Economia | Gastgewerbe

„Gastgewerbe nicht schlechtreden“

Obwohl es in allen Sektoren an Arbeitskräften fehlt, wird das Gastgewerbe derzeit als Problemkind dargestellt. Helmut Tauber wehrt sich gegen die Pauschalverurteilung.
Tauber, Helmut
Foto: HGV
„Zunächst muss gesagt werden, dass es nicht nur im Gastgewerbe einen Mangel an Arbeits- und Fachkräften gibt. Auch in den anderen Sektoren, einschließlich der öffentlichen Verwaltung, zeichnet sich eine schwierige Situation ab“, so Helmut Tauber, Landtagsabgeordneter der SVP, der darauf hinweist, dass das Land Südtirol bislang nur bei der Arbeitslosenquote die arbeitsmarktpolitischen Zielwerte 2020-24 erreicht habe, und zwar eine Arbeitslosenquote von unter sechs Prozent. Derzeit beträgt sie 3,8 Prozent. „Das heißt, wir haben nicht ein Problem der Arbeitslosigkeit, sondern das Problem einer zu geringen Erwerbstätigkeitsquote“, so der Landtagsabgeordnete, der als HGV-Obmann des Bezirkes Eisacktal die Situation aus erster Hand kennt.
 
 
 

Erwerbstätigkeitsquote gesunken

 
Laut den neuesten Daten, die sich auf das Jahr 2021 beziehen, ist der Südtiroler Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Entwicklung der Erwerbstätigkeitsquote in den letzten zwei Jahren auf den Stand von vor circa zehn Jahren zurückgefallen. Wie Tauber vermutet, dürfte diese Entwicklung eine Folge der Auswirkung der Corona-Krise sein. Durchschnittlich sind im Jahr 2021 75,8 Prozent der 20- bis 64-Jährigen einer Beschäftigung nachgegangen; zum Vergleich: im Jahr 2019 waren es noch 79,5 Prozent. Das Land hat als Zielmarke für 2024 in puncto Erwerbstätigkeitsquote allerdings 80 Prozent vorgegeben. „Es fehlen also immerhin 4,2 Prozent“, so Tauber, der auf weitere interessante Fakten verweist. So ist die Erwerbstätigenquote bei den Frauen der Altersklassen 20 bis 64 Jahre 2021 auf 68,5 Prozent gefallen, womit sie auf dem Niveau des Jahres 2011 liegt. Zum Erreichen des Ziels von 77 Prozent fehlen 8,5 Prozent. Das geschlechtsspezifische Beschäftigungsgefälle bzw. die Differenz zwischen der Erwerbstätigenquote der Männer und jener der Frauen liegt 2021 unverändert bei 14,6 Prozent.
 
Möglicherweise gibt es Fälle, wo bestimmte Förderungen und Unterstützungsmaßnahmen wie beispielsweise bei der Wohnbauförderung dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis bewusst ausgeschlagen wird.
 
