesellschaft. Aber einen Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft sehe ich nicht.”

Und Südtirol?

Indes bezeichnet die Freiheitliche Fraktionssprecherin, Ulli Mair, Philipp Achammers Aussagen als “laues Kritiklüftchen der SVP an ihrer Mutterpartei PD”. Die Blauen stellen sich gegen das ius soli, das für sie “schwerwiegende Auswirkungen auf Südtirol und den Schutz der historischen Volksgruppen bedeutet”. Die Süd-Tiroler Freiheit sieht es ähnlich: Durch das ius soli werde “Migranten Anreize für die Überfahrt” geschaffen – und die befürchtete Zuwanderung “das sensible Gleichgewicht der Sprachgruppen im Land stören”. Diesen Befürchtungen kann zumindest Karl Zeller nichts abgewinnen. Er finde es “kurios, dass sich jetzt genau jene, die mit dem italienischen Staat und der Staatsbürgerschaft nichts zu tun haben wollen, am meisten echauffieren”, schickt der SVP-Senator voraus.
Abgesehen davon: “Kinder ausländischer Eltern, die hier geboren sind, könnten sowieso mit 18 Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen, durch das ius soli wird das im Grunde nur um einige Jahre vorgezogen. Deswegen ändert sich für Südtirol relativ wenig.” Die negativen Auswirkungen zum Beispiel auf den Proporz, sind für Zeller nicht der springende Punkt: “Es bleibt abzuwarten, ob sich alle eingebürgerten Migranten der italienischen Sprachgruppe zugehörig erklären.” Francesco Palermo ist etwas vorsichtiger. “Bei uns, in Südtirol ist die Situation wegen der Zweisprachigkeit natürlich etwas komplexer.” Viele der ausländischen Mitbürger würden nur Italienisch lernen, “was in Zukunft zu einem Problem führen könnte”, so Palermo. Allerdings hänge das nicht mit der Staatsbürgerschaft zusammen, sondern mit der Integration in eine zweisprachige Gesellschaft. Daher findet er Maßnahmen wie im jüngst verabschiedeten neuen Integrationsgesetz richtig – “wenn Sozialleistungen zum Beispiel an Sprachkenntnisse gekoppelt werden”.

Und nun?

Nicht nur die Politik, auch das Land ist gespalten. 54 Prozent der Italiener sind inzwischen gegen das ius soli – doppelt so viele wie noch im Jahr 2011, als sich 71 Prozent dafür aussprachen. Das ergab eine Umfrage, den der Corriere della Sera in Auftrag gegeben hatte. Was nun also? Teile des PD fordern die Regierung Gentiloni auf, nötigenfalls die Vertrauensfrage im Senat zu stellen. “Das wird sie sicher nicht”, sagt Francesco Palermo voraus. Denn dann riskiere man, von Heckenschützen aus den eigenen Reihen abgeschossen zu werden, wie auch Karl Zeller durchblicken lässt: “Die Vertrauensfrage ist natürlich eine harte Waffe, da überlegt sich jeder, ob er die Regierung nicht in die Luft jagt. Aber ob man das riskieren will…”

Und auch andere in der Regierungskoalition bremsen. Die Partei von Außenminister Angelino Alfano, Alternativa poplare (Ap) will die Debatte um das ius soli verschieben – das wäre durchaus im Sinne der SVP, gesteht Zeller. “Wir werden versuchen, unsere Forderungen durchzusetzen, den Text abzuändern – und auch, die Behandlung im Senat nicht jetzt zu machen. Denn es ist kein guter Moment – inmitten der Flüchtlingskrise.” “Die Debatte ist zu sehr ideologisiert”, stimmt Francesco Palermo zu. “Dabei ist es ein wichtiges Gesetz, das sicherlich nicht die Migranten betrifft, wie manchmal in den Medien berichtet wird, sondern Leute, die in Italien leben und leben werden. Und immer, wenn es um Grundrechte geht, sollte man sich letztendlich die Frage stellen – was die meisten nicht tun –, ob sich Vorteile auch für die gesamte Gesellschaft ergeben oder nicht. Ich glaube, in diesem Fall ist es absolut so, weil sich diese Leute besser integrieren können. Zumindest eröffnet sich ihnen eine rechtliche Möglichkeit, denn es heißt ja nicht automatisch, dass alle die Staatsbürgerschaft erhalten beziehungsweise darum ansuchen.”

Verhärtete Fronten, knappe Mehrheiten, Unstimmigkeiten in der eigenen Koalition – “ich glaube nicht, dass hier alles schon gegessen ist”, verrät Zeller. Francesco Palermo stimmt zu – er geht davon aus, dass das ius soli “nach hinten geschoben und hoffentlich im Herbst behandelt” wird.

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gorgias Mer, 07/12/2017 - 05:17

Es gibt genug Türken die in der 3. Generation in Deutschland leben und sich als Türken betrachten und nicht als Deutsche. Das IUS SOLI ist kein Garant für gelungene Integration, sondern das Gegenteil. Menschen mit Migrationshintergrund in der Eltern- und Gr0ßelterngeration die sich in die Parallelgesellschaft integrieren wird das Ende unser freiheitlich rechtlichen Gesellschaftsordnung darstellen. Was nichts kostet ist nichts wert. Der Staat verschenkt damit sein höchstes Gut: Das Bürgerrecht.

Mer, 07/12/2017 - 05:17 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Mer, 07/12/2017 - 23:38

Das Bürgerrecht ist kein Gut, weder ein hohes noch ein höchstes, sondern eine rfeine Verwaltungsmaßnahme. Derzeit verschleudert Italien seine Staatsbürgerschaft an Personen, die Italien nie gesehen haben, aber von Eltern stammen, die italienische Staatsbürger waren oder österreichische Staatsbürger in den von Italien annektierten Gebieten. Auch Papst Franziskus, Sohn italienischer Eltern, hat seine italienische Staatsbürgerschaft mit seiner Geburt in Argentinien automatisch erhalten. Nach dem bisher in Italien allein gültigem ius sanguinis müssten die Südtiroler als Nachfahren österreichischer Staatsbürger auf jeden Fall die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, nach dem neuen ius solis ebenfalls, denn unser Land war ja nachweislich jahrhundertelang österreichisch, bevor es von Italien nach einem imperialistischen Aggressionskrieg annektiert wurde.

Mer, 07/12/2017 - 23:38 Collegamento permanente