Politica | Pakistan

"Wichtig ist, ein Buch zu haben"

Leonhard Steger ist Pfarrer in Sarghoda, Pakistan. Die Katholiken leben mit Muslimen Tür an Tür – und da braucht es einen Brückenbauer. Eine hochaktuelle Mission.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Foto: Pater Steger

Pater Steger, wenige wissen, dass es in Pakistan überhaupt Katholiken gibt und Sie leben mitten unter ihnen?

Pater Leonhard Steger: Südlich der Hauptstadt Islamabad liegt die Millionenstadt Sarghoda, in der an die 42.000 Katholiken leben. Sarghoda hat die größte Pfarrei der Diözese. Das Christentum ist im Laufe der Jahrhunderte im Zuge der Kolonialisierungen und Völkerwanderungen hier entstanden. Ich lebe da seit 50 Jahren. 

Wie lebt es sich da inmitten eines islamischen Landes?

Die Christen gehören der untersten Kaste an. Sie leben meist in Vierteln gruppiert, aber haben natürlich auch muslimische Nachbarn. Wir versuchen, den Christen Bildungswege zu ebnen. Das klappt auch. Schwieriger aber ist es im Kastenwesen, die eigene Kaste zu verlassen. D.h. auch wenn ein Christ die Universität besucht hat, ist sein sozialer Aufstieg nicht gesichert.

Christen werden angefeindet?

Das nicht unbedingt. Sie werden toleriert, aber nicht unbedingt akzeptiert. Um mehr Akzeptanz zu erhalten, haben sie im Laufe der Zeit einige Strategien entwickelt …

…was wäre ein Beispiel?

Die Christen leben als eucharistische Gemeinschaft, treffen sich in den Kirchen, aber sie sind nicht so stark katechisiert. Wichtig ist es für sie, die Bibel zu haben, das Buch. Denn das können auch Muslime nachvollziehen: Für sie steht der Koran im Mittelpunkt ihres religiösen Lebens, sie glauben, was geschrieben steht. Daher akzeptieren sie, dass die Christen auch ein Buch haben.

Wie sieht es in den Schulen aus?

Wir haben 16 katholische Schulen in der Pfarrei. Christliche Kinder sitzen da gemeinsam mit den muslimischen in den Klassen. Nur den Religionsunterricht besuchen sie getrennt. In fast jeder Klasse hängt ein Bild der Gottesmutter Maria – und sie wird von den Muslimen auch geschätzt.

Was hängen Muslime in den Klassenzimmern auf?

Nichts. Der Islam hat keine Bilder, der Koran steht im Mittelpunkt der islamischen Religion. Muslime beten fünf Mal am Tag, während sich die Christen in der Kirche treffen. Für die Muslime ist es nachvollziehbar, dass Christen Bilder haben. Das stört nicht. 

Wurden Sie von Anfang an akzeptiert?

Ja. Schwieriger war es lange Zeit, die christlichen Kinder überhaupt in die Schule zu bringen. Ich musste die Eltern regelrecht betteln, dass sie ihre Kinder bilden lassen. In ihrer Kaste war das nicht üblich. Heute hat sich das durchgesetzt. Wir sorgen dafür, dass auch Mädchen eine berufliche Ausbildung bekommen. Zum Beispiel führen wir zwölf Nähschulen, die von 200 Mädchen, christlichen und muslimischen, besucht werden. Sie können dann von Zuhause aus etwas dazuverdienen. Einige haben sogar zusammen eine Hausfabrik aufgebaut. Für christliche Frauen gibt es im öffentlichen Bereich sonst nur zwei Möglichkeiten zu arbeiten: in der Schule oder im Krankenhaus.

Was arbeiten die Männer gemeinhin?

Viele sind Straßenkehrer, manche sind Tischler oder Maurer. Immer öfter besuchen Buben eine technische Schule, sodass sie dann einen Beruf erlernen. Die Menschen hier haben nicht unbedingt Hunger, aber sie sind arm. Wenn sie eine Investition tätigen, nehmen sie häufig unbekümmert einen Kredit auf – und dann müssen sie Wucherzinsen von 25 Prozent zahlen. Damit kommen sie kaum vom Abzahlen weg.

Sie arbeiten auch gegen die Armut...

... das ist unbedingt nötig. Da in den vorwiegend christlich bewohnten Vierteln schlechte hygienische Zustände herrschen, haben wir angefangen, Kanalisierungen zu bauen. Die Entwicklungszusammenarbeit des Landes Südtirol unterstützt mich dabei. Schön ist, dass die Nachbarn alle zusammenhalten – da spielt die Religion keine Rolle mehr. Christen und Muslime übernehmen die Grabungsarbeiten und so haben wir nach und nach drei Viertel an die Hauptkanalisierung angeschlossen. Das hat so gut geklappt, dass das in anderen Vierteln nachgemacht wird. Wenn einmal die Hygiene stimmt, dann verbessert sich die Lebensqualität der Familien enorm. Weniger Krankheiten, mehr Kraft und es stinkt nicht mehr in den Gassen.

Wie sprechen Sie mit den Leuten?

Alle lernen mittlerweile auch Englisch. Aber ich habe ihre Muttersprache gelernt, Urdu. Man hört zwar, dass ich einen ausländischen Akzent habe, aber das klappt gut.

Sie haben bald ihren Urlaub in Südtirol vorbei?

Ja, ich breche bald auf. Wie lange ich das noch mache, weiß ich nicht: Nach 50 Jahren sollte man schon mal übers Aufhören nachdenken.