 
Ebenfalls unverändert zum Vorjahr ist die Quote der erwerbstätigen 15- bis 24-jährigen Jugendlichen, die bei 36,3 Prozent liegt. Auch hier wird die Zielvorgabe von 42 Prozent für das Jahr 2024 um 5,7 Prozent verfehlt. In diesem Zusammenhang verweist Tauber auf den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeitsquote und Ausbildung sowie auf die große Bedeutung der Berufsausbildung bzw. der dualen Ausbildung in Form einer Lehre. „Eine hohe Erwerbstätigkeitsquote von jungen Menschen kann als Beleg für ein ausgebautes Berufsinformationssystem sowie Schul- und Ausbildungssystem betrachtet werden, das einen gelungenen frühen Einstieg in die Arbeitswelt begünstigt“, so der Landtagsabgeordnete, der betont, dass in Südtirol eigentlich die Arbeitskräfte vorhanden wären. „Jedoch können oder wollen diese aus den unterschiedlichsten Gründen kein Arbeitsverhältnis eingehen“, erklärt Tauber, der betont, dass die Ursachen dafür genauer untersucht werden müssten. Mit ein Grund dürften fehlende und zu wenige flexible Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder sein, weiters zu wenig Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten. „Möglicherweise gibt es Fälle, wo bestimmte Förderungen und Unterstützungsmaßnahmen wie beispielsweise bei der Wohnbauförderung dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis bewusst ausgeschlagen wird“, gibt der Landtagsabgeordnete zu bedenken und erklärt, dass in diesem Kontext auch das Thema „reddito di cittadinanza“ nicht unerwähnt bleiben dürfe. Das Problem bestehe darin, dass manche Bezieher den „reddito“ einer Beschäftigung vorziehen würde, zwar nicht unbedingt in Südtirol, jedoch bei Arbeitskräften aus Mittel- und vor allem Süditalien. Die Ursache wiederum dafür könnte in der zu geringen Entlohnung der Arbeitskräfte liegen, glaubt der Landtagsabgeordnete.
 
Ziel muss es jedenfalls sein, möglichst viele in die Beschäftigung zu bringen und vor allem die Erwerbsquote bei den Frauen zu steigern.
 
„Ziel muss es jedenfalls sein, möglichst viele in die Beschäftigung zu bringen und vor allem die Erwerbsquote bei den Frauen zu steigern“, erklärt der Landtagsabgeordnete, der in diesem Zusammenhang auf seinen Beschlussantrag „Ja zu Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ verweist, der im Landtag mehrheitlich angenommen wurde und mit welchem die Landesregierung aufgefordert wird, weitere Schritte in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unternehmen. Dazu zählt unter anderem auch der Ausbau der Kleinkinderbetreuung und der Ferien- und Nachmittagsbetreuung sowie die Anpassung der bestehenden Betreuungssysteme.
 

Beschäftigung nimmt zu

 
„Was nun das Gastgewerbe im Speziellen betrifft, so muss darauf geachtet werden, den Sektor als solchen nicht schlecht zu reden“, betont Tauber und verweist dabei auf die aktuellen Statistiken, welche zeigen, dass die Beschäftigtenzahl nicht abgenommen, sondern vielmehr zugenommen hat. Vergleicht man die Daten der vergangenen zehn Jahre, waren es rund 6.000 Personen mehr, die in diesem Sektor eine Arbeit gefunden haben. Trotz Corona-Pandemie, die zeitweise zu großen Einbrüchen in der Beschäftigungslage geführt habe, sei der Tourismussektor nach wie vor ein sicherer Arbeitgeber. Allein im Vergleich zum Rekordjahr 2019 stieg die Anzahl der Beschäftigten im Gastgewerbe um rund 2.000 Mitarbeiter. Fakt ist somit, dass die Anzahl der Beschäftigten im Gastgewerbe nicht gesunken ist, sondern generell steigt.
 
Fakt ist aber auch, dass mehr Beschäftigte erforderlich sind und somit auch mehr Beschäftigte gesucht werden.
 
„Fakt ist aber auch, dass mehr Beschäftigte erforderlich sind und somit auch mehr Beschäftigte gesucht werden. Dies lässt sich auch auf die stetig steigende Qualität im Sektor selbst zurückzuführen“, betont Tauber, der in diesem Zusammenhang auf die geltenden Personalschlüssel bezüglich der Einstufung der Betriebe in die verschiedenen Sternekategorien verweist. Denn je höher ein Betrieb eingestuft wird, desto größer ist auch der Bedarf an Mitarbeitern. Nichtsdestotrotz herrscht in beinahe allen Wirtschaftssektoren ein Mangel an Arbeits- und Fachkräften – auch im Gastgewerbe. „Die allgemeine Aussage, dass der Tourismussektor über weniger Arbeitskräfte verfügt, ist statistisch gesehen nicht korrekt“, betont der Landtagsabgeordnete und erklärt, dass die Beschäftigtenzahl im Sektor grundsätzlich gestiegen sei.
 
