Ambiente | Artenvielfalt

Wer lebt (noch) in Südtirol?

Das Artensterben ist eine weltweite Bedrohung. Die ersten Forschungsergebnisse des 2019 ins Leben gerufene Biodiversitätsmonitorings in Südtirol wurden nun präsentiert.
Nadigs Alpenschrecke
Foto: (c) Biodiversitätsmonitoring Südtirol

Im März warnte die WWF vor dem größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit. Rund eine Million Arten könnten innerhalb weniger Jahrzehnte aussterben. Auch in Südtirol ist man sich der Gefahr, die laut der WWF neben der Klimakrise die größte Bedrohung der heutigen Zeit darstelle, bewusst. Um Erkenntnisse über die Artenvielfalt und deren Entwicklung in Südtirol zu erlangen, wurde im Mai 2019 das Projekt “Biodiversitätsmonitoring Südtirol” ins Leben gerufen. Nun liegen die Ergebnisse der ersten beiden Erhebungsphasen vor.

 

Das Projekt, welches vom Institut für Alpine Umwelt der EURAC betreut und dem Naturmuseum Südtirol und dem Landesamt für Natur unterstützt wird, ist das erste seiner Art. Bis dato gab es keine flächendeckenden und langzeitlich angesetzten Studien, die systematisch Aufschluss über die Artenvielfalt in Südtirol geben konnten. Neben der Erfassung der Artenvielfalt und deren Verteilung zielt die Studie darauf ab, die Entwicklung der Artenvielfalt und die dafür relevanten Faktoren zu erschließen. Die gesammelten Erkenntnisse sollen als Grundlage für den Schutz der Biodiversität in Südtirol und zukünftige politische Entscheidungen dienen.

 

Heuschrecken, Tagfalter und Fledermäuse

 

Andreas Hilpold vom Institut für Alpine Umwelt der EURAC präsentierte am Mittwochabend online die ersten Ergebnisse und Fortschritte des Langzeitprojekts.

Die Ergebnisse geben Auskunft über die Lebensräume der verschiedenen Arten und deren Verteilung und Zusammensetzung in den verschiedenen Lebensräumen. So konnte das Forschungsteam beispielsweise bereits 61 der 85 in Südtirol vorkommenden Heuschreckenarten feststellen. Diese kommen vor allem in Heuwiesen vor, während sie alpine Felsregionen, Siedlungsgebiete, aber auch Obstanlagen meiden. Wie Hilpold erklärt, sei die Aussagekraft der Artenzahlen in den verschiedenen Lebensräumen aber begrenzt. Wichtig sei es zudem, jene Arten, die in den verschiedenen Lebensräumen gefährdet seien, zu erfassen. Besonders die Feuchtgebiete wiesen diesbezügliche eine hohe Anzahl an “Rote Liste Typen”, also gefährdeten Heuschreckenarten auf. Als Highlight nannte Hilpold die Nadigs Alpenschrecke, die weltweit nur in den Dolomiten und im Pustertal vorkommt und mit der Seiser Alm heuer einen weiteren Lebensraum erobert hat.

 

Bei den Fledermäusen, die mit Ultraschalldetektoren erfasst wurden, konnten sogar bereits alle 20 in Südtirol vorkommenden Fledermausgruppen festgestellt werden. Während Wälder und höher gelegene alpine Bereiche sich als Fledermaus-arm erwiesen, wurden in Apfelanlagen, Weinbergen, Feuchtgebieten und Siedlungsräumen relativ viele Fledermausarten erfasst. Da Fledermäuse zur reinen Orientierung andere Rufe als bei der Jagd ausstoßen, konnten Feuchtgebiete als die vorrangigen Jagdgebiete der Fledermäuse identifiziert werden. Es wurde festgestellt, dass verschiedene Fledermausarten unterschiedlich auf Lichtverschmutzung reagieren. Die Ergebnisse der nächsten Jahre sollen weitere Aufschlüsse liefern.

Ähnliche Erhebungen und Ergebnisse wurden für Tagfalter, Vögel, verschiedene Bodenorganismen, Gefäßpflanzen, Moose und Flechten präsentiert und können im Video am Ende des Artikels nachgesehen werden. Im Frühjahr startet neben der Wiederaufnahme der terrestrischen Erhebung die zusätzliche Untersuchung der Fließgewässer. Es wird erwartet, dass die bis 2023 dauernde erste Phase der Erhebung ausreichen wird, um die gesamten Arten der untersuchten Kategorien zu erfassen.

Nebst den verschiedenen Arten wird auch das Habitat selbst untersucht. So konnte anhand von vergleichenden Studien festgestellt werden, dass sich eine hohe Anzahl an verschiedenen Lebensräumen rund um einen Punkt positiv auf das Artenspektrum auswirkt; strukturarme Flächen wie reine Obstanlagen wirken sich hingegen negativ auf die Artenvielfalt aus. Nahegelegene Waldgebiete fürdern beispielsweise das Vorkommen verschiedener Fledermausarten und das, obwohl Wälder als Fledermaus-arm gelten. Die Erhebungen konnten auch drei Rekordflächen identifizieren: die Magerwiese bei Mals weist 32 verschiedene Tagfalter auf, eine Weidefläche bei Uttenheim beherbergt 13 Heuschreckenarten und am Montiggler See nisten 29 verschiedene Vogelarten.

 

Die Entwicklung der Artenvielfalt kann nach knappen zwei Jahren noch nicht erfasst werden. Bis zum Ende der ersten Phase 2023 sowie mit der bis 2028 andauernden Phase sollen diesbezüglich relevante Ergebnisse erhoben werden.

 

Biodiversität aufwerten und fördern 

 

Nebst der spezifischen Erhebungen soll das Projekt dazu dienen, Biodiversität als Thema aufzuwerten und zu fördern. So wurde damit begonnen, eine zentrale Datensammlung, die von jeder Bürgerin, jedem Bürger direkt eingesehen werden kann, zu errichten. Über die Plattform FloraFauna Südtirol können schon heute viele der Daten eingesehen und verwendet werden.

Auch die Ausbildung jener, die Biodiversitätsforschungen durchführen können, liegt den Mitgliedern des Projekts am Herzen. Im Rahmen des Projekts werden zahlreiche Praktikumsstellen ausgeschrieben. Hilpold lädt alle Interessierten dazu ein, sich für das Sommerpraktikum zu bewerben.

Über die Homepage des Projekts, verschiedene Medien und “Citizens Science Activities” werden aktuelle Ergebnisse zu behandeln und die Präsenz des Themas gefördert. Teil davon ist die City-Nature-Challenge, die dieses Jahr in Bozen und Bruneck stattfinden soll.