Cultura | Salto Weekend

Performative Walk

Ein Gastbeitrag von Maria C. Hilber zum Projekt von Franziska Guggenbichler-Beck und Fritz Faust. In Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Kulturelemente.
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Foto: Quelle: Kulturelemente

Hinter den Dingen: Vom Schweigen an den Blumenstätten

Festung Franzensfeste,
10.00 Uhr, 30. September 2017

Ein Knirschen unter den Füßen. Auf den Straßen drängen die mobilen Kolonnen. Der Zug rumpelt auf Schwebegleisen über den Köpfen hinweg. Der Parkplatz ist überquellend voll, das Autoblech sonnenlos trüb. Die Besucher sind verstreut in der weiten Festung, fast wie verschluckt. Rund um uns: Felsen, Steinmauern, Kiesel auf dem Boden.
Wir sammeln uns am Eingang der Festung und warten noch auf Späterkommende. Zwei Spontanurlauber sind neugierig geworden und gesellen sich dazu. Ein leichtes Füßescharren. Wir Walker stellen uns einander vor, tauschen einige Höflichkeiten aus, ein Lächeln, ein Hallo, dann ist’s wieder leise. 
Mit zwei sanften Willkommenssätzen beginnt dann unsere Begehung. Eine junge Frau führt uns runter zum wassernahen Teil der Festung. Es ist die Regisseurin, die Zeremonienmeisterin, es ist Franziska Guggenbichler-Beck. Ganz nach unten gehen wir, eine Etage, eine zweite und kommen ins Pulvermagazin wo im Kreis, ruhig, die unbemannten Stühle stehen. Eine Blume liegt auf jeder Sitzfläche. Die nehmen wir in die Hand, wir stecken sie uns ins Haar oder an die Jacke. So fragil sind die Blüten, so tief liegen sie im kühlen Bauch der Festung. Wir setzen uns.

Die Augen schließen bitte. Es fühlt sich fremd an nebeneinander. Fremd in diesem Pulvermagazin, während sich vom backsteinernen Gewölbe unmerklich rieselnd, rote Staubflusen auf den Köpfen verteilen. Einsam ist es hinter den Wimpern, im kühlen Raum, die Blüte in den Fingern zwirbelnd. Und unvermittelt privat wird es. Yoga, denke ich. Autogenes Training. Die Nacht ist auch noch nicht weit entfernt. Jemand kichert leicht verstört oder unangenehm angerührt im Esoterikverdacht. Doch jeder Verdacht löst sich in Rauschen auf und Franziskas Stimme tastet in die Stille. Der Straßenlärm und der Faltenwurf der Felsen rücken schon ein Stück nach hinten, die armdicken Festungsmauern verlieren ihr Grau, ihre Dichte, flimmern.
Wir erhalten ein schlichtes Bild von der Moderatorin – es richtet uns auf. Der Atem, ein Tropfen rinnt in uns ein, läuft entlang unserer Wirbelsäule. Alles hebt und senkt sich. Unsicher und geöffnet.
Nach – wie vielen Minuten? – gehen wir nach draußen ohne zu sprechen. Die Sonne blendet kurz.
Ein kleiner Übergang ins nächste dämmerige Steingebäude. Franziska spricht nicht, sie deutet nicht, wir Walker stehen dort - etwas verloren. Die Augen gewöhnen sich an die Lichtkadenz. Im Raum hängt die Decke sehr schwarz und sehr tief und Beklemmung greift mit langen Fingern nach dem Hals. Es ist die göttliche Belastung von Peter Fellin, eine schwarze meterdicke Kubenkonstruktion die von der Decke hängt. Darunter liegt ein männlicher Körper, fast nackt. Da ist eine Blumenhaut, die sein Gesicht bedeckt und Blütenflechten, die seinen Körper überziehen. Zur Hälfte Mensch – zur Hälfte Pflanze, ein humanoides-botanisches Halbwesen. Wie versehentlich dort abgelegt. Vor ihm brennt eine Kerze.
Die Flamme flackert und langsam fährt auch durch seinen Körper ein Flackern - ein metamorphisches Aufrichten. Er zittert mitten im Staub, auf dem Boden. Drückt sich nach oben und sackt wieder ein. Bibbert – schutzlos, Ende September, auf der Erde.

