Economia | Interview

“Es war höchste Zeit”

Michl Seeber gibt die Führung der Leitner-Gruppe an seinen Sohn ab. Seine Bilanz, über zwei Jahrzehnte Arbeitswut und den (nicht stattgefundenen) Wandel in Südtirol.
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Foto: salto

Eine Ära geht zu Ende. Eigentlich wollte er bereits vor drei Jahren gehen. Aber man hat ihn gebeten, weiterzumachen. Am vergangenen Freitag hat Michl Seeber schließlich vor versammelter Belegschaft offiziell verkündet, bei der nächsten Vollversammlung im Juni nicht mehr als Präsident der Unternehmensgruppe Leitner antreten zu wollen. Zwanzig Jahre lang hat er die Geschicke des Sterzinger Vorzeigeunternehmens geleitet. Nun wird sein Sohn, Anton Seeber, in seine Fußstapfen treten.

Herr Seeber, ist Ihnen die Entscheidung, jemand Jüngeres ans Ruder zu lassen, schwer gefallen?
Michl Seeber: Überhaupt nicht. Auch weil sie sehr lang und reiflich überlegt ist. Die Entscheidung hingegen, sich vom täglichen Ins-Büro-Gehen, also von der Arbeit zurückzuziehen, fällt mir wahnsinnig schwer.

Sie galten immer als jemand, der bereit war, sich für das eigene Unternehmen aufzuopfern.
Ich zähle zu jenen Menschen, die das Glück gehabt haben, in ihrem Leben mit der Art und Weise ihrer Arbeit zufrieden zu sein. Die letzten zwanzig Jahre waren für mich sehr positiv. Ich bin relativ selten ungern ins Büro gegangen. Und häufig auch am Sonntag. Aber nicht weil ich ein Workaholic bin, sondern weil es mir einfach Freude gemacht hat, Sachen weiterzubringen. Dass ich das jetzt nicht mehr tue, fällt mir natürlich schwer.

Ein Landeshauptmann muss auch die Funktion eines ‘Hauptmannes’ ausüben, das heißt er muss führen.

Glauben Sie, dass Sie Ihrem Nachfolger diese Freude an der Arbeit vererbt haben?
Er hat die Fähigkeiten, das alles zu meistern. Ich bin sicher, dass mich mein Sohn nicht nur ersetzen wird, sondern es besser machen wird. Man muss den Jungen eine Chance geben, damit sie weiterkommen. Denn wenn man ihnen die nicht gibt, sei es im Betrieb oder in der Politik, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn irgendwann alles zusammenbricht. Und ich bin ganz fest davon überzeugt, dass der meine ein hundertprozentig richtiger Schritt war. Weil ich einfach auch spüre, dass ich mit 68 Jahren nicht mehr die Kraft habe. Und zum Teil auch nicht mehr das Hirn (lacht). Früher war es einmal meine Stärke, dass ich nach Jahren Menschen, beispielsweise auch nach einer einzigen Begegnung, wiedererkannt habe. Das funktioniert heute nicht mehr. Wie einiges anderes auch.

Ja?
Was ganz sicher nicht mehr funktioniert, ist das ganze Thema moderne Technologie. Wir befinden uns derzeit in einer regelrechten Technologie-Explosion. Die Digitalisierung und Automatisierung der Produktion, die so genannte Industrie 4.0, verdrängt zunehmend die menschliche Arbeitskraft. Und was da alles noch auf uns zukommt. Ich denke nur an die Smartphones, wo alles in Echtzeit über diverse Apps stattfindet. Oder die Smartwatches. Was aber auch alles schon wieder überholt ist, wie die Datenbrille HoloLens oder die Idee einer “intelligenten” Kontaktlinse beweisen. Die Zeit läuft so schnell, dass ein älterer Mensch da irgendwann keine Chance mehr hat. Und daher war es höchste Zeit für mich.

Ich habe in meinem Leben in Sachen Flugbetrieb in Bozen schon einmal einen Fehler gemacht. Das war, als ich mich aus Solidarität zu Franz Senfter an der Fluggesellschaft Air Alps beteiligt habe.

Sie haben den technologischen Wandel angesprochen. Veränderung hat es in den letzten zwei Jahrzehnten auch auf anderen Ebenen, etwa gesellschaftlich oder politisch, gegeben. Wie haben Sie diesen Wandel in Südtirol erlebt?
Das ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Ich muss leider Gottes sagen, dass sich in meinen Augen in Südtirol eigentlich relativ wenig geändert hat. Es gibt ein paar Ausnahmen. Aber zum Beispiel der ganze Bereich Technologieforschung und -entwicklung: Der Technologiepark in der Bozner Industriezone ist, auf gut wienerisch, ein Holler (ugs. für “Unsinn”, Anm. d. Red.) für mich. Wenn ich Forschung und Entwicklung betreiben lasse oder als Betrieb eine Zusammenarbeit in diesem Bereich suche, dann frage ich bei Universitäten an. Von diesem Zentrum in Bozen halte ich nicht allzu viel. Aber das habe ich immer schon gesagt. Und ich glaube nicht, dass sich da allzu viel ändern wird.

