Società | Corona und Bildung

Über den Sinn (oder Unsinn?) von Bildung

Ich mach mir die Welt so wie sie mir gefällt! Oder, wer braucht in Zeiten von Facebook und YouTube noch Bildung?
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Bildung
Foto: Education Key

Was mich an der Corona-Krise am meisten irritiert, ist nicht das Virus selbst. Viren hat es immer gegeben und wird es immer geben. Dass dieses Virus besonders heimtückisch ist und dass es auf der ganzen Welt sträflich unterschätzt wurde, mag sicherlich zu denken geben, aber was es in den Köpfen vieler Menschen ausgelöst hat, ist noch viel besorgniserregender.

Zum Glück gibt es heute diesen riesigen virtuellen Stammtisch, sonst würde man dies gar nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß, erfahren haben. Dort lassen sich Leute öffentlich und vornehmlich im emotionsgeladenen und schwer entzifferbaren Dialekt über alles Mögliche und Unmögliche aus. Je lauter sie schimpfen, desto mehr Likes erhaschen sie. Sie haben meist die Schule oder Universität des Lebens besucht, eine Ausbildung, auf die man heutzutage besonders stolz ist und die den Colleges der Ivy League, Oxbridge oder Bocconi längst den Rang abgelaufen hat. Sie haben den totalen Durchblick, weil sie durch Facebooks und Youtubes Algorithmus immer die gleichen Weisheiten und Meinungen wie auf einem goldenen Tablett serviert bekommen. In ihren Augen ist institutionelle Bildung prinzipiell schlecht und daher unnütz, und die ‚Studiosi‘, die diese Bildung genossen haben, womöglich sogar im Ausland, allesamt verdorben oder gar Heimatlandsverräter, außer sie unterstützen zufällig die eigene Meinung.

Dabei ignorieren diese Leute gern, dass es ohne findige Ingenieur/innen, Mediziner/innen, Ökonom/innen, Bildungswissenschaftler/innen, Politiker/innen den heutigen Wohlstand nicht geben würde. Vieles von dem, auf das wir in dieser Krise verzichten müssen, gab es vor gar nicht allzu langer Zeit noch nicht. Wie viele Südtiroler/innen fuhren vor 60 Jahren in den Urlaub? Wie viele Skilifte gab es? Wie viele gingen im Winter schwimmen oder klettern oder regelmäßig ins Restaurant? Wie viele ins Fitness-Studio oder in einen Schönheitssalon? Wie viele hatten ein Auto oder gar zwei? Wie viele Grenzen gab es damals noch in Europa? Wie viel war auf einem Bauernhof noch schwere Handarbeit? Wie hoch war die Lebenserwartung? Wie viele Menschen mit Kinderlähmung gab es damals, weil für sie noch kein Impfstoff zur Verfügung stand?

Sie vergessen dabei oft auch die Tatsache, dass ein guter Teil unseres Wohlstands dem glücklichen Umstand zu verdanken ist, dass wir in einem wunderschönen Land leben und dass die stressgeplagten Städter unser uriges Mir-Sein-Mir-Lokalkolorit mögen, wohl auch deshalb, weil es ihnen ein gewisses Gefühl der geistigen Überlegenheit gibt. Natürlich reicht das nette Lächeln im üppig ausgeschnittenen Trachtenkostüm heutzutage nicht mehr, um die Kassen zu füllen. Fleiß und Strebsamkeit, gepaart mit einer guten Portion Bauernschläue, haben ebenfalls zu unserem Wohlstand beigetragen. Aber eine gediegene Allgemeinbildung war dafür, zumindest bis heute, nicht zwingend nötig.

Allgemeinbildung bekommt man vor allem in den Bildungseinrichtungen mit, oder sollte man zumindest. Dabei geht es nicht nur um Sinus und Cosinus oder warum Ovid in die Verbannung geschickt wurde. Es geht vielmehr auch darum, wie man kommuniziert, argumentiert, Informationen richtig hinterfragt, Respekt und Toleranz zeigt. Es geht im Idealfall darum, sich Wissen anzueignen, welches den Blick über den eigenen Tellerrand hinweg freigibt, sowie ethische, humanistische und kulturelle Werte zu verinnerlichen. Dass es genug ‚Studiosi‘ gibt, die nicht nach diesen Werten leben, und dass es auf der anderen Seite auch genug Menschen gibt, die eine einfache Schulausbildung genossen haben, jedoch belesen sind und das Glück hatten, eine gute Kinderstube zu haben, versteht sich von selbst. Das heißt jedoch nicht, dass eine gute Allgemeinbildung per se unnütz ist.  

Wir müssen nicht in eine Welt zurückgehen, in der alles, was der Doktor, Lehrer und Pfarrer gesagt haben, heilig und unverrückbar war. Es würde uns aber bestimmt nicht schaden, unsere Umgebung und uns selbst mit etwas mehr Weitblick, Kritikfähigkeit und etwas weniger Ichbezogenheit und Selbstbeweihräucherung zu betrachten. Es ist naiv zu glauben, unser Wohlstand würde sich in dem Tempo weiterentwickeln wie seit der Nachkriegszeit. Lernen wir aus dieser Krise, damit wir auf die nächste vorbereitet sind. Forschung und Bildung sind systemrelevant, mit all ihren Fehlern und Mängeln. Meinungsverschiedenheit ist gut und bringt uns weiter, aber verlassen wir bei unserer Meinungsbildung nicht den Boden grundlegender Werte, welche sich über Jahrtausende entwickelt haben. Hinterfragen ist gut, aber machen wir es nicht zu einem unreflektierten Automatismus, tun wir es nicht stur und blindlings und sehen wir Fehler ein. Schenken wir fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Errungenschaften wieder Glauben und Vertrauen. Wäre die Menschheit immer so hyperskeptisch gewesen, würden wir immer noch in Höhlen sitzen und aufeinander einprügeln.