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Traurige Vergnügungen

Das Buch Enrico De Zordos „Divertimenti tristi“ liegt nun in deutscher Übersetzung vor. Ein Auszug aus dem Vorwort von Gabriele Di Luca als literarischer “Appetizer”.
DeZordo
Foto: Nicola Arrigoni

Die besondere Technik, mit der es De Zordo gelungen ist, sein Werk der Verknappung zu vollbringen […], entspricht einer präzisen Abfolge phänomenologischer Schritte, auch wenn der erste davon eher nach einem Stolpern aussieht. Da gilt es nun zu verstehen, wie eine Kaputte Erzählung (so die Überschrift des mittleren Ab­schnitts der Traurigen Vergnügungen, oder ihre verbor­gene Werkstatt, ihr Schlussstein) funktioniert, und dazu müssen wir uns auf die vielleicht radikalste, weil sich selbst auflösende Interpretation einlassen, die man hin­sichtlich der begrifflichen Krämpfe gewagt hat, die dieses Land in ihren Fängen halten.
Eine kaputte Erzählung, so der Autor, ist eine Samm­lung von Fragmenten, die ein Verstand zusammengetra­gen hat, der aber bei dem Versuch scheitert, diese zu einer Erzählung zu ordnen. Diese Definition ist wirksam, wenn man die kaputte Erzählung aus der Sicht ihres Gan­zen, als Gesamtheit von Texten betrachtet. Um eine Sammlung von Fragmenten allerdings als kaputte Erzäh­lung bezeichnen zu können, muss jedes einzelne Prosa­stück, aus dem sie sich zusammensetzt, seinerseits eine kaputte Erzählung sein, also ein Incipit, ein Schlusssatz oder irgendein sonstiger, aus einem bereits gewesenen, aber nicht mehr vorhandenen Stück Prosa herausgerisse­ner Passus – egal ob diese Prosa vollendet und dann ver­worfen, oder skizziert und sofort fallengelassen wurde.
In den Südtiroler Blättern  ist die Subjektivität, mit der die Südtiroler Geschichte nach 1992 zu erzählen versucht wird – also nach dem Ende des ethnischen Konflikts, der mittlerweile in einer Wolke reiner Inszenierungen ver­raucht ist – eine quer durch alle in der Provinz Bozen le­benden Sprachgruppen vorhandene Subjektivität. Das deutsche „wir" und das italienische „noi" werden zum Schweigen gebracht, das ladinische schweigt ohnehin seit jeher; stattdessen meldet sich ein diffuses Subjekt zu Wort, ein Klumpen von Subjektivität, der sich querlegt, kleiner als das italienische „noi", unsichtbar im Vergleich zum deutschen „wir" und trotzdem in der Lage, all diese „wir" zu beinhalten, ohne seinerseits zum Personalprono­men zu werden. Die Südtiroler Zettel hat ein diffuses, mehrstimmiges Subjekt geschrieben; dennoch sind sie noch vom klebrigen Teig der Südtiroler Vorstellungswelt umhüllt, vom Repertoire der vom „großen Narrativ der ethnischen Trennung" geschaffenen Figuren.

 

Das im Zeichen des von der Kaputten Erzählung gebil­deten Einschnitts konzipierte diffuse Subjekt beabsichtigt weiterhin, über Südtirol zu reden, verweigert sich aber ei­nem Rückgriff auf das Repertoire der von den „Darstel­lungen des ethnischen Konflikts" genährten Bilder. Die Texte der Kaputten Erzählung versuchen gewissermaßen, die finale Frage der Holzwürmer in dem diesen Band ab­schließenden Text zu beantworten: Gibt es für uns Holzwürmer dort draußen etwas? Exis­tiert außerhalb des Holzes, das wir bewohnen (will hei­ßen: jenseits der Repertoires an von der Darstellung des ethnischen Konflikts generierten Mustern), ein Ort, an dem es möglich ist ... sich zu erzählen?

Die Antwort lautet Ja: dort draußen ist es möglich, sich zu erzählen, doch die Geschichte, die von einem diffusen Subjekt erzählt werden kann, das sich nicht des Repertoi­res der Figuren der Südtirolfrage bedient, ist ein zerrisse­ne Erzählung: eine, die beginnt und sich verhakt, fortfährt und sich verhakt, von Neuem beginnt und sich verhakt, wieder anläuft und sich verhakt, Richtung ändert und so­fort stolpert und abstürzt, wieder aufsteht und erneut hin­fällt. Fazit: In den Südtiroler Zetteln versucht ein diffuses Subjekt, das Repertoire der von der Darstellung des eth­nischen Konflikts generierten Figuren aus einem anderen Blickwinkel heraus neu zu schreiben; in der Kaputten Er­zählung versucht dieses diffuse Subjekt, noch etwas zu Südtirol zu sagen, ohne dabei auf das Repertoire von Fi­guren der Südtirolfrage zurückzugreifen; im Türkisfarbenen Puder wird der Befreiungsprozess schließlich vollendet, weil dieses nach wie vor territoriale, lokale und provinzielle diffuse Subjekt sich wegschert und einem ly­rischen Subjekt Platz macht, das in seiner absoluten Spra­che einfach drauflosredet: 

Glu, glu, glu, glu. Wer heute eine Stimme hat, verzichtet auf das Wort: Er steht abseits, schweigt, macht sich hohl; überlässt die Bühne komplett einem glucksend vorüber­stapfenden Truthahn.