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Frankfurter Fraktur

Ein Kurzfilm für den Ehrengast Josef Bierbichler beim Filmfestival in Bozen hat für Zündstoff gesorgt. Die Episode zeigt, dass Kino nicht nur Unterhaltung ist. Zum Glück.
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Foto: Salto.bz

Als Überraschung für den Schauspieler Josef Bierbichler zeigte das Filmfestival in Bozen am Mittwoch einen Kurzfilm von Regisseur Hans Steinbichler, dessen Anwesenheit im Saal auch geplant war. Steinbichler musste seinen Besuch allerdings aus beruflichen Gründen kurzfristig absagen. Josef Bierbichler gab sich im Anschluss an die Projektion "irritiert" und kommentierte den Film Steinbichlers negativ. Eine Diskussion im Saal und ein Gespräch mit Salto.bz haben Regisseur Hans Steinbichler nun veranlasst, seine Sicht auf den Kurzfilm und die Anmerkungen Bierbichlers zu kommentieren.

 

salto.bz: Wie ist die Idee zum Kurzfilm FRAKTUR entstanden?

Hans Steinbichler: Tom Tykwer lud 2008 12 deutsche Regisseurinnen und Regisseure ein, sich über Deutschland Gedanken zu machen. Und ich wusste sofort, über was ich einen Film machen wollte. Die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland) hatte kurz zuvor, im Oktober 2007, beschlossen, ihr Layout zu ändern, das über Jahrzehnte immer das Gleiche geblieben war. Nämlich ohne Foto auf der Titelseite und mit politischen Kommentaren, ebenso auf der Titelseite, deren Überschriften in der altdeutschen Fraktur-Typo gedruckt wurden.

FRAKTUR hat keine Botschaft, der Film war für mich eine Art Fieberthermometer im Hintern der Deutschen.

Quasi über Nacht wurden diese „ehernen“ Merkmale der FAZ von der Redaktion eliminiert. Der Sturm, der darauf losbrach, lies vermuten, dass Deutschland, ja das ganze Abendland dem Untergang geweiht sei. Leser schrieben verzweifelt von der Barbarei eines Bildes auf der Titelseite, davon, dass der Entschluss der Redaktion den Beschlüssen der KPdSU gleiche, dass dieser Tag der traurigste Tag in der Geschichte Deutschlands sei und wie erbärmlich es sei, dass das deutsche Bürgertum seine Zeitung verloren habe.
Ich spürte damals in den Kommentaren zu diesem eigentlich lächerlichen Vorgang eine Wut, einen Hass, eine Gewaltbereitschaft und gleichzeitige Hilflosigkeit, in der ich etwas zutiefst „deutsches“ erkannte. Und dieses Gefühl wollte ich untersuchen und in FRAKTUR dramatisieren. Und zwar bis zu einem Punkt und einem Ende, wo einem das Lachen im Hals stecken bleiben sollte.

 

Nach Breivik, Christchurch, Charlie Hebdo - ist die Botschaft des Filmes 2019 anders zu lesen als 2009? Würden Sie den Film heute anders machen?

FRAKTUR hat keine Botschaft, der Film war für mich eine Art Fieberthermometer im Hintern der Deutschen.
Ich spürte damals intuitiv, dass sich Meinungen, Parteien und Ideologien in rasender Geschwindigkeit radikalisierten und versuchte in der Figur des Industriellen Beintl - den ich mit allen Insignien des deutschen Unternehmers ausstattete -  die „brutalstmögliche Form“ - Zitat des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch - für den Auswege aus seinem Dilemma zu finden. Und so kam ich auf die Form eines Kohlhaas’schen Rachefeldzuges, der mit Verbrennungen von Gedrucktem und in einem Amoklauf enden würde. Wissend, dass im vermeintlich „domestizierten“ Deutschland der Nachkriegszeit das Verbrennen von „Gedanken“ und die systematische Ermordung einer definierten Gruppe - hier der Redaktion der FAZ - zu den schlimmstmöglichen Assoziationen führen MUSSTE. Und eben auch ganz im Sinne von Bloch, dass Denken übertreten heißt. Der Film sollte ein Schock sein, der einem in die Glieder fährt und zum Nachdenken bewegt.

Bierbichler ist also „irritiert“ - und ich bin tief getroffen.

Heute - nach Breivik, nach Orlando und vor allem nach Charlie Hebdo - wäre es nicht mehr möglich, diesen Film herzustellen. Und auch nicht mehr nötig. Denn so wie ich ihn 2008 dachte, kann er nicht mehr gedacht werden. Meine Warnung in Form einer Satire ist in Paris zu einer bitterbösen Wirklichkeit geworden. Für mich war Charlie Hebdo ein 9/11 des freien Geistes und des Denkens. Wir haben uns davon auch nicht mehr erholt. Leider ist mit diesem Anschlag - und vielen anderen - sowie der Ideologisierung unserer Gesellschaft durch Populisten aller Couleur und Geistesrichtung auch die Freiheit der Kunst und des Denkens in große Gefahr geraten. Die sogenannten sozialen Medien tun ihr übriges dazu. Die Gedanken sind nicht mehr frei, sondern messerscharfe Bumerange im Gefängnis eines touchbedienten Überwachungsapparates geworden. Sie können diesen nicht ausweichen und nicht mehr entkommen.

 

Josef Bierbichler war beim überraschenden Wiedersehen, 10 Jahre nach der Entstehung des Films FRAKTUR, "irritiert"...

Erstaunlich. Der Hauptdarsteller des Filmes, mit dem ich über zwei Monate an dem Projekt arbeitete und mit ihm über den Inhalt und die Form gerungen habe, gibt sich „irritiert“. Mich irritiert, mit welcher Leichtigkeit Bierbichler mit Begrifflichkeiten und Assoziationen wie Nazi-Material, Satire, links und rechts und Werk und Autor jongliert. Und dann den hanebüchenen Kurzschluss formuliert, meine echte Sympathie für den christsozialen Politiker Seehofer sei der Beweis für den satirefreien Nazi-Inhalt meiner Gedanken. Auf so etwas verbogenes und im Kern hochgiftiges muss man erstmal kommen. Bierbichler ist also „irritiert“ - und ich bin tief getroffen. Vom Verhandeln solcher Gedanken zwischen zwei ehemals Nahen in der Öffentlichkeit. Insofern bereue ich es sehr, dass ich verhindert war, nach Bozen zu kommen. Ich wollte Sepp mit meiner Aufwartung freudig überraschen und in einen Dialog zurückkehren, den er zurecht vermisst.

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Martin Kaufmann Mar, 04/16/2019 - 11:21

Es freut mich, daß der Hans Steinbichler Kurzfilm FRAKTUR mit Josef Bierbichler in der Hauptrolle beim Festival eine Diskussion ausgelöst hat und daß SALTO die Geschichte veröffentlicht hat, danke! Wir sollten uns den Film einmal in aller Ruhe anschauen und besprechen!

Mar, 04/16/2019 - 11:21 Collegamento permanente