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Südtiroler Maskenball

Abseits der Oberalp-Lieferung geht es beim Kauf von Schutzkleidung im Südtiroler Sanitätsbetrieb wie im Wilden Westen zu. Man zahlt sogar an Firmen, die es nicht gibt.
Mascherina
Foto: upi
Außergewöhnliche Umstände erfordern auch unkomplizierte und unbürokratische Vorgangsweisen. Darüber herrscht allgemein ein politischer, juridischer und gesellschaftlicher Konsens.
Die Covid-19-Krise ist eine solche globale Ausnahmesituation. Deshalb lockerten alle Staaten verständlicherweise Anfang März 2020 auch ihre Bestimmungen in Sachen Ankäufen von Schutzkleidung und Schutzmasken für die öffentlichen Sanitätsbetriebe.
In einer Situation, wo es um Leben und Tod geht, kann man nicht langwierige öffentliche Ausschreibungsprozeduren – so wie sie in der öffentlichen Verwaltung zur Tagesordnung gehören –einhalten. Deshalb hat die Regierung Conte bereits Anfang März 2020 per Dekret die Möglichkeit von Direktvergaben und Vorauszahlungen geschaffen.
Da es international zu Engpässen von Schutzkleidung kommt, herrscht seit Monaten auf dem Markt der Schutzbehelfe eine Art Goldgräberstimmung. Jeder versucht zu kaufen und jeder versucht, das große Geschäft zu machen.
Das gilt auch für Südtirol.
Der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit liegt seit Wochen auf der Großlieferung der Oberalp und der Affäre um die Schutzmasken und Schutzanzüge aus China, die bis heute zum Gebrauch nicht zugelassen werden konnten. Im Schatten dieser Affäre haben Südtirols Sanitätsbetriebe aber weitere Ankäufe getätigt, von denen zumindest einige durchaus unbequeme Fragen aufwerfen.
 

Die Phantomfirma

 
Am 12. März 2020 veröffentlicht der Gesundheitsbezirk Bozen im öffentlichen Ausschreibungsportal des Landes gleich zwei Zuschläge für die Lieferung von Schutzmasken. Demnach hat die „L&B Manage and Consulting GmbH“ aus Schlieren in der Schweiz den Zuschlag für die Lieferung von „Schutzmasken FFP2 ohne Ventil an den Gesundheitsbezirk Bozen“ erhalten. Kostenpunkt: 113.750 Euro.
Dazu kommt noch am selben Tag ein zweiter Zuschlag an dasselbe Unternehmen zur Lieferung von Schutzmasken mit Ventil. Kostenpunkt: 89.250 Euro.
 
 
Man muss annehmen, dass die Schutzmasken auch wirklich an das Krankenhaus Bozen geliefert wurden. Die Frage aber ist, wohin die 203.000 Euro geflossen sind.
Denn die „L&B Manage and Consulting GmbH“ gibt es offiziell seit gut zwei Jahren nicht mehr.
 
 
Das Unternehmen mit Sitz in der Ringstrasse 3 in Schlieren bei Zürich wurde im Sommer 2016 gegründet. Der Gesellschaftszweck: „Die Eröffnung und Betreibung eines Online-Shops für Fashion“. Im Gründungsstatut heißt es: „Die Gesellschaft kann Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im In- und Ausland errichten und sich an anderen Unternehmen im In- und Ausland beteiligen sowie alle Geschäfte tätigen, die direkt oder indirekt mit ihrem Zweck in Zusammenhang stehen.
Das Gesellschaftskapital beträgt 20.000 Schweizer Franken, die je zur Hälfte von Simon Lange, einem im Berlin wohnhaften deutschen Staatsbürger, und Marco Breu aus St. Gallen eingezahlt werden. Es sind dann auch die Initialen L für Lange und B für Breu, die sich im Firmennamen finden.
 

Von Amts wegen gelöscht

 
Dem Unternehmen scheint aber kein großes wirtschaftliches Glück beschert zu sein. Offiziell ist das Unternehmen knapp zwei Monate lang tätig. Zwei Jahre später wird die „L&B Manage and Consulting GmbH“ aufgelöst.
Am 30. April 2018 erscheint im offiziellen „Schweizerischen Handelsamtsblatt“ (SHAB) die Bekanntmachung der Auflösung.
 
