Cultura | Salto Afternoon

Der Drive der Frauen

In der Galerie Doris Ghetta in Pontives geben derzeit sieben Künstlerinnen in der Ausstellung „Run the World“ ihre Vision der Welt.
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Foto: Galleria Ghetta

Schon die engen Serpentinen hinauf nach Ponitves sind eine Herausforderung, das, was uns am Ziel erwartet ebenso – wenn auch eher an die Sinne. In der Handwerkerzone angekommen, wo das traditionelle Grödner Schnitzhandwerk betrieben wird, tut sich inmitten der Produktionshallen des heimischen Handwerks ein Raum der zeitgenössischen Kunst auf. Die Grödnerin Doris Ghetta hat sich hier einen Traum verwirklicht, der ebenso schlüssig ist wie anspruchsvoll. Sie geht auf internationale Messen und reist ständig, auf der Suche nach Kollaborationen mit ausländischen Galerien um ihre Künstler und die Welt ins enge Tal zu holen.

Monatelang hat sie bei der letzten Biennale Gardeinia pro-bono bis zur Erschöpfung gearbeitet. Ihre Leidenschaft zeitgenössische Kunst ins Land zu bringen macht vor nichts Halt. Sie hat es geschafft, Adam Budak als Kurator dafür zu gewinnen. Budak ist derzeit Kurator der National Gallery in Prag. In Südtirol war er schon 2008 als einer der Kuratoren der Manifesta 7. Dieses Jahr ist er Kommissar für den Beitrag Tschechiens auf der Biennale Venedig.


Diese Zusammenarbeit zwischen Adam Budak und Doris Ghetta geht weiter. Gemeinsam mit der hausinternen Kuratorin Sabine Gamper konzipierte er die aktuelle Ausstellung „Run the world (Girls)“: Künstlerinnen, die die Welt bespielen. Frauenkunst! Aber was hat „Girls“ mit starken Frauen zu tun? Das bleibt dann doch ein (Männer-)Geheimnis.


Dass die Werke von Künstlerinnen in der Kunstwelt immer noch nicht gleichberechtigt wahrgenommen werden, ist eine Tatsache, die auch von den Männern nicht bestritten wird. Dass dieses Jahr auf der Biennale Venedigs unter Ralph Rugoff zum ersten Mal gleichviele Arbeiten von Frauen wie von Männern gezeigt werden, ist ein Novum – und es ist bezeichnend, dass das betont wird. Budak und Gamper haben es bewerkstelligt, starke Positionen zu markieren. Ihre ausgewählten Künstlerinnen schaffen es, starke Emotion beim Betrachten hervorzurufen. Es ist eine bedingungslos weibliche Weltsicht, die da zu erleben ist.

Verschmelzung ja, aber das Mehr an Kraft und Antrieb liegt immer bei der Frau.

Die Installation der Südtirolerin Barbara Gamper, die in London lebt, evoziert eine mystische Frauenwelt, die unter einem Schleier verborgen ist und in der Bewegung zelebriert wird: riesige Stoffmasken, Kleider, Stoffassemblagen, zwei Dreiecke und ein Reifen aus Stahl. Alle Utensilien der Performance des Eröffnungsabends sind jetzt Kunstobjekte und symbolisieren eine Welt jenseits der Normalität, als die Performerinnen unter den Masken, Kleidern sich um den Kreis und die Triangel schlängeln und ihren Tanz aufführten.

Bei Ursula Mayer, die in Wien lebt und arbeitet, geht es um Mythen und Konventionen. In ihrem Film „Medea“, der an das gleichnamige Meisterwerk von Pier-Paolo Pasolini angelehnt ist, gibt es keine eindeutigen Geschlechter, Medea ist da weder Mann noch Frau, sondern ein Wesen, das beides gleichzeitig ist.


In erhabener, beinahe monochromer Bergwelt agiert da ein Wesen, ein Jüngling, schön und weich, in weiblich anmutender Eleganz. Ganz deutlich wird diese Geschlechtervermengung bei den Glasobjekten Ursula Mayers. Bizarre Vasen aus Murano-Glas versinnbildlichen die weibliche Vulva und sind mit einem opak geschliffenen, milchigen Glaspenis verschmolzen. Diese wundersamen Objekte betören allein schon durch ihre Materialität und Haptik.

