Società | sexueller missbrauch

Gegen das Schweigen

Unsäglich und oft ein Leben lang leiden Menschen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden. In Kürze startet eine Betroffene eine neue Selbsthilfegruppe.
Mädchen mit Teddy
Foto: Pixabay

Erika – sie heißt in Wirklichkeit nicht so – hat als Kind etwas erlebt, das kein Kind erleben dürfte: sexuellen Missbrauch. Lange Zeit hat sie gelitten, ihr Vertrauen in andere Menschen war tief erschüttert. Heute ist Erika 56 Jahre alt und ein lebensfrohe Frau. Dazu zu werden hat sie viel Kraft gekostet. Jetzt will sie Menschen, denen es wie ihr ergangen ist, helfen. “Ich möchte Frauen und Männer, die ähnliches erlebt haben, motivieren, nicht länger zu schweigen und sich Hilfe zu holen”, erklärt sie in einer Aussendung des Dachverbands für Soziales und Gesundheit. Mit dessen Unterstützung hat Erika eine Selbsthilfegruppe gegründet, die ab Ende Mai startet.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass 9 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Europa von sexuellem Missbrauch mit und ohne Körperkontakt betroffen sind. Im Durchschnitt sitzen in jeder Schulklasse 2 bis 3 Betroffene. “Jede und jeder von uns kennt ganz bestimmt einen anderen Menschen, der von Missbrauch betroffen ist, auch wenn wir meist nichts davon wissen”, zeigt Alexander Larch vom Dachverband für Soziales und Gesundheit auf.
Gerade auch in Südtirol sei sexueller Missbrauch “ein unbequemes, ein verstörendes Tabuthema, das noch viel an Aufarbeitung bedarf”, heißt es in der Aussendung des Dachverbands. “Es gibt Themen, über die wir lieber nicht sprechen. Wir verdrängen sie, weil sie so unfassbar sind, dass sie uns direkt ins Mark treffen. Sexueller Missbrauch von Kindern ist so ein Thema. Dabei passiert sexueller Missbrauch häufig. Vor allem in der Familie und im unmittelbaren sozialen Umfeld. Aber auch in Schule, Kirche, Sport und ähnlichem. Darüber gesprochen wird nur hinter vorgehaltener Hand. Es hängt ein dunkler Mantel des Schweigens darüber. Der Druck seitens der Gesellschaft ist hoch. Die Angst davor, dass mit dem Finger auf einen gezeigt wird, ist groß. Nur wenige Betroffene finden den Mut sich zu ‘outen’. Das Trauma ist mit sehr großer Scham und Selbstzweifeln behaftet. Es braucht Jahre, oft Jahrzehnte bis die Erlebnisse so weit bewältigt sind, dass Betroffene nach außen gehen und sich Hilfe suchen. In der kleinteiligen, dörflichen Struktur von Südtirol, in der jeder jeden kennt, fällt es nochmals schwerer von den belastenden Erlebnissen zu erzählen, was der Trainer, der Vater, die Tante, der Nachbar, der Onkel, der Pfarrer mit ihnen gemacht hat.”

“Die Hemmschwelle ist riesengroß”, weiß Erika. Vor kurzem hatte sie ein Gespräch mit einer Frau, die ebenfalls in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurde. Diese Frau ist heute 70 Jahre alt. “Zum ersten Mal hat sie sich nun jemanden anvertraut. Sie hat ihr Leben lang dieses Geheimnis als schwere Last mit sich herumgetragen”, meint Erika.

Sich nicht allein fühlen, sich Mut zusprechen und austauschen ist in einer neuen Selbsthilfegruppe möglich, die Ende Mai startet. Die Selbsthilfegruppe “Freier leben – sexuell missbraucht in der Kindheit” richtet sich an Betroffene von sexueller Gewalt in der Kindheit. In der Gruppe sind Frauen und Männer willkommen. Die Treffen finden in deutscher Sprache statt, die Teilnahme ist kostenlos. Das erste Treffen findet am Montag, 31. Mai 2021 am frühen Abend in der Nähe von Bozen statt. In der Folge sind Treffen am letzten Montag im Monat geplant. Die Teilnahme ersetzt keine Therapie. Anonymität und Vertraulichkeit werden selbstverständlich zugesichert. Weitere Informationen und Anmeldung zur Selbsthilfegruppe bei der Dienststelle für Selbsthilfegruppen: 0471 1888110 oder [email protected]

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Karl Trojer Gio, 05/13/2021 - 10:37

Ich möchte der Frau Erika für diese Ihre Initiative sehr danken ! Diese ungeheure Last kann wohl am ehesten im Austausch mit ähnlich Betroffenen gelindert werden und dieser Austausch stärkt wohl auch den Mut sich einer entsprechenden Therapie anzuvertrauen. Besser hinhören und liebevolles Begleiten wäre vom Umfeld der Betroffenen gefragt.

Gio, 05/13/2021 - 10:37 Collegamento permanente