Haspinger
Foto: Paul Flora
Società | Anti-Impf-Hysterie

Tirols No-Vax-Vorkämpfer

Andreas Hofer und Joachim Haspinger waren Tirols fanatischste Impfgegner. Ein historischer Rückblick.
Zur Bekämpfung der Pocken, die damals als Blatterlen bekannt waren, führte das mit Napoleon verbündete Bayern 1807 als erstes Land  die Impfflicht ein. Eine Entscheidung, die für die neuen Untertanen in Tirol einem Akt unerträglicher Gotteslästerei gleichkam. Sie griffen zu den Waffen.
Andreas Hofer setzte die von den Bayern eingeführte Impfung aus - auf Anregung seines fanatischen Mitkämpfers Joachim Haspinger. Der rabiate Kapuzinerpater hatte zum Kampf aufgerufen, da "mit der Impfung der reinen und urigen Tiroler Seele bayerisches Denken eingeimpft werde." Der massive Tiroler Widerstand war zu einem guten Teil auch reaktionäres Aufbegehren gegen die napoleonische Moderne und die "Schamlosigkeit" von Mode und Tanz. Borniertes Hinterwäldlertum in Reinkultur.
So Hatte der rabiate Kapuzinerpater zum Kampf aufgerufen, da "mit der Impfung der reinen und urigen Tiroler Seele bayerisches Denken eingeimpft werde." 
Der von Paul Flora als  "älplerischer Ayatollah" definierte Andreas Hofer, der nur mit Mühe seinen eigenen Namen schreiben konnte,  wetterte gegen die "Frauenzimmer von allerhand Gattungen, die ihr Brust -und Armfleisch zu wenig und mit durchsichtigen Hudern bedecken". Alois Zangerle, Kreisphysikus von Rattenberg, schrieb über diesen Widerstand: "Philosophisch-medizinische Gründe belehren das Volk nicht und werden in alle Ewigkeit wenigstens jenen Teil des rohen Volkes, welcher seinen Kindern lieber die Engelsglorie als längeres Leben zur eigenen Unterstützung im Alter wünscht, nie belehren". Kurz nach Bayern führte auch die Regierung der Habsburger Monarchie die Pockenimpfung verpflichtend für alle Kinder ein.
 
 
Die Impfpflicht musste gegen den Widerstand der katholischen Kirche durchgesetzt werden und wurde 1874 von Papst Leo X wieder aufgehoben. Für Österreich war die Einführung der Pockenimpfung nichts Neues, schon einige Jahrzehnte früher hatte die grosse Gesundheitsreform von Maria Theresia der Verbreitung der Seuche durch eine Pockenimpfung Grenzen gesetzt. Ausserdem gab es seit 1800 mit dem Kuhpockenserum ein neues, weniger gefährliches Serum, das die Impfbereitschaft deutlich steigerte. Doch bereits damals ging es - wie heute - nicht so sehr um die Gesundheit, sondern um Weltanschauung.
Bereits damals ging es - wie heute - nicht so sehr um die Gesundheit, sondern um Weltanschauung.
In dem von Andreas Hofer geführten Aufstand gegen die bayerische und französische Besetzung spielte die eingeführte Pockenimpfung eine wesentliche Rolle. Es wurde der Glaube verbreitet, den Leuten werde damit der Protestantismus eingeimpft. Es galt, sich diesem Versuch mit Gewalt zu widersetzen.
Auch der Antisemitismus spielte im langen Kampf gegen die Impfung eine wichtige Rolle. Der deutsche Philosph Eugen Dühring, ein Vordenker des Nationalsozialismus, schrieb 1881: "Auch von dem Impf-Aberglauben abgesehen, ist der Impfzwang immer ein Mittel, durch welches dem ärztlichen Gewerbe eine unfreiwillige Kundschaft zugeführt wird. und der ärztliche Beruf ist wohl unter allen gelehrten Geschäftszweigen nächst der Literaten am stärksten von Juden besetzt."
Und auf der jüngsten No Vax-Kundgebung am 16. Jänner in Wien war auf einem Plakat zu lesen "Jesus Blut heilt euch, nicht  die Impfung."
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Karl Trojer Lun, 01/17/2022 - 10:11

Es ist beeindruckend, wie sehr Phanatismus und Lügen das Denken und Verhalten unserer Gesellschaft beeinflussen. Oberste Aufgabe von Erziehung scheint mir die zu sein, den Kindern Selbstvertrauen zu vermitteln und sie zu selbständigem Denken zu führen.

Lun, 01/17/2022 - 10:11 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Lun, 01/17/2022 - 14:42

Man sollte vielleicht darauf hinweisen, dass Bayern 1807 als erster Staat der Welt eine Impfpflicht eingeführt hat und dass der Widerstand dagegen in Altbaiern nicht geringer war als in Südbaiern (Tirol). Als Gründe für den Aufstand von 1809 werden übrigens, je nach Intention des jeweiligen Historikers oder der jeweiligen Abhandlung des betreffenden, angeführt: die Religionspolitik der Bayern im "heiligen Land Tirol" (zu dem Tirol erst in den folgenden Jahrzehnten durch die Volksmissionen wurde), die Steuererhöhungen, die Handelsbeschränkungen, die Einführung der Wehrpflicht, die Abneigung der Tiroler gegen die Aufklärung, die Anhänglichkeit der Tiroler am Haus Habsburg. Man kann sich jeweils nach Belieben das Passende heraussuchen.

Lun, 01/17/2022 - 14:42 Collegamento permanente