Fritz Faust, so heißt der Performer, IST - in voller Präsenz. Ein Wesen von der anderen Seite. Eros am Boden, Phoenix in der Asche, humans on the street. Ein Perpetuum Mobile. Ohne Offstage (denn alles ist Bühne), ohne Bühnenschmerz, ohne Fallhöhe (eine Polyphonie). Wir stehen mittendrin und schauen. Drücken uns an die Wände.
Nach zahlenlosen Minuten werden wir in den Nebenraum gelenkt und eine brennende Kerze wird uns Walkern in die Hand gedrückt. Erstkommunion, Zweitkommunion, Martinsprozessionen, Mahnzüge, Fackelläufe, Totenwachen und Schweigen an den Blumenstätten. Die Scatti laufen. Wir werden dazu angehalten, einen Platz in der Installation von Gregor Prugger zu finden. So stellen wir uns also zueinander, zu dem Bündel der Reisigstäbe, zur fragend blickenden Skulptur. Mit dieser sind auch wir wieder fragend verloren. Finden darin Halt. Changieren als Zufallsgemeinschaft, suchen die Lichter der anderen. Ich schenke meine Kerze einem kleinen Mädchen und denke an nichts mehr.

Radikal war dieser Walk – radikal in seiner Sanftheit.

Wieder geht es weiter, Franziska führt uns und spricht kein Wort.
Schwebend: Auf der Brücke, die wie architektonisches Mikado auf zwei Ebenen über das Wasser des Franzensfester Stausees ragt, während an den Talwänden die Fichten himmelwärts recken. Wir schauen und atmen. Ein rotes, pinkes Platschen. Von der zweiten oberen Etage wirft, schmeißt sich der Performer mit einem Farbschwall über die Brüstung, hängt dort, taucht ab, bäumt sich erneut auf. Wieder, wieder, wieder. Ein neuer Rhythmus ist angeschlagen. Das Wasser kräuselt dunkelgrün. Färbt sich. Macht Blasen. Rote oder Pinke. Eine farbige Lache im Stausee.
Die Walker gehen aus ihren Posten. Sie schauen runter und hoch, kichern, sprechen leise und werden dann nach oben zurückgeführt. Vor der Kapelle am Hauptplatz endet der Performative Walk. Ein abschließender Satz als Geschenk. Die Gruppe löst sich nur langsam voneinander. Es ist noch still. Die Wände der Festung waren nie so weich.

Ohne großes Getöse hat dieser Performative Walk den Limbus geöffnet. Die Regisseurin Franziska Guggenbichler-Beck hat auf Intensivstbilder, auf starke Reduktion und auf kompositorische Gesamtwirkung gesetzt. Es scheinen archetypische Bilder zu sein, die sich wie Tableau Vivants öffnen, doch in das Wiedererkennen mischt sich Verstörung. Performer Fritz Faust ist eindeutig in seiner Präsenz und gerade dadurch wird mit den auftauchenden Projektionen gespielt, mit Irrlichtern, mit Erinnerungen, Fantasmen, Postmemories vielleicht. Sie werden nicht kommentiert, nicht trivialisiert, nicht bewertet. Eine Überladung geschieht dann am ehesten im eigenen Empfinden. In der eigenen Effekthascherei grabend – Gewöhnt daran, dass es irgendwann kracht. Wann? - passiert eine Katharsis. Radikal war dieser Walk – radikal in seiner Sanftheit.

 

Salto in Zusammenarbeit mit Kulturelemente