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LICHT

Sehen oder nicht sehen – das ist hier die Frage. Die wahre Geschichte der Maria Theresia von Paradis stellt ihre Protagonistin vor eine schwierige Entscheidung.
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Foto: Quelle Filmladen

„Ich will niemand sein, der nichts ist und nichts kann“.

Es ist ein kurzer, aber einprägender Satz, der irgendwann im Laufe des rund 97 Minuten langen Films fällt. Gesprochen wird er von Maria Dragus (Das Weiße Band), die hier in die Rolle ihrer Namensvetterin Maria Theresia von Paradis schlüpft und die wahrscheinlich einprägsamste Rolle ihrer bisherigen Karriere liefert. Die Frage nach Talent und Können, nach körperlichen Fähigkeiten und Versagen eben jener steht im Mittelpunkt dieses historischen Biopics. Angesiedelt im Wien des Jahres 1777 erzählt „Licht“ von der blinden Klaviervirtuosin Maria, dessen musikalisches Talent angesichts der körperlichen Einschränkung umso mehr zur Attraktion für die gehobene Wiener Gesellschaft wird. Der ambitionierte Arzt und Heiler Franz Anton Mesmer (Devid Striesow) nimmt sich dem Mädchen an und verspricht Marias Eltern die Genesung ihrer Tochter. Im seinem Haus lernt sie die Angestellten, darunter die Magd Agnes (Maresi Riegner) kennen und durchlebt eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nach anfänglichen Verbesserungen ihrer Sehkraft durch die Heilkünste von Mesmer steigt der Druck bei den regelmäßigen Vorführungen ihres neugewonnenen Sinns. Die Wiener Gesellschaft glaubt nicht so recht an die Wundermethoden des Heilers und vermutet einen Schwindel. Und während sich Maria zunehmend Vorwürfen des Betrugs ausgesetzt sieht, scheint ihr musikalisches Talent mit jedem Tag ein wenig mehr zu schwinden.

Licht – Trailer (Filmladen)

Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Regisseurin Barbara Albert erzählt hier eine Geschichte der Marke Hollywood-Wundermärchen. Doch Maria Theresia von Paradis gab es wirklich, und auch der Mythos um ihre kurzzeitige Genesung und ihr ganz eigener, wenngleich auch kurzer Blick auf ihre Umgebung entspricht der überlieferten Wahrheit. Dabei wird der Film doch von einem Wunder bestimmt, ja gar dominiert. Eine Blinde lernt das Sehen, nicht durch komplexe medizinische Prozesse, sondern durch das Handauflegen des Wunderheilers Mesmer. Es sind Bilder, wie man sie aus Bibelfilmen oder Illustrationen kennt, die Figur des nach Aufmerksamkeit und Ruhm gierenden Mesmers wird zur Jesusgestalt. Wenn er das gehobene Bürgertum in sein Haus einlädt und seine Erfolge demonstriert, ist er umgeben von einer Schar ungläubiger Thomas(e). Sie wollen überzeugt werden, der Mensch Maria Theresa von Paradis ist dabei das Objekt der Begierde. Sie wird zur Attraktion, zum Spektakel für die Wiener Dekadenz, die sich gegenseitig für Erfolge gratuliert, die sie nicht verantworten, die meinen, in die Gefühlswelt der jungen Frau blicken zu können, und die nur glauben, was sie auch wirklich sehen. Auf der anderen Seite steht Maria, die von Geburt an blind ist und die Welt, die sie nun sieht, erst kennenlernen muss. Es ist fast ironisch, dass sie all die Pracht, wenngleich sie auch falsch und inszeniert ist, nicht sehen konnte und mit ihrer neugewonnen Sehkraft beinahe überfordert ist. Das Leid und Elend der Mägde und Angestellten von Mesmers Haushalt erfährt sie ebenso wie die Behinderungen der anderen „Gäste“ im Haus. Dass vieles anders ist, als sie dachte, ist nur eine Erkenntnis, die Maria im Laufe der Handlung erfährt. Doch ist es, wie sie sich selbst fragt, denn die Wahrheit? Schließlich hat er Mensch fünf Sinne, wer kann garantieren, dass all jenes, was wir mit den Augen erblicken, auch wahr ist? Je mehr man von der sichtbaren Welt entdeckt, desto glücklicher müsste man werden. Ein Konsens, den sicherlich viele Menschen unterschreiben würden. Barbara Albert gibt eine diverse Antwort. Glücklicher wird Maria ohne ihr Können am Klavier nicht. Die Musik ist ihre Sprache. Durch sie erkundet sie die Welt, lebt in ihr. Das andere „Wunderkind“ jener Zeit, Mozart bleibt dabei nur eine Randnotiz. Obwohl er die Paradis, die später als blinde Komponistin, Pianistin und Musikpädagogin bekannt wurde, heute meilenweit überstrahlt, ist sie es, die hier die Herzen der Zuschauer erobert. Bedrückend gespielt, virtuos und elegant wie das Klavierspiel jener Zeit inszeniert. Bloß die subjektive Kamera, die Albert an wenigen Stellen einsetzt, hätte ausführlicher erörtert und detaillierter aus-erzählt werden können. Der Traumcharakter dieser Einstellungen steht im wunderbaren Kontrast zur üppigen Ausstattung der Rokoko-Scheinwelt.

Die Botschaft des Films und das Bewusstsein-werden des eigenen Lebens können bei entsprechender, persönlicher Herangehensweise an „Licht“ zum kochenden Kessel der Emotionen werden. Der russische Filmgenius Andrei Tarkovski sagte einst: „Wir schauen nur, aber sehen nicht.“

Etwas, das man von „Licht“ nicht behaupten kann.