Società | Coronavirus

Zwischen Superfurbi und Realitätsfernen

Alptraum oder Wahrheit, Historie oder Zukunftsszenarium? Wo führt die Situation hin und wann endet sie? Bleibt doch endlich zu Hause!
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Alptraumgequält winde ich mich täglich durch die neue Realität: Vorherrschendes Denunziantentum, Bekanntschaften beäugen sich argwöhnisch, die Medien übermitteln Horrornachrichten, das Telefon steht nicht mehr still, Menschen bezichtigen sich gegenseitig des Egoismus und lieb gewonnene Menschen zeigen neue Gesichter. Zwischenmenschlichkeit erhält einen neuen Oberbegriff und eine neue Sinneszuschreibung, und was das alles mit mir macht? Viel! Vermeintlich tapfer kämpfe ich mich durch den Wald des Verderbens, vermeintlich tapfer ignoriere ich immer häufiger die schlechten Nachrichten, die Prophezeiungen und die harsche Kritik.

Man möchte meinen, unsere Kinder profitieren von den momentanen Zuständen – doch weit gefehlt. Sie werden auffällig, panisch beim Anblick eines Carabinieri-Autos und rebellieren an der Elternfront – Tag für Tag. Es ist nicht nur ein: bleibt zu Hause! Bleibt zu Hause und genießt das Leben in euren Prachtbauten, euren Ländereien, eurem Luxusland samt hauseigenem Spielplatz. So könnte es sein, in einer Zeit ohne Corona, in einer Zeit mit normal beantragtem Urlaub. Jedoch momentan ist alles anderes. Normalo kriegt nichts mit, von den Krankenhauszuständen oder von den Zuständen in den Altersheimen. Normalo kann die Situation gar nicht richtig einordnen, kann nur der Main-Stream-Presse vertrauen. Jenen Artikeln vertrauen, die sich immer unglaubwürdiger anfühlen.

In den Socialmedia fauchen sich Menschen gegenseitig an. Hassparolen werden durch den fiktiven Raum geschleudert: „Geht in die Krankenhäuser und helft dort, dann werdet ihr schon sehen. Bleibt zu Hause und seid ruhig!“ „Wegen euch Superfurbi stecken wir immer noch mittendrin! Bleibt zu Hause!“

Und was macht das mit mir? Immer noch zu viel! Ich frage mich, ob neben den großzügigen Angeboten von Seiten der Politik zur Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit auch an eine schwer traumatisierte Bevölkerung postcorona gedacht wird. Ob die Physis der Psyche immer und stets ante mortem gewollt vorangestellt wird?

Verschwörungstheoretiker schießen wie die Pilze aus dem Boden, Hassprediger prophezeien menschlich-soziale Verunglimpfung. Die Gegenseite propagiert ihr Vorgehen, in gebetsmühlenartigen Interviews und Statements werden zwischen den Zeilen Horrorvisionen offengelegt. Um die Menschen zusätzlich zu verängstigen und weiter in den mutmaßlich sicheren Kokon zu pressen? Wer weiß das schon.

Ich weiß nur, dass ich immer stärker das Gefühl habe, dass etwas passiert, das mir große Angst bereitet – und ich spreche nicht vom Virus. Ich traue mich kaum mehr zum Einkaufen oder zur Apotheke. Ich fühle mich dank starker Präsenz der Exekutive wie ein Schwerverbrecher, wie mitten im Polizeistaat oder mitten im Kriegsgebiet. Sollen Grundrechte nur in Wohlstandszeiten oder auch in Krisenmomenten gelten? Schafft eine schwer traumatisierte, finanziell gedemütigte und gebeutelte Gesellschaft einen raschen Wiederaufbau nach dem Virus? Gibt es eine Zeit nach dem Virus?

Die Ereignisgeschichte hat uns gelehrt, dass plötzliche Macht gierig macht und dass diese ungern wieder abgegeben wird. Wird die Historie zur Zukunft?

Und was das mit mir immer noch macht? Unbeschreiblich viel. Ich vermisse meine lieben Menschen, darf mich nicht von ihnen verabschieden, darf meine Grundrechte nicht in Anspruch nehmen, darf meine Freunde nicht mehr umarmen, darf mein Leben nicht mehr wie geplant führen.

Meine Antwort auf all die vorher erwähnten Hassparolen: „Nein, ich kenne euren Alltag nicht, ich bin auch kein Superfurbo. Ich bin ein Mensch, mit einer Seele und sage euch nur: ihr kennt meinen Alltag nicht und ihr wisst nicht was ich auf mich nehme, wie ich mich fühle, was mit mir geschieht. Es bedarf immer einer Beurteilung aufgrund jeglicher Wahrheiten. Denn die von der Politik und von den oberen Zehntausend gepushten Nachrichten fühlen sich einseitiger denn je an.“

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Peter Gasser Mar, 04/14/2020 - 17:32

“traue mich kaum mehr zum Einkaufen oder zur Apotheke. Ich fühle mich dank starker Präsenz der Exekutive wie ein Schwerverbrecher, wie mitten im Polizeistaat oder mitten im Kriegsgebiet”:
Ich war heute zum ersten Mal weiter draußen, so etwas Banales wie Staubsaugersäcke kaufen; mir begegneten die Menschen freundlich, man lächelte sich zu. Am Straßenrand die Dorfpolizei, wie vor Corona auch; im Geschäft habe ich gehustet, entschuldigte mich; ein freundliches “machen Sie sich keine Sorgen, geht es Ihnen gut?” kam zurück.
Nirgends Phobie oder Panik. Nur Vorsicht.
Kein “Schwerverbrecher”, kein “Polizeistaat”, kein “Krieg”.

Mar, 04/14/2020 - 17:32 Collegamento permanente