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Hier narrt der Narr

Die Narren sind los! Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties über einige historische Narrendarstellungen in Südtirol und Umgebung. Ein durchaus ernstes Gespräch.
Waaghaus_Narrenfigur
Foto: Alexa Rainer

salto.bz: Im Bozner Waaghaus ist bei den Restaurierungsarbeiten in den Innenräumen unter anderem ein Wandgemälde mit einer Narrenfigur aufgetaucht. Was will sie uns sagen?

Hanns-Paul Ties: Der tanzende und Laute spielende Narr ist die mit Abstand größte Figur in einer um 1580/85 entstandenen moralisch-satirischen Raumausmalung, die noch zahlreiche weitere allegorische und mythologische Figuren umfasst. Uns heutigen Betrachtern ruft das Wandbild damit auf eindrucksvolle Weise in Erinnerung, welch große Bedeutung dem Narren in Spätmittelalter und Renaissance insbesondere im deutschsprachigen Raum als Symbolfigur für menschliche Unzulänglichkeit, Sündhaftigkeit und Verblendung zukam. Dem Betrachter von damals, der mit der Symbolik des Narren und seiner Attribute vertraut war, diente die Darstellung als – wenn auch wohl augenzwinkernde – Warnung vor eigenem närrischen und damit sündhaften Verhalten. 

Welches sind die dargestellten Narrenattribute und was ist deren Bedeutung?

Das in die „Narrenfarben‟ Gelb und Blau zweigeteilte Gewand und die spitzen Schnabelschuhe des Narren stehen für Eitelkeit und Diesseitsorientierung, die zahlreichen Schellen hingegen für substanzlos-selbstgefälliges Geschwätz. Der vom rechten Arm der Figur herabhängende phallusförmige Lederbeutel, die sogenannte „Narrenwurst‟, verweist ebenso wie die als Symbol des weiblichen Körpers interpretierbare Laute auf sexuelle Triebhaftigkeit. Ein vergleichsweise seltenes Narrenattribut sind die Insekten, die das Haupt des Narren umschwirren, und mit denen die sprichwörtlichen „Grillen im Kopf‟ oder aber Fliegen oder Mücken als Boten des Teufels gemeint sein könnten.  


Rechts vom Narren sind zwei Affen zu sehen, darunter einer in gebückter Haltung, der seine Notdurft verrichtet. Wie ist dieses Motiv zu verstehen?

Der Affe galt traditionell als Verkörperung der schlechten, tierischen Triebe des Menschen und als Symboltier für verschiedene Laster. Die beiden Affen im Waaghaus, von denen der eine defäkiert, während der andere im Begriff zu sein scheint, den soeben getrunkenen Wein (?) wiederum auszuspucken, lassen insbesondere an lasterhafte Völlerei und Trunksucht denken. Die unmittelbare Assoziation von Narren und Affen findet sich übrigens auch auf zahlreichen anderen Bilddokumenten. Auf einem Kupferstich von ca. 1450/60 etwa, der in Schloss Moos in Eppan in ein Wandgemälde übertragen wurde, erscheinen Narren und Affen gleichermaßen als Symbole für närrische Männer. Diese sind aufgrund ihrer Triebhaftigkeit in die Fänge der von einer schönen Jägerin verkörperten „Weibermacht“ geraten.

In den in Südtirol erhaltenen profanen Wandmalereien der Renaissance gibt es noch weitere Narrendarstellungen. Wo zum Beispiel?

In nächster Nähe zum Waaghaus hat sich etwa in Schloss Maretsch in Bozen eine vergleichbar monumentale und nur wenige Jahre vorher, um 1560 entstandene Narrenfigur erhalten. Auch ihr ist das Attribut der phallischen „Narrenwurst“ beigegeben. Passenderweise ist im selben Raum auch eine nackte liegende Frau mit einem Totenkopf dargestellt, die auf die Vergänglichkeit alles Irdischen hinweist. Besonders kurios und weniger ernsthaft-moralisierend erscheint die Narrenszene in dem um 1580 von Paul Moritsch ausgemalten Arkadengang der Churburg bei Schluderns: Ein Narr brütet Eier aus, aus denen kleine Narren schlüpfen. Diese werden, sobald sie etwas größer sind, von einem menschlichen Elternpaar eingefangen und in Säcke gesteckt. Dieses Wandbild ist wohl als scherzhafter Kommentar zum Thema Kindeserziehung zu verstehen, das in der Ausmalung des Arkadengangs auch sonst eine zentrale Rolle spielt. 


Auch am Goldenen Dachl in Innsbruck und im „Magno Palazzo“ in Trient finden sich Bilder von Narren. Wie lassen sich diese historisch einordnen?

Die Narrendarstellungen am Goldenen Dachl sind insofern von besonderem Interesse, als hier kein Geringerer als der Tiroler Landesfürst König Maximilian I. im Herzen der Innsbrucker Altstadt ein Bildprogramm realisieren ließ, das eine satirische und wohl auch selbstreflexive Betrachtung männlicher „Liebestorheit“ liefert. Auf den beiden zentralen Brüstungsreliefs des um 1500 errichteten Prunkerkers wird Maximilian selbst einmal als Liebender und einmal als Herrscher gezeigt. Als Liebender wendet er sich seinen zwei Gattinnen zu, die mit ihren tiefen Dekolletés und „unschicklichen“ Kopfbedeckungen wie „Buhlerinnen“ oder Verkörperungen der Wollust kostümiert sind. Der König erscheint damit gleichsam als „Anführer“ der auf den übrigen Reliefs wiedergegebenen liebestollen Moriskentänzer, welche die Frau mit dem goldenen Apfel umwerben. Der Narr auf dem zweiten Zentralrelief parodiert Maximilians Gehabe. Das Gemälde an der Rückwand des Erkers zeigt hingegen die Sage von der Ehebrecherin, die in Begleitung ihres als Narr verkleideten Liebhabers die Ehebrecherfalle des Zauberers Virgil überlistet. Die Physiognomie des Liebhabers erinnert dabei wiederum an jene des Königs. 


