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Im Treibsand

In einem Theaterstück über das Vergessen führen die Dialoge ins Leere. Genau dorthin wo sie herkommen.
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Foto: VBB

Auf der Probebühne des Dachgeschosses im Bozner Stadttheater wird bis 17. November lebensnahes Theater gespielt, in welchem es um die verschiedenen Dachböden von uns Menschen geht. Im Dachboden – er steht in der Traumdeutung für unser Gedächtnis – lagern nämlich (metaphorisch betrachtet) unsere Erinnerungen.
Vom Dachboden des Theaters sieht man zudem geradewegs auf Bozens Erlebnis-Riesenrad. Und man fragt sich: Dreht es sich? Steht es still? Wie ist das mit den Rädchen in meinem Kopf?

 

Die zwei unbedeutenden Assoziationen Erlebnisrad und Dachboden haben sich leise und unbewusst ins Bühnenbild geschmuggelt – als nicht geplante Gedankenverknüpfer für ein Stück, wo es mit dem Verknüpfen von Gedanken und Handlungen nicht mehr so recht passen will. Und wo das Ende an den Anfang zurückkehrt.

In Im Treibsand - Loslassen (Regie: Christian Mair) blickt das Publikum unter die Schädeldecke der drei Hauptdarstellerinnen. Als Textvorlage diente das Buch Im Treibsand: Leben mit Demenz (2006) der Autorin und Kulturjournalistin Edith Moroder. Gemeinsam mit den Vereinigten Bühnen und den Koproduzenten ASAA (Verein Alzheimer Südtirol Alto Adige) wurde die Geschichte in der Fassung von Brigitte Knapp bühnentauglich gemacht. Auf der Bühne begegnen und entfernen sich Liz Marmsoler (Großmutter), Patrizia Pfeifer (Tochter) und Elisa Pirone (Enkelin).


Jeder Versuch sich auf das Krankheitsbild der Großmutter einzustellen scheitert. Tochter und Enkelin pflegen und bemuttern zwar nach allen Regeln einer guten Fürsorge, kommen der kranken alten Frau näher, während gleichzeitig die Distanz zu ihr immer größer wird. Als Refrain zwischen den verschiedenen Demenz-Stadien dient das Kinder- und Wiegenlied Guten Abend, gute Nacht, gesungen bzw. gespielt von Barbara Zanetti.

Sie ist meine Mutter, aber sie weiß es nicht mehr

Ordnung, Regeln und Umgangsformen spielen keine Rolle mehr, das Hochgeistige verabschiedet sich langsam, wird zum Kleingeistigen, entwickelt sich zurück zum unschuldigen Kindskopf. Geduldsproben, Aggression und Verwirrung in jederlei Hinsicht sind die Folge.
Bei allem (auf der Bühne nie übertrieben dargestellten) Chaos, ist es doch verblüffend, wie ähnlich verschiedene Krankheitsverläufe von Alzheimer-Patienten in Wirklichkeit und auf der Bühne sind.  

Im Treibsand – Loslassen ist wie ein einfühlsamer Dokumentarfilm, ganz nah an den Protagonistinnen, hört den Betroffenen genau zu, wenn sie über ihre isolierte Situation sprechen und wenn die kranke Großmutter zum melancholischen Clown wird, der weinend lachen muss: über das Leben und das Vergessen des Lebens.