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Wunden, die nicht heilen

In Köln haben drei Historikerinnen die Initiative „Decolonize Cologne“ gestartet. Sie wollen mit kritischen Stadtführungen die Kolonialgeschichte Deutschlands erzählen.
Decolonize Cologne
Foto: Ullstein

Bis heute sind in vielen Ländern der Erde instabile Regierungen, wirtschaftliche Schwäche und ethnische Konflikte direkte oder indirekte Folgen des Kolonialismus. Bis heute hat die jahrhundertelange europäische Fremdherrschaft die Welt geprägt. Und bis heute finden wir die Spuren des kolonialen Zeitalters an Gebäuden, Denkmälern und Straßennamen.

Mit dem Ziel, eine ganze Stadt zu dekolonialisieren, gründeten drei Historikerinnen im Jahr 2019 die Initiative Decolonize Cologne. Die drei Frauen, Bebero Lehmann, Azziza Malanda und Merle Bonde, wollen mit kritischen Stadtführungen in Köln auf die Kolonialgeschichte Deutschlands aufmerksam machen. Lehmann erklärt: „In der Schule und an der Universität wird die Kolonialzeit bis heute vernachlässigt. Das muss sich ändern. Aber auch eine Straße kann ein guter Lern- und Erinnerungsort sein“. Die Führungen passieren entweder das Nippeser Afrika-Viertel oder die Kölner Südstadt.

Wichtig sei für Lehmann vor allem der Perspektivwechsel, deshalb legt sie bei ihren Führungen durchs Afrikaviertel den Fokus weniger auf die Verbrechen des Deutschen Reiches, sondern eher auf den Schwarzen Widerstand gegen den Kolonialismus. „Das Wissen über Kolonialgeschichte kann empowernd sein“, gibt die Afrodeutsche zu bedenken, „wenn wir sie als Geschichte der Schwarzen Präsenz und des Schwarzen Widerstands erzählen.“ Ihr persönlich habe der Blick in die Geschichte geholfen, ihre eigenen Erlebnisse mit Rassismus zu verstehen und Widerstand zu leisten.
 


Auf die Frage, wie sich eine koloniale von einer gewöhnlichen Stadtführung unterscheidet, antwortet Azziza Malanda, Mitgründerin von Decolonize Cologne: „Das Ziel der Führung ist es, koloniale Spuren in der Stadt sichtbar zu machen. Beispielsweise anhand von Straßennamen, Gebäuden oder Denkmälern. Wichtig ist dabei zu fragen, aus welchem Blickwinkel Geschichte bislang vornehmlich erzählt wird. Wessen Stimmen gehört werden und welche nicht. Und an wen und was wir erinnern, wenn Straßen nach KolonisatorInnen benannt sind.“

Ein Beispiel für eine Station bei der kolonialen Stadtführung: In der Straße An der Bottmühle 2 (Köln) steht ein Gebäude des Deutschen Roten Kreuzes mit der Aufschrift: Häusliche Krankenpflege Innenstadt. Von 1888-1913 war dies der Sitz des „Deutschen Frauenverein(s) für die Krankenpflege in den Kolonien“. Von dort aus wurden Pflegerinnen in deutsche Kolonialgebiete geschickt, um die Deutschen, die sich in den Kolonien befanden, im Krankheitsfall zu pflegen. Eine weitere Aufgabe war es auch, der kolonialisierten Bevölkerung, die von den KolonisatorInnen als vermeintlich ungepflegt und unhygienisch stigmatisiert wurde, beste Hygienestandards aufzuzwingen.

Können koloniale Spuren im Stadtbild unsere Wahrnehmung und unser Denken überhaupt beeinflussen? „Oft wissen wir gar nicht, dass diese Dinge – Denkmäler z. B., ein postkoloniales Erbe tragen, das stimmt. Aber durch dieses ‚indirekte‘ Sichtbarmachen anhand von Straßennamen, Denkmälern usw., legitimieren wir immer noch Ereignisse oder zelebrieren sogenannte Kolonialhelden, die direkt für Herabwürdigung, Ausbeutung und rassistische Gewalt gegenüber den Menschen in den ehemaligen deutschen Kolonien verantwortlich sind. Ziel ist es daher, diese Räume zu dekolonialisieren, indem wir die Verbindungen in die Vergangenheit offenlegen und kritisch reflektieren. Wir rücken in den Vordergrund, was in unseren Schulbüchern nicht vorkam, etwa Geschichten von anti-kolonialen Widerstand, Einfluss von Kolonialismus auf westliches Wissen, Sichtbarmachen von Frauen als Akteurinnen und die Perspektiven Schwarzer und People of Color, die als KolonialmigrantInnen nach Deutschland kamen“, erklärt Azziza Malanda.  
 


Auch Merle Bode ist Mitgründerin der Initiative. Sie beschäftigt sich aus einer kritischen, weißen Perspektive mit intersektionalem Feminismus, Rassismus, Antisemitismuskritik und promoviert zurzeit an der Universität zu Köln zum Thema „Weiß sein in der Frauenbewegung“. Für sie muss das Erinnern an den Kolonialismus vor allem plural sein: „Es macht einen Unterschied, ob die eigenen Vorfahren Teil der deutschen Kolonialverwaltung waren oder ihre Subjekte, denn dies beeinflusst auch die Perspektive, mit der wir heute auf diese Geschichte blicken. Und ja, bei diesen Themen, also Rassismus und Kolonialismus, sind auch weiße Menschen gefragt“, sagt Merle Bode. Außerdem gehe es vor allem darum, eigene Privilegien machtkritisch zu hinterfragen.

Die drei Gründerinnen sind hauptsächlich für die Führungen durch die Stadtteile zuständig. Weitere drei Mitarbeiterinnen teilen sich verschiedenste Aufgaben auf: die Betreuung der Social-Media-Kanäle, Entwicklung von neuen Workshops, inhaltliche Recherchen und Organisationsarbeit.

Dass solche Projekte etwas bewirken können, zeigt das Beispiel der Initiative Decolonize Berlin. Durch eine Unterschriftensammlung wurde die Mohrenstraße in Berlin-Mitte umbenannt. Seit August 2020 heißt jene nämlich Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Amo war der erste Afrikaner in der Zeit der Aufklärung um 1800, der an einer christlich-europäischen Universität studierte, der erste Afrikaner, der Philosophie in Europa praktizierte und der erste Philosoph, der in seinen akademischen Arbeiten die Rechtsgrundlage der Versklavung von Afrikanern in Europa infrage stellte.

Seit Ende 2020 ist Decolonize Cologne Teil von Decolonize! E.V., dem Verein für rassismus- und diskriminierungskritische, intersektional-feministische Bildungs-, Kultur- und Empowermentarbeit mit Sitz in Köln. Der Verein ist unabhängig und als gemeinnützig anerkannt.