Und wie steht es um die Narrendarstellungen in Trient?

Bei dem Narrenfresko, das Girolamo Romanino 1532 im Auftrag des Trienter Fürstbischofs Bernhard von Cles in einem gewölbten Festsaal in dessen „Magno Palazzo“ ausgeführt hat, handelt es sich um ein Bildnis von Cles’ Hofnarren Paolo Alemanno alias Paul Unerdorbin aus Esslingen bei Stuttgart. Dieser war für die Unterhaltung des Bischofs und seiner Gäste sowie für die Organisation und Koordination von Aufführungen und Spielen zuständig. Der Bischof scheint Paolo Alemanno sehr geschätzt zu haben und ließ ihm nach seinem Tod ein berührendes Grabmal errichten. In Romaninos Porträt des Hofnarren schwingt jedoch erneut auch die traditionelle Symbolik der Narrenfigur mit: Der warnend-melancholische Blick des Paolo Alemanno scheint den im selben Raum dargestellten Beispielen von „Liebestorheit“ ebenso gegolten zu haben wie den realen Personen, die hier weltlichen Vergnügungen frönten. Auch ein zweites Fresko Romaninos im „Magno Palazzo“, das einen Narren mit einem Affen zeigt, ist symbolisch zu interpretieren.  

 

In Burgeis im Vinschgau hat es die Abbildung einer Narrenfigur sogar in den sakralen Raum geschafft. Wie ist das zu erklären?

Die Narrendarstellung auf der Holzdecke von St. Nikolaus bei Burgeis von 1523 besitzt ein unmittelbares Gegenstück auf der nur drei Jahre älteren, stilistisch eng verwandten Holzdecke der Heiligkreuzkapelle in Müstair. In Burgeis steht der Narr in einem Bottich und trinkt aus einem Wein(?)becher. Ein darüber angebrachter Spruch besagt: „Item (= Auch) ben (= wenn) naren lang leben so beren (= werden) si alt.“ In Müstair ragen nur der Kopf und die schellenbesetzten Arme (?) des Narren aus einem runden Behältnis – einem Ei?. Bezeichnenderweise sind die Narren in beiden Kirchen unmittelbar über der Eingangswand, also in größtmöglicher Entfernung vom Altarraum dargestellt. Dies gemahnt an die Vorstellung von der Gottesferne des Narren und von seiner Nähe zum Teufel, die auf dem 53. Psalm beruht („Die Toren sagen in ihrem Herzen: ,Es gibt keinen Gott.‘“). 

 

Bis heute lebt das Narrentum im Fasching fort, der ja oft als „närrische Zeit“ bezeichnet wird. Wie ist es zu erklären, dass der Narr gleichsam zur Symbolfigur des Faschings werden konnte?

In seiner ursprünglichen Bedeutung ist der Fasching – andernorts bezeichnet als Fastnacht oder Karneval – eng verbunden mit der darauffolgenden 40-tägigen christlichen Fasten- und Bußzeit als Vorbereitung auf das Osterfest. Bevor mit dem Aschermittwoch eine Zeit besonders intensiver Gottes- und Heilsorientierung anbrach, gab man sich für einige Tage einer Gegenwelt hin, die von irdischen Vergnügungen bestimmt war. Aufgrund der ihm eigenen Diesseitsorientierung und Gottesferne fand der Narr Einzug in diese Gegenwelt. Als temporärer Ausnahmezustand, der eine umso überzeugtere Umkehr zu Gott nach sich zog, wurde die „närrische Zeit“ übrigens auch von der Kirche geduldet. 


Gibt es eine Verbindung der Narrendarstellung zum Jolly Joker beim Kartenspiel? Es ist dies eine Karte, die im Grunde Alles und Nichts ist…

Ja, der Joker – englisch für „Spaßmacher‟ –, der in England lange Zeit auch als „Jester‟ – „Hofnarr‟ – bezeichnet wurde, wird im Kartenspiel für gewöhnlich als Hofnarr dargestellt. Als „wilde‟, beliebig einsetzbare Karte ist der Joker besonders für das Rommé-Spiel charakteristisch, das von ihm vielleicht auch seinen Namen hat – vgl. englisch „rum‟ = „ulkig, komisch‟. Was seine Herkunft betrifft, wird der Joker gelegentlich als letzter Überrest einer eigenständigen Trumpfreihe im Tarock-Spiel angesehen. Der noch heute als Narr dargestellte Sküs ist der höchste Kartenwert im Tarock-Spiel, der alle anderen Trümpfe übertrifft. Hier, so könnte man sagen, narrt der Narr, hier macht er sich einen Spaß oder „Joke‟…

Zum Bozner Waaghaus ist eine von der Stiftung Südtiroler Sparkasse herausgegebene Publikation in Vorbereitung, für die Hanns-Paul Ties einen Beitrag zu der Raumausmalung mit der Narrenfigur verfasst hat.