Im Verlauf des Jahres 2021 haben jedenfalls alle Wirtschaftssektoren, inklusive dem Tourismus und den damit verbundenen Bereichen, den Beschäftigungsstand von vor zwei Jahren erreicht bzw. sogar leicht übertroffen.
 
„Es braucht jedoch – auch aufgrund des Wachstums im Sektor bzw. der steigenden Qualität – mehr Personal. Dementsprechend groß ist auch im Gastgewerbe die Suche nach Arbeitskräften. Die Betriebe suchen händeringend nach Personal, das kann nicht abgestritten werden“, so Tauber. Jedoch könne nicht bestätigt werden, dass aufgrund der Corona-Pandemie viele Arbeitskräfte vom Gastgewerbe in andere Sektoren abgewandert sind. Vielmehr dürfte die Pandemie dazu beigetragen haben, dass sich insgesamt mehr Menschen neu orientiert haben bzw. sich für eine Übergangszeit eine alternative Beschäftigung gesucht habe, glaubt Tauber  und erklärt: „Im Verlauf des Jahres 2021 haben jedenfalls alle Wirtschaftssektoren, inklusive dem Tourismus und den damit verbundenen Bereichen, den Beschäftigungsstand von vor zwei Jahren erreicht bzw. sogar leicht übertroffen.“
 

Attraktivität steigern

 
Der Tourismussektor hat bereits einiges in die Wege geleitet, um die Attraktivität des Sektors als Arbeitgeber zu steigern, betont der Landtagsabgeordnete und HGV-Obmann des Bezirkes Eisacktal. Die Arbeit im Gastgewerbe sei auch in den meisten Fällen attraktiv, könne aber in bestimmten Punkten selbstverständlich noch verbessert werden wie beispielsweise bei der Flexibilität, im Entgegenkommen den Mitarbeitern gegenüber bei den Arbeitszeiten, „wobei es hier natürlich auch Grenzen gibt“.
 
 
 
Eine der maßgeblichen Initiativen zur Steigerung der Attraktivität des Gastgewerbes als Arbeitgeber ist der lokale Gesundheitsfonds MySanitour+, der Ende 2021 vom HGV und lokalen Gewerkschaften in Zusammenarbeit mit Mutual Help für den gesamten Tourismussektor in Südtirol eingerichtet wurde. Damit konnten für die Beschäftigten der Beherbergungs- und Nicht-Beherbergungsbetriebe – sowohl mit befristetem als auch unbefristetem Vertrag – interessante Zusatzleistungen im Bereich Gesundheit und Vorsorge angeboten werden. Dazu gehören Facharztuntersuchungen im öffentlichen und privaten Gesundheitssektor, Diagnostik und Laboruntersuchungen, chirurgische Eingriffe, Diagnostik und Untersuchungen in der Schwangerschaft sowie einige weitere Leistungen. Wie der Landtagsabgeordnete Tauber erklärt, befinde sich auch eine Beratung der Betriebe zu HR-Themen durch die HGV-Unternehmensberatung im Aufbau. Ziel sei es, durch Schaffung von Leadership im Hotel- und Gastgewerbe die Attraktivität als Arbeitgeber weiter zu steigern. Ein weiteres Ziel sei die Vernetzung von Wirtschaft und Schule.
 
Es ist wichtig, jungen Menschen die Arbeitsmöglichkeiten aufzuzeigen und an die verschiedenen Berufsgruppen heranzuführen.
 