Um beim Thema Wandel zu bleiben: Nicht nur im Hause Leitner, auch in der Landespolitik hat es vor nicht allzu langer Zeit einen Generationenwechsel gegeben. Bereits des öfteren haben Sie die schwerfällige, untätige und bürokratielastige Politik kritisiert. Welche Hoffnungen setzen Sie in Arno Kompatscher als Landeshauptmann?
Mir steht es nicht zu, zu sagen, dass man die Hoffnung aufgeben sollte. Ich kann nur eines sagen: Als Geschäftsführer der Leitner AG habe ich Arno Kompatscher anlässlich der Inbetriebnahme der Seiser-Alm-Bahn kennen und sehr schätzen gelernt. Als er noch nicht Landeshauptmann sondern Geschäftsführer der Bahn war, haben wir uns hie und da getroffen und die Probleme zum Teil gemeinsam gelöst und sehr effizient abgewickelt. Seit er allerdings Landeshauptmann ist, sehe ich ihn nicht mehr – bis auf einmal kurz vor den Gemeinderatswahlen vergangenes Jahr. Aber das ist ja scheinbar seine Philosophie, dass er nicht den Eindruck erwecken will, irgendjemanden zu favorisieren. Wir sind zwar ein Betrieb mit nahezu 1.000 Angestellten allein in Wipptal, aber ok… Das Problem liegt aber eigentlich woanders.

Und dann werden auch noch Volksbefragungen gemacht. Man hat doch gesehen, was in Brixen und Meransen für ein Theater herausgekommen ist.

Nämlich?
Der Landeshauptmann hat bereits kurz nach Amtsantritt – und das war schon ein Schock für mich – ganz klar gesagt: Man soll die Beamten in Ruhe arbeiten lassen und nicht kritisieren.

Warum war das ein Schock?
Ja entschuldigung, ich darf die Beamten nicht mehr kritisieren? Nehmen wir die Sanität: Da bekommt ein hervorragender Primar, der sich eine Kritik erlaubt, ein Disziplinarverfahren. Weil irgend ein bundesdeutscher ‘General’, der sich laut Medien selbst so nennt, daherkommt und sagt, dass niemand eine öffentliche Aussage machen darf. Er selbst darf hingegen, als Betriebswirt öffentlich feststellen, welche Prothesen die Patienten mit höheren Alter bekommen sollten und welche Medikamente gegen Krebskrankheit verabreicht werden dürfen. Wozu haben unsere meist hervorragende Ärzte Medizin studiert? Und der Landeshauptmann, wo ist er denn? Der alte Landeshauptmann wäre mit so jemanden ganz anders verfahren. Man darf jemanden nicht kritisieren, weil er ein Beamter ist?

Sie selbst haben einige unglückliche Erfahrungen mit der Politik gemacht. Stichwort: Parkplatz.
Die Parkplatz-Sache… Da wird für unsere Arbeiter um teures Geld gegenüber der Einfahrt zum Firmengelände ein Stück Grund angekauft. Und irgendwelche Beamte verhindern zusammen mit dem Bürgermeister, und noch dazu mit unterschiedlichen Begründungen bei der Ablehnung der Baukonzession, dass wir dort einen Parkplatz errichten – und das, obwohl wir nicht einmal in einer roten, sondern in einer gelben, Zone sind. Wenn ich daran denke, dass in Telfs, wo wir unsere Büros verdoppeln und die Produktionshalle vergrößern, der Bürgermeister persönlich mit den Nachbarn spricht. Dann ist es doch klar, dass wir mit neuen Ingenieuren nach Telfs abziehen. Die Baugenehmigung zusammen mit einer Änderung des Bauleitplanes, hatten wir nach zwei Monaten in der Hand und in Kürze werden wir die neuen Räumlichkeiten belegen.

Mein Sohn wird mich nicht nur ersetzen, sondern er wird es besser machen.

Sie wollen sagen, dass diese Art der Unterstützung in Südtirol, sowohl in Sterzing als auch in Bozen, fehlt?
Total. Und dann werden auch noch Volksbefragungen gemacht. Man hat doch gesehen, was in Brixen und Meransen für ein Theater herausgekommen ist.

Wenn man Ihnen so zuhört, liegt die Frage nahe, ob es Sie nicht reizen würde, in die Politik einzusteigen? Jetzt hätten Sie doch etwas Zeit übrig.
Nein, das kommt nicht in Frage. Ich wurde bereits öfters gefragt und habe immer geantwortet: ‘Schuster, bleib’ bei deinen Leisten’. Wenn jemand als Unternehmer aktiv in die Politik eintritt, bin ich der Meinung, dass er das schon aus zeitlichen Gründen nie machen kann – wenn er seinen Betrieb ordentlich führen will. Für die Politik sollte man ein gewisses Talent haben und gewisse Voraussetzungen mitbringen. Die mir fehlen. Wie oft wurde Luis Durnwalder kritisiert, weil er um 6 Uhr in seinem Büro war. Für mich ist das ein Akt der Demokratie, für andere ein Zurschaustellen von Macht. Aber wenn man heute sieht, wie der Durnwalder den Laden geleitet hat… Der jetzige Mann (Arno Kompatscher, Anm. d. Red.) ist unwahrscheinlich fleißig, seriös und korrekt. Doch ein Landeshauptmann muss aber auch die Funktion eines ‘Hauptmannes’ ausüben, das heißt er muss führen. Aber ich sollte wohl auch nichts sagen, ganz nach dem Motto, ‘bleib’ bei deinen Leisten’, sprich dem Seilbahnbau.