Die Brasilianerin Sári Ember, sie lebt in Budapest, deutet in gewölbten Marmorplatten und Stofffahnen nur durch zwei Schlitze Gesichter mythologischer Gestalten an, wie steife Masken und Grabsteine und Totentücher an.

Die Doppelsinnigkeit und undefinierbare Geschlechtlichkeit  ist auch bei der Südtirolerin Barbara Tavella Thema. Ihre Frauengestalten, nie ganz Frau oder Mann, paart sie in feinen, pastösen Farben mit Tiergestalten. Alles Zwitterwesen, die an die Fabeln der Dolomiten erinnern und von Trauer und Weltverlorenheit sprechen. Auch hier stehen die Frauen jenseits jeder Konvention, kauern, hocken, manche wie zum Sprung bereit aus  dem undefinierten Farbraum.


Selbst Umweltfragen, wie beim Kollektiv Pakui Hadware, das in Vilnius lebt und arbeitet, werden mit weiblichen Symbolen verarbeitet. Pakui Hadware schaffen Skulpturen aus Kunstfellen, Glasobjekten, Leder, Silikon und Chia-Samen. Sie lehnen sich mit diesen sonderbaren, beängstigenden Gebilden auf gegen den ewigen Verjüngungskult der heutigen Frauen. Sie arbeiten gegen die Kosmetikindustrie, die tausende Krebse züchtet, um ihnen dann eine Flüssigkeit zu entziehen, woraus Verjüngungsprodukte hergestellt werden. Den kleinen Tieren, die unserem sinnlosen Wahn geopfert werden, setzen sie in der Nachbildung ihrer Köpfe in Silikon und Glas ein Denkmal.

Selbstbewusste Frauen scheuen sich nicht vor dem Alter, haben keine Angst vor Hässlichkeit und klaren Worten.

Die jüngste der Künstlerinnen, die Tschechin Valentyna Janu, nimmt die erotischen Fantasien der Männerwelt auf die Schippe. Sie baut ein Separé aus Schleiern in Rottönen für ihre Videoarbeit, in dem sie weibliche Verführungskünste ad absurdum führt, sie windet und dreht sich akrobatisch auf und um einen Stuhl und stößt dazu Parolen aus, die wie Gedankenfetzten anmuten, sie springt von einem Thema zum anderen, macht Überlegungen zum eigenen Sein und Erscheinen, zu Äusserlichkeiten, wie zu ihren schönen violettfarbenen Schuhen: „Don’t be silly. You can’t hurt me, she replied. The ultraviolet of her shoes was so beautiful! She felt original, and it encouraged her to think more about the future. You should have seen it! It’s so hard to describe“. Die Leichtigkeit des Spiels mit den konventionellen Posen lässt dabei einen scharfen kritischen Geist erkennen.

 


Bei der Albanerin Alketa Ramaj, die zwischen Tirana und Venedig lebt und arbeitet, geht es wieder um die Verschmelzung der Geschlechter. In einer Videoarbeit sieht man ein Liebespaar in schneeweißen Linnen liegen. Er ist passiv und sie liebkost ihn, küsst ihn. Bis dahin scheint alles eine ästhetische Bettszene wie wir sie schon oft gesehen haben. Aber dann saugt sie ihm den Adamsapfel weg, bis sie ihn verschluckt und er ihr im Halse stecken bleibt. Dann liegen sie, als ob nichts geschehen wäre, er immer noch passiv und sie sichtlich zufrieden mit dem neuen Attribut. Verschmelzung ja, aber das Mehr an Kraft und Antrieb liegt immer bei der Frau.

Diese Künstlerinnen lassen ihre Welt aufziehen, stellen die alte Welt auf den Kopf, treiben sie in ungewohnter Weise an. Sie beziehen die Vergangenheit mit ihren Mythen in ihre Erzählung ein. Ein neuer Drive drängt sie nach vorne und nichts ist mehr wie es einmal war, alles ist möglich und vor allem ist Weiblichkeit nicht nur weiblich, sie ist animalisch, universell, und – ja – sogar viril.