Società | Südtirolersiedlung

Tiroler Schliff

Mahnung der Heimatpfleger über den Verlust eines Stücks Tiroler Geschichte: Warum die Südtiroler Siedlungen in Innsbruck teils dem Erdboden gleichgemacht werden sollen.
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Foto: Heimatpflegeverband

Es ist eine Gratwanderung, sagt Konrad Roider, Obmann des Vereins für Heimatschutz und Heimatpflege in Nord- und Osttirol, über das Thema, das die Gesamttiroler Heimatpfleger bei ihrem letztem Treffen beschäftigt hat: die Südtiroler Siedlungen in den Innsbrucker Stadtteilen Pradl und Pradler Saggen, die laut den Plänen der Tiroler Stadtverwaltung bis 2022 in ihrer heutigen Form verschwinden sollen. Dort, wo in den ersten Jahren des zweiten Weltkriegs im Zuge der damals angestrebten Umgestaltung von Innsbruck zur Gauhauptstadt ein eigener Stadtteil für die Südtiroler Optanten entstanden war, sollen in Zukunft über 500 neue Wohnung in verdichteter Wohnbauweise entstehen.

Das Projekt der in der NS-Zeit für die Errichtung der Siedlungen gegründeten „Neue Heimat Tirol“ und der Innsbrucker Immobilien Gesellschaft sorgt in Innsbruck seit Jahren für heftige Kontroversen. Auch aufgrund der Tatsache, dass viele der Mieter aus den Wohnungen „hinausgelockt, hinausgezahlt oder subtil hinausgemobbt“ wurden, wie Vertreter der „Interessengemeinschaft Bürgerinitiativen Innsbruck“ (IGBI) beklagten. „Man hat die Menschen entweder mit dem Versprechen auf hohe Abschlagzahlungen und eine andere Wohnung in den Neubauten oder aber auch mit fast brachialen Mitteln aus den Wohnungen gebracht“, erzählt auch der Obmann der Tiroler und Osttiroler Heimatschützer. So habe man einzelne Wohnblöcke bewusst verkommen lassen oder in Aussicht gestellt, leerstehende Wohnungen Asylwerbern zur Verfügung zu stellen. Schließlich herrscht in Tirols Landeshauptstadt akute Wohnungsnot. Dementsprechend will die Gemeindeverwaltung weite Teile der gemeinnützigen Wohnfläche effizienter nutzen als es im großzügig konzipierten sozialen Wohnbau des Nationalsozialismus gemacht wurde.

 

Die hohe Lebensqualität von Anlagen wie dem Eichhof, dem Ahornhof oder dem Lindenhof ist das Kernargument im mittlerweile verlorenen Kampf um die Erhaltung des architekturhistorischen Erbes. Denn ähnlich wie bei den Bozner Semirurali stehe hinter den Südtiroler Siedlungen das faschistische Konzept, die Landbevölkerung in die Städte umzusiedeln. Entsprechend ländlich und weitläufig gestaltet worden seien die Wohnanlagen dann auch mit ihren großen begrünten Innenhöfen, erinnert Konrad Roider, der selbst in dem Viertel aufgewachsen ist. Dass es aber auch die Perspektive gibt, solche Bauten als Denkmäler des Nationalsozialismus zu sehen und sie alleine deshalb schleifen zu wollen, ist für den Tiroler Heimatschützer ebenfalls nachvollziehbar. Ganz im Sinne der aktuellen Südtiroler Historisierungsbestrebungen tritt man aber auch beim Tiroler Verband dafür ein, ein solches Erbe nicht einfach auszulöschen, sondern einen anderen Umgang damit zu finden.  „Dies auch deshalb, weil mit dem Abbruch der Wohnanlagen ein wichtiger Teil der Südtiroler Geschichte unwiederbringlich ausgelöscht wird“, wie Südtirols Heimatpflegeverband in einer Aussendung unterstreicht. „Mit „Verdichtungsorgien“ werde „Identität zerstört“, lautet die noch drastischere Formulierung, die Vertreter der Bürgerinitiative für die Neubaupläne fanden.

Doch wie auch die Gesamttiroler Heimschützer einräumen, scheint der Zug zur Rettung der Siedlungen abgefahren. Der Abbruch der ersten Häuser wurde bereits begonnen, konnten sich die Verbandsmitglieder aus Tirol, Südtirol und dem Trentino bei einer Besichtigungstour in Neupradl und Pradl Ost selbst überzeugen. Um die Geschichte rund um die Südtiroler Siedlungen dennoch festzuhalten, unterstützen die Gesamttiroler Heimatpfleger, eine geplante Filmdokumentation der Filmemacherin und Künstlerin Melanie Hollaus über die Südtiroler UmsiedlerInnen und die Südtiroler Siedlungen. Nachdem 2018 zum Europäischen Kulturerbe-Jahr ausgerufen wurde, wolle man die Dokumentation auch in diesem Geiste realisieren, heißt es von Seiten des Südtiroler Heimatpflegeverbands. Das Amt für Audiovisuelle Medien der Südtiroler Landesregierung, die Stadt Innsbruck und die Kulturabteilung des Landes Tirol hätten ebenfalls Förderungen für das Projekt von Hollaus zugesagt.

Wie viele Südtiroler bzw. Nachkommen von Südtiroler Optanten die Siedlungen noch heute bewohnen, können weder die Südtiroler noch Tiroler Heimatpfleger beantworten. „Das wäre ein absolut interessantes Forschungsprojekt“, meint Konrad Roidl. Gesichert ist laut ihm, dass es bereits nach dem Krieg in dem Viertel zu einer Durchmischung mit Tirolern gekommen war. Da das Viertel komplett von Bombenangriffen verschont geblieben sei, seien dort schon bald ausgebombte Innsbrucker untergekommen bzw. in Wohnungen nachgerückt, die von frühen Rückkehrern freigemacht wurden.