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„Identitäten sind mobil“

Vincenzo Bugno ist neuer künstlerischer Leiter des Bolzano Film Festival Bozen und war in der letzten Woche drei Tage in der Stadt. Zeit genug für ein Antrittsgespräch.
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Foto: Bolzano Film Festival Bozen
Bislang kannte man den in Venedig geborenen neuen Leiter des Bolzano Film Festival Bozen (BFFB), der nachdem er an der Universität Ca' Foscari in Literatur, Kunstgeschichte und Film abschloss sich als Journalist und Filmkritiker (unter anderem für den Corriere della Sera, Manifesto und Ciak) der Welt des Kinos annäherte, kaum im Land. Es folgten als Drehbuchautor und Regisseur Fernsehbeiträge, etwa für Arte, das ZDF oder SkyItalia. Seit 2001 ist Bugno Teil des Teams der Berlinale, seit 2004 arbeitet er im Speziellen für den von ihm mitbegründeten World Cinema Fund, der Vertriebs- und Produktionsförderung in an Film-Infrastruktur schwachen Ländern betreibt. Mittlerweile leitet Bugno den WCF und zählt zu dessen Jury. Sein erstes BFFB ist vom 18. bis 23. April nächsten Jahres programmiert.
 
Herr Bugno, Venedig und Berlin, war es da logisch, dass Sie in Bozen hängen bleiben?
 
Vincenzo Bugno: Die Bahnlinie von Venedig nach Berlin und umgekehrt führt in der Tat über Bozen und das ist schon praktisch... nein, darum geht es bestimmt nicht... ich habe mich beworben, und dann die Entscheidung, das Angebot anzunehmen hat bestimmt nicht mit der Bahn zu tun... Ich habe auch andere berufliche Tätigkeiten, die wichtig sind um Synergien zu entwickeln, und ich dachte mir: „Bozen, das hat Potential.“ Ich betrachte Bozen als eine Art Minihauptstadt in einer Region mit einer wahrscheinlich komplexen Geschichte aber auch mit einem lebendigen Kulturleben. Man findet nicht überall Städte dieser Größe, die unter anderem vier Theater, ein Jazzfestival, ein Tanzfestival, ein Festival wie Transart und dazu etablierte Filminstitutionen wie die ZeLIG oder die IDM haben. Das ist spannend, das ist verführerisch, da wird es Spaß machen, die Aufgabe zu übernehmen. Deswegen bin ich hier. Ich bin auch nicht ganz Südtirol fremd: Ich hatte schon immer Freunde aus Bozen und der Region und kenne mich etwas aus auf dem Territorium, sowohl landschaftlich, als auch kulturpolitisch.
 
Sie haben eine Reihe von Institutionen in und um Bozen genannt. Werden sie mit dem BFFB auch neue Partnerschaften anstreben?
 
Ich finde, dass das Festival unbedingt mit weiteren Institutionen zusammenarbeiten muss. Die Entwicklung von Synergien auf lokaler Ebene betrachte ich als notwendig. Seit ich Festivalleiter geworden bin, habe ich schon verhältnismäßig viele Leute getroffen und ich denke mir, man kann etwas zusammen machen. Ich bin auch der Meinung, dass ein Festival auch ein Fest sein sollte. Man sollte Events schaffen, die auf einer künstlerischen Ebene hochqualitativ sind... und dabei sollte es uns auch gelingen, eine positive, wunderbare Stimmung zu schaffen, die das Publikum anspricht. Es ist jetzt natürlich ziemlich früh, um Präzises zu sagen. 
 
 
Sie sind Leiter und Mitbegründer des World Cinema Funds. Können Sie ermöglichen, dass diese Filme in Bozen gezeigt werden, oder bleibt das Projekt in und um Berlin?
 
Nein, der WCF blieb noch nie nur in und um Berlin. WCF Filme laufen erfolgreich weltweit. 
Es ist natürlich klar, dass diese beruflichen Erfahrungen mich sehr geprägt haben. Ich habe mich immer schon für Filme außerhalb Europas und Hollywoods interessiert, obwohl ich mich auch schon früh intensiv mit deutschen und insgesamt europäischen Filmen befasst habe. Wir könnten schon von Kontinuität sprechen, wenn wir über die ursprüngliche Identität des Festivals - Filme zu programmieren, die aus dem alpenländischen Gebiet kommen - reden. Aber das Festival entwickelte sich sowieso im Laufe der Jahre. Identitäten sind mobil. Das zeigt eindeutig, dass es auch für andere geografische Schwerpunkte Interesse gibt. Ein Fokus Europa, oder etwa auf den Kosovo, wie beim letzten Mal. Das interessiert mich sehr, vielleicht wird sich der Fokus Europa erweitern…
 
Hier in Bozen, in Südtirol, setzt man sich schon mit den Themen Grenzen und Minderheiten auseinander - das ist die Geschichte der Stadt und der Region. Ähnliche Situationen gibt es weltweit und das interessiert mich sehr.
 