„Die Gesellschaft wird in Anwendung von Art. 155 HRegV von Amtes wegen gelöscht, weil die Gesellschaft keine Geschäftstätigkeit mehr aufweist und keine verwertbaren Aktiven mehr hat und kein Interesse an der Aufrechterhaltung der Eintragung innert angesetzter Frist geltend gemacht wurde.“
 
An diesem Status des Unternehmens hat sich bis heute nichts geändert. Die „L&B Manage and Consulting GmbH“ scheint sowohl im offiziellen Schweizer Handelsregister wie auch im Firmenidex des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement des Bundesamt für Justiz als „gelöscht“ auf.
 
 
Auch die internationale Mehrwertsteuernummer (UID), die beim Zuschlag vom Sanitätsbetrieb Bozen angegeben wurde, ist laut offiziellen Schweizer Angaben: „inaktiv“.
 

Die Investmentfirma

 
Sehr wohl findet sich aber eine aktuelle Spur des Unternehmens im Internet. Am 8. Feburar 2020 registriert Simon Lange eine neue Webdomain „lbinvest.ch“. Auf dieser Webseite wird die Investmentfirma „L & B Invest“ präsentiert. Das Unternehmen bietet verschiedenste Investmentmöglichkeiten an. Die einzige Dienstleistung, die diese Firma anbietet, ist die Vermögensverwaltung.
Ansprechpartner oder Namen gibt es auf der Webseite keine. Nur ein Hinweis auf die „L&B Manage and Consulting GmbH“ in Zürich/Schlieren“. Ebenso deren Steuernummer und eine Telefonnummer. Wer dort anruft, wird von einer Computerschleife in englischer Sprache recht schnell und elegant abgefertigt.
Die Frage ist jetzt, wie der Südtiroler Sanitätsbetrieb überhaupt auf die Phantomfirma als Lieferant für Schutzmasken gekommen ist. Und wie man über 200.000 Euro an ein Unternehmen zahlen kann, das es offiziell gar nicht mehr gibt?
Gleichzeitig aber gibt es mehrere Aussagen von Südtiroler Unternehmern, dass sie auf ihr Angebot keine oder eine abschlägige Antwort des Sanitätsbetriebes bekommen haben. 
Der Südtiroler Maskenball scheint eben eigene Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu haben.
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Michl T. Mer, 05/13/2020 - 08:58

"Man muss annehmen, dass die Schutzmasken auch wirklich an das Krankenhaus Bozen geliefert wurden."
In der Wissenschaft dienen empirische Beobachtungen dazu, theoretische Annahmen über die Welt zu überprüfen. Sodenn, lasset uns beobachten!

Mer, 05/13/2020 - 08:58 Collegamento permanente
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Johann Georg B… Mer, 05/13/2020 - 10:47

Es gibt sicher eine oder mehrere Personen , welche den kauf zugestimmt haben.
Wurde das Geld ausbezahlt?
Wurde Geliefert?
In Südtirol wird alles transparent gemacht,deshalb finden sie sicher eine Lösung, der LH und die LR werden es schon richten.

Mer, 05/13/2020 - 10:47 Collegamento permanente
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Klemens Riegler Mer, 05/13/2020 - 11:23

- Eine Schweizer UID-Nummer hat nichts mit einer EU-UID-Nr. am Hut. Die heißen nur gleich. Die Schweiz gehört bekanntlich nicht zur EU.
- Zudem hat die Provinz Bozen anscheinend zwar auf dem Ausschreibungsportal den Zuschlag an diese L&B erteilt, aber konnte zu jenem Zeitpunkt wohl keine Zahlung (in Vorkasse) leisten. Wenn die Ware angekommen ist und okay war, dürfte auch die Rechnung bei Fälligkeit bezahlt worden sein. Wenn die Ware nicht angekommen ist, dürfte auch kein Geld geflossen sein ... hoffentlich.
- Wenn es alles so gelaufen wäre, sehe ich hier keinen großen Skandal. Ganz im Sinne der Anfangszeile: "Außergewöhnliche Umstände erfordern auch unkomplizierte und unbürokratische Vorgangsweisen"

Mer, 05/13/2020 - 11:23 Collegamento permanente
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Blaas Walter Mer, 05/13/2020 - 15:31

Da lob ich mir den LR Widmann, welcher schon am 23 April! in einem Interview von Briefkastenfirmen im Zusammenhang mit dem Ankauf von Schutz-ausrüstung und masken sprach. Aussage Widmann: "Der Mangel sei da und Markt sei hart, sagt Gesundlandesrat Thomas Widmann - angesprochen auf die Knappheit von Schutzausrüstung. Angebote müssten nun sorgfältig geprüft werden - auch weil es sich bei den ausländischen Lieferanten oft um Briefkastenfirmen handle."

link: https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2020/04/tag-Suedtirol-Co…

Mer, 05/13/2020 - 15:31 Collegamento permanente