Gemäß Ihrem Motto würde für Sie auch ein Einstieg in den Flughafenbetrieb nicht in Frage kommen? Wie die Tageszeitung am Wochenende berichtete, sollen sich einige private Unternehmer bereits in Position bringen, um bei einem negativen Ausgang des Referendums den Flughafen zu übernehmen.
Ich habe in meinem Leben in Sachen Flugbetrieb in Bozen schon einmal einen Fehler gemacht. Das war, als ich mich aus Solidarität zu Franz Senfter an der Fluggesellschaft (Air Alps, Anm. d. Red.) beteiligt habe. Das waren so 342.000 Euro, woraus mittlerweile weniger als ein Euro oder so geworden ist (lacht). Daher bin ich ein gebranntes Kind. Aber wenn ich jetzt lese, dass sich Private beteiligen wollen, benvenga. Wenn das nun aber nicht nur Gerede ist, frage ich mich, warum man sie das dann nicht gleich machen lässt? Warum sollte da die öffentliche Hand wieder eingreifen? Warum dann wieder eine Volksbefragung?

Die Zeit läuft so schnell, dass ein älterer Mensch da irgendwann keine Chance mehr hat.

Sie sehen den Flughafen skeptisch?
Ich bin bei Gott kein Experte, und bevor man dort seine Meinung abgibt, sollte man das Potential dieser Struktur genau studieren. Aber das Problem, das ich beim Flughafen Bozen sehe ist, dass oft falsche Zahlen genannt werden. Natürlich ist der Flughafen ein Faktor, der vor allem für den Tourismus von besonderer Bedeutung ist. Was die Linienflüge anbelangt, muss man sich das allerdings gut ausrechnen, ob er sich wirklich auszahlt. Dazu muss ich sagen, dass gewisse Tatsachen dazu zu wenig dargestellt werden.

Zum Beispiel?
Für einen Sterzinger, einen Eisacktaler oder einen Pusterer ist Innsbruck genauso weit entfernt wie Bozen. Oder sogar näher. Will jemand nach Rom fliegen, macht er das sicher von Bozen aus. Wenn jemand nach Wien will, fährt er sicher nach Innsbruck. Aber Otmar Michaeler ist ja ein sehr tüchtiger Manager, ich gehe davon aus, dass er sich diese Frage gestellt hat. Wo wir aber wieder bei der Volksbefragung wären…

Sie trauen der Bevölkerung nicht zu, eine Entscheidung zu treffen?
Was soll das Volk für ein Fachwissen haben? Wenn man den Flughafen ausbauen will, warum macht man es nicht? Nein, man will das Volk fragen. Wofür wähle ich die Politiker? Sie haben ja ganz andere Informationen und wissen das viel besser. Und wenn da jetzt Private einsteigen wollen, dann brauche ich ja keine Volksbefragung machen.

So viel zu Ihrer Vision zum Flughafen. Wie steht es mit der Vision für Ihre Zukunft? Was haben Sie nun vor? Werden Sie auswandern?
Auswandern werde ich aus Südtirol nicht. Weil ich Südtirol-krank bin.

Ich bin häufig auch am Sonntag ins Büro gegangen. Nicht weil ich ein Workaholic bin, sondern weil es mir einfach Freude gemacht hat, Sachen weiterzubringen.

Nach wie vor?
Nach wie vor. Bei Gott, das ist einfach mein Charakter. Und ich sage, was ich denke. Auch deshalb wäre ich als Politiker wohl ungeeignet (lacht). Nein, wissen Sie, ich habe so viele Projekte in meinem Kopf. Ich werde mich im Bereich Kunst sehr stark engagieren. Und das nachholen, was ich in den letzten zwanzig Jahren nicht machen konnte: gewisse Reisen, die mehr als eine Woche dauern. Was ich schon immer wollte ist, Südamerika der Länge nach bereisen.

Sie werden also komplett von der Bildfläche verschwinden?
Es ist nicht so, dass ich morgen verschwinden werde. Das hoffe ich zumindest. Ich werde operativ nicht mehr zur Verfügung stehen. Aber wenn es darum geht, dass man gewisse Sachen diskutiert und wenn man im Betrieb der Meinung  ist, dass der Alte noch etwas Gescheites zu sagen haben könnte, dann werde ich näturlich zu Verfügung stehen.