Cultura | Salto Afternoon

Gemeinsame Wurzeln

Die Architektin Susanne Waiz stellt am Freitag mit weiteren vier Mitautorinnen das Buch "common roots" vor. Im Fokus steht der Gemeinschaftsgarten.
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Foto: edition raetia

salto.bz: Sie haben gemeinsam mit Sandra Sordini, Giulia Dongilli, Beatrice Tamagnini und Alessia Capra das Buch „common roots“ herausgebracht. Nach welchen gemeinsamen Wurzeln wurde Ausschau gehalten.
Susanne Waiz:
Menschen sind mobil, sie reisen, flüchten, lassen sich in fremden Ländern nieder. Menschen haben jedoch auch die Gabe, an dem Ort, an dem sie leben Wurzeln zu schlagen, sich ihrem Umfeld anzupassen und neue Beziehungen aufzubauen. Dafür sind die Semiruraligärten von Nissa der richtige Ort. Hier gibt es Gelegenheit mit Menschen aus dem Stadtviertel zu gärtnern, Erfahrungen weiter zu geben und zu sammeln. Wir lernen voneinander, versuchen uns in unserer Vielfalt zu akzeptieren und ja vielleicht … gemeinsame Wurzeln zu schlagen.

Ich erinnere mich, dass meine Freunde aus Wien, wenn sie zu Besuch kamen, immer meinten “Was für hübsche Häuser!“

Welche Rolle spielte die Architektur der Semirurali-Häuser für das Projekt Gemeinschaftsgarten?
Keine

Die Semirurali-Siedlung war ein faschistisches Relikt. Welche Stärken hatte die Siedlung, welche Schwächen? Woran ist das Siedlungskonzept gescheitert?
Die Semirurali waren eine Gartenstadt in kleinem Maßstab. Die Bewohner waren froh über ihre kleinen Gärten, denn auch sie mussten erst in Südtirol Wurzeln schlagen und die Gärten boten damals schon Gelegenheit um Kontakte und Freundschaften zu knüpfen. Auch die Selbstversorgung mit frischem Gemüse war für die Menschen wichtig. Ich erinnere mich, dass meine Freunde aus Wien, wenn sie zu Besuch kamen, immer meinten “Was für hübsche Häuser!“ Vielleicht waren die Semirurali zu ärmlich gebaut und die Wohnungen zu klein. Ich vermute jedoch, dass diese Siedlung, wäre sie in einer anderen Stadt gestanden, ohne den ganzen politischen Hintergrund, heute noch bewohnt und beliebt wäre.

Wir fördern die Gemeinschaft auch durch monatliche Treffen auf denen unsere Garten-Alltags-Probleme besprochen werden, durch kleine Veranstaltungen und Feste.

Gibt es Parallelen zur Schrebergartenkultur?
Auch wir bauen Gemüse an! Allerdings brauchen wir keine Zäune um unsere Beete und wir haben eine Hütte mit Gartengeräten für alle. Wir machen gemeinsam Humus und haben ein Gemeinschaftsbeet auf dem wir z. B. Kartoffeln anbauen. Das Gemüse ist schon wichtig für uns, aber, so würde ich meinen, noch wichtiger ist die Gemeinschaft.

Der Gemeinschaftsgarten als Ort der Begegnung. Ist das eine Wunschvorstellung? Oder wie funktioniert das?
Der Garten ist seit jeher ein Ort der Begegnung! Unsere Migrantinnen hatten in ihrer Heimat auch Gärten zur Selbstversorgung und sie beherrschen das Gärtnern oft besser als unsereine. Dadurch sind sie plötzlich in der Position, dass sie uns etwas zeigen können, dass sie uns helfen können mit ihrem Wissen von den Pflanzen. Das schafft Gemeinschaft und ist auch ein Ausgleich für vielleicht fehlende Schulbildung oder mangelnde Sprachkenntnisse. Wir fördern die Gemeinschaft auch durch monatliche Treffen auf denen unsere Garten-Alltags-Probleme besprochen werden, durch kleine Veranstaltungen und Feste. Unser Erntfest ist mittlerweile schon über Bozen hinaus bekannt, vor allem für die wunderbaren traditionellen Gerichte unserer Gärtnerinnen.

Welche Funktion kann ein Garten für das soziale Gefüge eines Stadtviertels 2017 haben?
Seit ich selber im Semiruraligarten mein Beet habe, hat sich meine Beziehung zum Viertel stark verändert. Früher fuhr ich in der Früh zur Arbeit und am Abend kam ich in meine Wohnung zurück. Die Gärten haben uns gezeigt, wie aus unnützem Brachland etwas Schönes und Nützliches entstehen kann. Obwohl ich nun schon seit 20 Jahren in der Baristrasse lebe, habe ich erst durch den Garten einen starken Bezug zu meinem Viertel aufgebaut. Besonders ältere Leute aus den umliegenden Kondominien kommen oft vorbei um unser Gemüse zu begutachten. Manchen ist die Gartenarbeit schon zu anstrengend, aber es gefällt Ihnen, mit uns über die Paradeiser zu fachsimpeln und wenn wir zu viel Gemüse haben, schenken wir auch gern etwas her.

…in einer Siedlung, die den ursprünglichen Charakter verloren hat.
Die soziale Struktur im Viertel ist sicher nicht einfach, aber gerade deshalb braucht es Treffpunkte und positive Orte. Der Semiruraligarten ist ein solcher Ort.

 

Susanne Waiz
Geboren 1958 in Wien. Sie lebt als freischaffende Architektin in Bozen und arbeitet unter anderem im Bereich Ausstellungen und Museumsarchitektur, Wettbewerbswesen und Denkmalschutz. Publikationen bei Raetia: „Der nicht mehr gebrauchte Stall” (2009), „Common Roots” (2017).

Buchvorstellung:

Bozen, Gärtnerei Schullian
Fr 15.12.2017, 17:00 Uhr