Books | Salto Afternoon

Toetje

Der Verleger Christoph Buchwald über niederländische Kulturpolitik zum Nachtisch, die Liebe zu Büchern und seine Südtiroler Wurzeln.
Niederlande
Foto: Salto.bz

Salto.bz: Europa schaut nach Holland, wo heute wichtige Wahlen anstehen. Welchen Stellenwert nimmt der Bereich Kultur im Wahlkampf ein? 
Christoph Buchwald: Hier gibt es eine sehr lebendige Buch-, Musik- und Kunstkultur. Bei den niederländischen Politikern hat sich allerdings noch nicht herumgesprochen, dass die Künste ein essentielles Lebensmittel sind, und zudem unser Gedächtnis von Zeit und Epoche. In Holland gilt Kultur im öffentlichen Diskurs eher als toetje, als Nachtisch, den der Calvinist eigentlich nicht braucht, wenn er seine Kartoffeln hat. Die Flamen dagegen sind viel kulturbewusster und – liebender.

Hat Ihre Passion Büchermachen etwas mit ihrem Nachnamen zu tun?
Aber natürlich! Mit so einem Namen MUSS man Verleger werden, man hat gar keine andere Wahl!

Sie haben Südtiroler Wurzeln. Wo führen diese hin?
Nach Eppan, St. Anna 24, dem Ausserer-Hof, den mein Grossvater bis 1964 bewirtschaftete. Der Geruch des Weinkellers, eine Mischung aus Wein, Staub und Mäusepippi, ist für mich DER Sommerferien-Geruch der Kinderzeit.

Welche Verbindung haben Sie heute zu Südtirol?
Viele sehr gastfreundliche Tanten, Vettern und Cousinen, und – sagen wir’s ehrlich – : manche Flecken in Südtirol sind dem Paradies auf Erden verdächtig ähnlich.  

Ich war 13 Jahre Lektor bei Hanser, wo ich unter anderem Joseph Zoderer veröffentlicht habe.        

Ihr Großvater, väterlicherseits, war Lektor von Rainer Maria Rilke und Hermann Hesse. Beruflich gingen Sie in seine Richtung. Ab wann war das für Sie klar?
Als ich begriff, dass seine Erzählungen von Autoren und Büchern stets Menschen-Geschichten sind, Geschichten, die mit unserem Dasein auf dieser Erde zu tun haben, mit unseren Fragen, Träumen, Zweifeln, Obsessionen und Abgründen. Ich kann es wissenschaftlich nicht beweisen, aber ich muss etwa 14 oder 15 gewesen sein, als ich dachte: so was wie der Großvater will ich auch werden. Mein letztes Buch, Gute Nacht, Freunde. Deutschland in 25 Büchern, ist ihm gewidmet.

Für welche großen und kleinen Verlage haben Sie bereits gearbeitet?
Ich war 13 Jahre Lektor bei Hanser, wo ich unter anderem Joseph Zoderer veröffentlicht habe, dann war ich Verlagsleiter bei Luchterhand, dann bei Suhrkamp. Seit 2002 leiten meine Frau Eva Cossee und ich den unabhängigen Verlag Cossee in Amsterdam. Es erscheinen 30 neue Titel pro Jahr, die Hälfte von niederländischen Autoren, die Hälfte von internationalen Autoren. Auch Südtirol hat thematisch mit Francesca Melandris beeindruckenden Roman Eva dorme/Eva schläft seinen Platz in unserem Programm gefunden.

Im Moment wird auch an einer neuen Melandri-Übersetzung gearbeitet?
Ja, Francescas neuer Roman Sangue giusto wird gerade übersetzt. Und kürzlich haben wir eines meiner Lieblingsbücher zum ersten Mal in niederländischer Übersetzung – veröffentlicht: Il garofano rosso von Elio Vittorini, in Italien seit langem ein Klassiker der Moderne. Unbedingt lesen!

Seit Jahren kümmern Sie sich um das Jahrbuch der Lyrik. In diesem Jahr entsteht es in Zusammenarbeit mit Ulrike Almut Sandig. Was ist zu erwarten?
190 bislang unveröffentlichte deutschsprachige Gedichte, die spürbar machen, was uns in diesem 21.Jahrhundert beschäftigt, bedrückt, freut, verunsichert oder beglückt. Die Mitherausgeberin dieses 31. Jahrbuchs der Lyrik hat viele junge Autoren ermutigt, doch unbedingt Gedichte einzuschicken. Aus den ca. 9000 eingesandten Gedichten, die wir ALLE gelesen haben, wurden dann ca. 190 ausgewählt. Leider hatte mein aus Tscherms stammender Freund Oswald Egger diesmal nichts neues für das Jahrbuch.

Viel Gewicht, dem Gedicht?
Schon die alten Griechen meinten, dass die Poesie die Königin aller Künste sei, und nach der Lektüre von 9000 Gedichte gestehe ich: da ist was dran. Auch wenn sich die Poesie seitdem mit der Musik um den Thron streitet. So, meinte Monteverdi, sei die Oper entstanden…

Weshalb haben Sie Deutschland den Rücken gekehrt? 
Für einen Verlag in Deutschland braucht man mehr Geld als in Holland, weil man viel mehr durch die Buchhandlungen reisende Verlagsvertreter braucht, und bezahlen muss; zudem war meine niederländische Frau der Konzernverlage müde und wollte einen unabhängigen, eigenen Verlag gründen. Das haben wir dann zusammen gemacht. Und Amsterdam ist mindestens so schön wie Bozen…