„Es ist wichtig, jungen Menschen die Arbeitsmöglichkeiten aufzuzeigen und an die verschiedenen Berufsgruppen heranzuführen. Die Hoteliers- und Gastwirtejugend (HGJ) tut dies gemeinsam mit dem Handwerk bereits seit vielen Jahren. In allen Sektoren muss jedoch die Zusammenarbeit bzw. Vernetzung zwischen Schule und Wirtschaft noch mehr gestärkt werden. Notwendig ist mehr Praxisbezug, damit Schülerinnen und Schüler konkrete Einblicke in den Arbeitsmarkt bekommen. Auch die duale Ausbildung muss weiter gefördert und für die Jugend noch attraktiver gemacht werden. Der Lehrabschluss und die Ausbilderbetriebe müssen aufgewertet werden“, so Tauber. In diesem Zusammenhang sei auch der Verein „Gastlichkeit in Südtirol“ erwähnt, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Serviceberufe aufzuwerten.
„Also bleiben wir weiter am Ball und versuchen, unsere Arbeitskräfte und Fachkräfte weiter in unseren Betrieben zu halten, uns gemeinsam weiter zu entwickeln für eine noch bessere Work-Live-Balance sowie den Wirtschafts- und Arbeitsraum Südtirol weiter attraktiv zu gestalten, vielfältige Arbeitszeitmodelle anzubieten und vor allem auch im Bereich Unterkünfte für Mitarbeiter neue Perspektiven zu finden“, so Tauber abschließend.
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Josef Fulterer Mar, 06/14/2022 - 06:12

Zur Gründerzeit der großen Hotels in den Dolomiten hat es greicht, ein Leintuch auf einen Balkon zu hängen, wenn für die ungefähr 6 Wochen Sommersaison, Mitarbeiter gebraucht wurden.
In umliegenden Bergbauernhöfen haben viele Mägde und Knechte, auch die Bauernkinder auf die Gelegenheit hart gewartet, unversichert und für eine leichte materielle Besserstellung, auch 7 Tage in der Woche am scheinbar reichen und feinem Leben am Rande teilzuhaben.
Viele Entwicklungen und sorglose Übertreibungen später, ist der Arbeitskräftemarkt für Saisonsarbeiter, auch im umliegenden Ausland ausgetrocknet.
Seriöse Betriebe versuchen den Bedarf mit Jahres-Arbeitsplätzen abzudecken, von denen die Mitarbeiter auch angemessen leben können, statt alle paar Jahre das Haus auf den Kopf zu stellen.

Mar, 06/14/2022 - 06:12 Collegamento permanente
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Martin Sitzmann Mer, 06/15/2022 - 12:58

Eine alternde Gesellschaft, weniger Junge, die nachkommen, der reddito di cittadinanza in Kombination mit der Schwarzarbeit, die hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol, welche die höheren Löhne neutralisieren, schlechte Arbeitszeitbedingungen und geänderte Lebensprioritäten der jungen Leute, ...
Braucht jemand noch mehr Gründe? Die lassen sich finden.
Was wir brauchen, ist eine Kultur des Aufhörens. WENIGER von allem, nicht jährliches Wachstum. In der Natur gibt es nur eine Sache, die ungebremst wächst, nämlich ein Krebsgeschwür.
Wir haben zu viel von allem, zu viel Tourismus, zu viel Verkehr, zu viel Bürokratie, zu viel Nahrungsmittelverschwendung, zu viel Weltverbrauch.
Nachzulesen beim Soziologen Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst.

Mer, 06/15/2022 - 12:58 Collegamento permanente
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Dietmar Nußbaumer Dom, 06/19/2022 - 21:52

Schuler (und seine Truppe, er wird den Bettenstop nicht allein ausgeschnapst haben) will die Handbremse ziehen und bekommt in Echtzeit vom Gastgewerbe eins übergebraten. Dabei gibt es einfach ein Zuviel, das in einigen Ort- und Talschaften schon erreicht bzw. überschritten ist. Es gibt ein Genug, nia gnua geht auf Kosten der Allgemeinheit.

Dom, 06/19/2022 - 21:52 Collegamento permanente