Cultura | Salto Afternoon

Aussichten eines Autors

Feine Idee: Das Festival "LanaLive" hat den Autor Matthias Vesco gebeten, die jüngste Ausgabe des Festivals "Aussichten" zu beschreiben. Drei Auszüge aus dem Live-Report.
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Foto: Foto:LanaLive

Bedrückende und hoffnungsvolle Perspektiven

Ich saß auf einer massiven organisch kurvigen Holzbank mit Tisch und blickte Richtung Latemar, Rosengarten und Schlern. Im Umfeld des Baumannhofs mischte sich der Duft von gemähtem Heu mit dem abendlichen Gesang der Grillen und dem Plätschern des alten Brunnens. Altes landwirtschaftliches Werkzeug, rostige Teile von Maschinen hingen an der Wand. Daneben stand eine futuristische, alienartige Statue im Wald, die einen Fuchs darstellen könnte.
Aus dem Veranstaltungsgebäude drang elektronische Musik hervor und lockte wie die Flöte des Rattenfängers die kunstaffine Gesellschaft. Zusätzlich rückte der Wein das Alltagsgeschehen im Tal in ferne Dimensionen.
Das alte Sofa saugte mich in sich hinein, sorgte für eine alternative Kinoerfahrung in einem Raum, der sich konzeptuell sowie real zwischen Natur, traditioneller Landwirtschaft und moderner Kunst bewegte: im Auge eines unerfahrenen Betrachters möglicherweise eine Art Kammer eines Trödlers, vermutlich vermischt mit Zauberkräften und versteckten magischen Requisiten wie Kraftgürteln, Zwölfmeilenstiefeln und täuschend wertlosen Amuletten oder Kelchen.
Schließlich holte der Film „Tomorrow“ meine Aufmerksamkeit aus den Sphären des Übernatürlichen zurück. Insgesamt kann von einer Mischung aus Utopie und Dystopie gesprochen werden. Wie ich wenige Tage zuvor mit dem Einser-Sessellift über gefährlichen Fluren am Vigiljoch las, ist unsere Gesellschaft seit jeher damit beschäftigt, bestehende Gesellschaftssysteme zu hinterfragen und ihre nutzlose Rigidität zu enttarnen. Die Probleme, die auf globaler Ebene Gegenwart und vor allem Zukunft betreffen, lassen besondere Zweifel an einer modernen Gesellschaft aufkommen, die sich zwar durch die Rechtsstaatlichkeit und den Genuss verschiedener Kunstformen als gebildet erweist, aber dennoch nicht wirklich auf die schädliche Wirkung einer kompromisslos profitorientierten Wirtschaft reagieren kann.
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Ein kybernetisches Wunder

Der Schauplatz der bevorstehenden Veranstaltung hätte sich kaum stärker vom Ambiente des Baumannhofs in Gfrill unterscheiden können: Vor einem erhöhten Glaswürfel mit Bürostuhl in der Mitte nahm das Publikum auf roten Stühlen Platz. Benachbarte Industriegebäude in ebenfalls kubischen Formen gaben produktive Laute von sich. Nur in weiter Entfernung lachten uns die Gebirgstäler zu und die Falschauer floss still an versteckten Auen entlang.
Dann startete die Show. Dietmar Gamper inszenierte ohne Objekte allein mit seiner Stimme und seinen Bewegungen die Handlung des Stücks. Er spielte den Magazineur Lorenz Hofer.
Das Spannende an der Vorstellung bestand unter anderem darin, dass man durch den Glaswürfel ohne jegliche Objekte nicht weiß, wo die Grenze zwischen Realität und Illusion liegt. Wer ist dieser Protagonist? Bildet er sich seinen besten Freund Charlie und seine Geliebte Laura nur ein? Sprechen sie tatsächlich zu ihm oder sind die Stimmen nur in seinem Kopf? Schon bald wird zusätzlich zur psychischen Komponente der Themenbereich der Kybernetik geöffnet. In einem Szenario, das an den Filmklassiker Matrix erinnert, flüstert Laura – Philosophiestudentin, Punkmusikfan und Sympathisantin von Verschwörungstheorien – dem Magazineur zu, dass sich dieser wie alle anderen Menschen in einer Zelle befinde und ihm das ganze Leben im Sinne einer Simulation nur vorgegaukelt werde. In Wirklichkeit werde er vom Netz lediglich als Datenlarve missbraucht. Und diese Datenlarven würden in Zukunft nutzlos werden, was einer Auslöschung des Menschengeschlechts gleichkäme. Lorenz müsse einen Weg finden, aus seiner Zelle auszubrechen, um in einer parallelen analogen Welt ein echtes Leben zu führen. Und noch mehr: Er sei der Schattenkrieger Omzil, der die Menschheit retten und das System zerstören solle.
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Kosmische Dinge

Derselbe bedrohliche Gewitterhimmel des letzten Abends drückte auf die Erde herab. Die ausgeteilten Audioguides ließen Déjà-vus an Konstrukteure, Agenten und Oberinspektoren erwachen. Dieser Apparat in der Form einer Zigarettenschachtel war mit einem einzelnen Kopfhörer versehen und verband die Gruppe akustisch auch über Distanzen.
Nach einer Auflistung von Apfelsorten durch Silvia Hell begann der erste Referent der Wanderkonferenz Thomas Letschka. Er berichtete uns von ehemalig ungenießbaren Urahnen des Apfels. In Kasachstan wuchsen sie heran, hatten etwa die Größe einer Kirsche. Über Jahrtausende hinweg gelang es dem Menschen, den Apfel zur Kulturpflanze schlechthin zu entwickeln, indem er neu entstandene Sorten verbreitete oder durch gezielte Mischung in einem langen Prozess erschuf. Heutzutage verkürzen technische Mittel diesen Prozess, indem Komponenten der genetischen Struktur verändert werden, mit dem Ziel, einen Apfelbaum zu kreieren, der ertragreicher, weniger anfällig auf klimatische Störungen sowie Krankheiten ist und schmackhafte und ästhetische Früchte produziert. Letschka sprach über die neuen Tendenzen dieser Forschung durchaus optimistisch. Natürlich kann man sich hier die Frage stellen, wie der Apfel der Zukunft aussieht. Haben jetzt schon Pink Lady und Fuji die alten Sorten erbarmungslos an den Rand der Existenz gedrängt, so wird da bald jemand kommen und ihnen dasselbe Schicksal bereiten.
Nun ergriff der Astronom Luca Cipari das Wort und lobte die Sonne als Lebensspenderin. Dann erklärte er die Wirkung und Gefahr der Sonnenwinde, die in einer von Elektronik durchzogenen Welt durchaus Schaden anrichten können. Er verwies darauf, wie abhängig wir mittlerweile von Techniken sind, die, wenn sie nicht mehr funktionieren, Chaos erzeugen können.
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Erhältlich ist der LanaLive-Report bei Kultur.Lana in Lana.