Cultura | Transart

Zurück zur Alm

Wie könnte Südtirol im Jahr 2047 anschauen? Bei drei Mittagstischen lässt das Festival Transart Menschen darüber reflektieren, die sonst wenig miteinander zu tun haben.
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Foto: Alma

Was kann enstehen, wenn Förster, Bergbauern, Hirten, Wissenschaftler, Soziologen oder Tourismusexperten gemeinsam mit Künstlern an Zukunftsszenarien für Südtirol und seine Landschaft arbeiten? Das ist im Rahmen des Festivals Transart an drei Dienstagen im September im Bozner Stadtmuseum zu sehen, zu hören - und indirekt auch zu verkosten. In einem festlichen Saal, mit einer Rauministallation rund um Artefakte der Bozner Stadtgeschichte, versammeln sich hier Menschen verschiedenster Disziplinen an einem langen Tisch, um gemeinsam zu essen und zu diskutieren.

Basis und Rahmen dafür ist der vom spanischen Künstlerkollektiv Inland produzierte Film ALMA, in dem vier fiktive Zukunftsszenarien für Südtirol gezeigt werden. Ausgangspunkt für das von der Initiative für künstlerische Produktion BAU kuratierte Projekt war ein Workshop im vergangenen Mai. Dort betrieben die Künstler gemeinsam mit verschiedensten lokalen Akteure aus dem Bereich Landschaft in Kleingruppen future casting, versuchten also ausgehend von der Vergangenheit und heutigen Herausforderungen realistische, wünschenswerte und auch verrückte Ideen zu entwickeln, wie Südtirol in 30 Jahren aussehen könnte. Im Film verknüpfte das Künstlerkollektiv dann die Nachstellung von vier solcher Szenarien mit Experteninterviews und Archivmaterial zu Südtiroler Traditionen. Und so mischen sich Visionen von rebellierende Bergbauern, die Widerstand gegen eine zerstörerische Freizeitgesellschaft leisten oder von einem Alpensee, der durch eine Stauung des Wassers aus den Bergen in Salurn entsteht und Talbauern zu Seebauern macht, mit alten Aufnahmen von Volkstänzen oder wissenschaftlichen Erläuterungen zu Satellitenaufnahmen von Südtirols Bergen durch den Leiter des Eurac-Instituts für Fernerkundung Marc Zebisch.

Südtirols Landschaft in Computerspiel-Optik durchsetzt von Despar-Märkten, ein Ur-Ur-Volk als Nachkommen von Ötzi, das die Almen bevölkert. Je zugespitzter und utopischer die Visionen, desto mehr öffnet sich der Raum für Diskussion und neue Möglichkeiten, ist Lisa Mazza von der Initiative BAU überzeugt. Sie führte dann auch durch das Gespräch des ersten Mittagstisches, das sich bei Knödeln und Krautsalat zwischen so unterschiedlichen Gästen wie Politikern und Abteilungsdirektoren, Wissenschaftlern oder Künstlern entspannen sollte. Und es auch tat – wenn auch etwas verhalten und diffus. Was bedeutet „Zurück zur Alm’“ für dich, was haben Kunstproduktion und Landwirtschaft gemeinsam, waren die Fragen, die den Gästen zwischen der Rezitation von Ausschnitten des Films gestellt wurden.

"Natürlich ist das nicht authentisch"

Einer der Diskussionspunkte, der sich dabei herauskristallisierte: die Frage, wofür Alm heute überhaupt steht, wie authentisch Tradition im Land noch gelebt wird. „Südtirol steht hier sicherlich an der Kippe zwischen Disneyland-Charakter und Authentizität“, meinte beispielsweise der Wissenschaftler Marc Zebisch. „Und es wird spannend, ob man es schafft, authentisch zu bleiben oder der Alpenkitsch überhandnimmt, der bereits einen Großteil der Alpen beherrscht.“ „Tradition ist etwas, das gelebt wurde. Wir müssen uns heute mehr der Frage widmen, was wir darunter verstehen“, wurde in die Diskussion genauso eingebracht wie die Irritation über die Existenz weiblicher Schuhplattlerinnen-Formationen. Es sind aber nicht nur männliche Volkstänze, die heute losgelöst von ihrer ursprünglichen Tradition weiterleben, hängte sich Umweltlandesrat Richard Theiner mit Themen wie Almen oder Tracht an. „Natürlich ist das nicht authentisch, was da vorgespielt wird. Das merken alle“, sagte er. In der Tracht trete man heute vor allem im Tourismusverein oder als ausländische KellnerIn auf; ein Großteil der Almen seien „hundsnormale Tourismusbetriebe, die mit der Realität einer echten Alm nichts mehr zu tun haben“, so Richard Theiner. 

 

Doch was heißt das für die Zukunft der Alm? Was bedeutet das für das Land und seine Berge? Werden sie Zufluchtsort von Klimaflüchtlingen, von Zivilisationsmüden und Sommerfrischlern 2.0, wurde in den Wortmeldungen hinterfragt. Wird die Seiser Alm in einigen Jahrzehnten zum urbanen Raum oder bieten die Peripherie und ihre Traditionen Inspiration für die Entwicklung neuer Formen von Arbeit und Mobilität? Vieles Gedanken und Ideen wurden aufgeworfen, zwischen Knödeln und Crème brulée. Neues oder gar Visionäres war zwar nicht dabei oder hatte zumindest nicht die Zeit, gesponnen zu werden. Doch ein weiterer Anstoß für einen Austausch zwischen Landwirtschaft und Kultur, zwischen Technikern und Kreativen ist gesetzt. Und es gibt schließlich noch zwei weitere Dienstage, um sich dabei richtig warmzulaufen.