Man muss dafür nicht weit blicken, etwa über den Brenner, wo es das Internationale Film Festival Innsbruck gibt…
 
Ich habe auch das Programm des Festivals in Innsbruck studiert. Ich würde schon sagen, dass es einige inhaltliche und künstlerische Gemeinsamkeiten geben könnte. Aber sprechen wir von Identität und Geographie, und von einem Schlagwort wie „The more local, the more international“. Hier in Bozen, in Südtirol, setzt man sich schon mit den Themen Grenzen und Minderheiten auseinander - das ist die Geschichte der Stadt und der Region. Ähnliche Situationen gibt es weltweit und das interessiert mich sehr. Dazu muss man sagen, dass aus diesen Regionen - innerhalb und außerhalb Europas - sehr spannende Filme kommen. Deswegen glaube ich, mit der ursprünglichen Identität des Festivals und einer gewissen kulturpolitischen Erweiterung ließe sich einiges machen. Ich finde auch, dass einige Bausteine des Festivals wie die „Piccole Lingue“ sehr spannend sind und schon in diese Richtung gehen. 2023 wird aber - die Zeit vergeht sehr schnell - eher ein Übergangsjahr sein, da muss man realistisch sein.
 
Für mich zum Beispiel bedeutet Schnitt sich mit der Seele eines Films befassen. 
 
Sie arbeiten auch für das Torino Film Lab, bei welchem der Fokus auf der Realisierung liegt. Ist so etwas im Festivalprogramm auch denkbar? Oder plant man vielleicht lokale Institutionen wie das Festival Analogica oder BZ48H miteinzubinden?
 
Ich beschäftige mich beruflich mit existierenden und noch nicht existierenden Filmen. Ich finde es sehr wichtig, wenn man sich mit dem Universum Kino befasst auch zu verstehen, wie Kino entsteht. Ich würde nicht sagen, dass wir „out of the Blue“ das TFL kopieren werden, aber es ist klar, dass in einer Stadt, wo es u.a. ZeLIG und die IDM gibt, man auch in diese Richtung gehen kann. Und weitere Initiativen der Stadt, die Sie genannt haben, möchte ich auch gerne kennenlernen.
Ich finde, dass es auch zunehmend wichtig ist, über Kino zu sprechen. Man sollte auch für das normale, nicht Fachpublikum Gespräche oder Master Classes anbieten, die sich intensiv mit dem Kino befassen; vielleicht auch mit den Berufen einer Filmproduktion. Kino bedeutet nicht nur die Regisseur:in, die allein dreht, schafft, leidet und nachts Drehbücher schreibt. Kino bedeutet auch, dass es Editing, Kameraleute, Sounddesign und so weiter gibt. Für mich zum Beispiel bedeutet Schnitt sich mit der Seele eines Films befassen. 
 
 
…um nur bei den Berufen über der Wahrnehmungsgrenze zu bleiben und nicht von Set-Runnern, Produktionsfahrern und Ausstattung zu sprechen.
 
Natürlich. Film ist Teamwork. Auch das Publikum sollte etwas davon haben. Ich kenne Fachleute, die da richtig spannende Veranstaltungen gestalten können. Das ist mir wichtig. Man sollte sich auch verstärkt mit dem Thema Dokumentarfilm befassen, ohne zu vergessen, dass sich diese weiterentwickeln, dass Auseinandersetzung mit der so genannten Realität subjektiv ist, dass es eine Menge hybrider Filme gibt…
 
...was meinen persönlichen Geschmack anbelangt interessiere ich mich mehr für Filme als für Themen.
 
 
Lassen sich aus Ihrer Sicht bestimmte Kriterien oder ein Profil festmachen, die ein Film für das BFFB erfüllen muss?
 
Sagen wir so, was meinen persönlichen Geschmack anbelangt interessiere ich mich mehr für Filme als für Themen. Das heißt, Filme, die thematisch interessant sind und auf einer künstlerischen Ebene überzeugen. Das ist schon ein Kriterium. Natürlich finde ich auch, dass alle Festivalleiter:innen dieser Welt sich nicht nur mit dem eigenen Geschmack befassen sollten. Ein Festival macht man nicht nur mit seinen Lieblingsfilmen, man muss auch andere Bedürfnisse erfüllen. Ich glaube trotzdem, ein Profil wird zu erkennen sein.
 
Haben Sie eine Vorstellung von diesem?
 
Ich finde Filmsprachen und Innovation sollten eine Rolle spielen, womit ich nicht sagen möchte, dass das in der Vergangenheit nicht passiert ist. Aber: Filme statt Themen. Das Profil hat auch mit der Entwicklung von „Audience Strategies“ zu tun. Wie kann man das Publikum erweitern und auch neue Publikumsschichten erziehen.
 
 
Ein erzieherischer Auftrag?
 
Nein, das ist mir zu pädagogisch. Es geht darum, wie man das Publikum erreichen kann, das hat vielleicht auch mit Motivation zu tun. Ich finde es auch gut, sich mit dem Publikum der Zukunft auseinanderzusetzen. Man sollte sich mit Filmen für sehr junge Zuschauer befassen und mit Schulen arbeiten. Es gibt da in Europa Filmsektionen, die bemerkenswert sind, wie „Generation“ in Berlin, oder „Alice nella Città“ in Rom. Das sind Filme, die man nicht unterschätzen sollte und die filmisch anspruchsvoll sind. Da könnte man auch etwas machen, aber das ist ein Prozess.