Politica | Wahlkampf

“Doppelpass hat nicht oberste Priorität”

Heinz-Christian Strache im Interview: keine Eile beim Doppelpass, Antipathie für Arno Kompatscher, eine “aufrichtige Freundschaft” mit Matteo Salvini.
Heinz-Christian Strache
Foto: Salto.bz

Anfangs wirkt Heinz-Christian Strache zerstreut, spricht von der “Schweizer Volkspartei”, wünscht den Südtiroler Freiheitlichen alles Gute für die Wahl “in zwei Wochen”. Doch er fängt sich rasch, schließlich ist er als “österreichischer Vizekanzler und FPÖ-Bundesparteiobmann” für die Pressekonferenz angekündigt – und soll als solcher die strauchelnden Blauen im Wahlkampf unterstützen.

Es ist der Tag nach Matteo Salvinis Tour durch Südtirol.
Es ist der Tag, an dem der Verwaltungsgerichtshof in Wien die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft für einen türkischen Doppelstaatsbürger bestätigt.
Es ist der Tag nach den Wahlen in Bayern. CSU und SPD stehen als große Wahlverlierer fest.

Eine solche “Watschn” würde sich die SVP am 21. Oktober auch verdienen, meint Strache am Montag Nachmittag am Buschenschank Steidlhof über Bozen

“Zwölf Mandate und mehr” traut er dem “patriotischen Lager” zu. Wen er mit dem “patriotischen Lager” meint, wird Strache gefragt. “Alle nicht linken Parteien, die SVP inklusive.” Mit Altlandeshauptmann Luis Durnwalder trinke er gern mal das ein oder andere Glas Wein oder Bier. Aber von Arno Kompatscher hält er wenig. Als “Willkommenskulturpolitikunterstützer der Frau Merkel” bezeichnet Strache den Landeshauptmann, bei dem in Sachen Doppelpass bisher “Schweigen im Walde” herrsche.

Bevor die Wahlkampffeier in kleinem Kreis beginnt – später am Abend wird der Vizekanzler und FPÖ-Chef noch zur “Blauen Nacht” in der Bozner Altstadt erwartet –, nimmt sich Heinz-Christian Strache zehn Minuten Zeit, um die Fragen von salto.bz zu beantworten.

salto.bz: Herr Strache, Sie sind nicht nur als Bundesparteiobmann der FPÖ als Wahlkampfhelfer der Freiheitlichen in Südtirol, sondern auch als österreichischer Vizekanzler. Sie mischen sich als ausländischer Regierungsvertreter in die italienische Politik ein?

Heinz-Christian Strache: Aber gar nicht! Wir haben doch eine Schutzmachtfunktion. Das ist historisch jedem geläufig. Unsere Schwestern und Brüder im Süden von Tirol haben immer schon Besuch von österreichischen Politikern bekommen. Das war ja erst unlängst auch bei Bundeskanzler Kurz oder beim ehemaligen Bundeskanzler Kern, der jetzt (als SPÖ-Parteichef, Anm.d.Red.) zurückgetreten ist, der Fall. Das ist also eine lang gelebte Tradition.

In Bayern hat, zu Ihrer Freude, neben der SPD auch die CSU bei den Landtagswahlen am Sonntag deutlich an Stimmen eingebüßt. Die Grünen haben zugelegt, die AfD ist erstmals in den Landtag eingezogen – und das gleich mit einem zweistelligen Resultat. Sind christlich-soziale Werte, die die CSU im Namen trägt nicht mehr zeitgemäß?

Nein, im Gegenteil. CDU, CSU und SPD stehen für eine völlig abgehobene, bürgerferne Politik, die sich nicht mehr wirklich um die Sorgen, Nöten und Anliegen der Menschen kümmert oder Fehlentwicklungen schlichtweg ignoriert hat, wie eine unverantwortliche Willkommenskultur einer Frau Merkel. Dass diese Parteien von Wahl zu Wahl in Deutschland eine Wahlwatschn erleiden ist eine Folge der gewünschten Veränderung, die sichtbar wird. Wie die Analyse zeigt, sind die SPD-Stimmen in Bayern 1:1 zu den Grünen gewandert. Von der CSU und aus dem Nichtwählerbereich sind offenbar viele Stimmen zur AfD geflossen. Im Freiheitlichen Segment gibt es eine Aufsplitterung zwischen den Freien Wählern, die über 11 Prozent erreicht haben, der AfD mit 10,3 Prozent und der FDP mit über 5 Prozent. Wenn man die freiheitlichen Kräfte in ihrer Breite zusammenrechnet, ergibt sich für Bayern insgesamt ein ähnliches Potential wie bei der österreichischen Freiheitlichen Partei mit 27 Prozent.

Das Thema hat jetzt nicht oberste Priorität. Wir werden uns im nächsten Jahr in aller Ruhe einmal mit der italienischen Regierung zusammensetzen.
(Strache über den Doppelpass)

Wünschen Sie sich, dass Südtirol am kommenden Sonntag sein blaues Wunder erlebt?

Es ist immer gut, wenn es eine Stärkung der freiheitlichen Kräfte in Südtirol gibt. Denn was haben wir in Österreich erlebt? Dank uns wird heute in der Regierung nicht mehr gestritten, es gibt kein Chaos mehr. Und wir sind der Garant, der Kante gegenüber einer Volkspartei zeigt, die in vielen Fragen vielleicht manchmal Kante oder eine Stärkung des Rückgrats braucht. Das leben wir erfolgreich. Gerade in Südtirol wäre es wichtig, dass die Südtiroler Volkspartei durch die Stärkung der Freiheitlichen auch einmal den Druck bekommt, da oder dort mehr Rückgrat in der Politik zu leben.

Trauen Sie der Freiheitlichen Truppe, die bei den Landtagswahlen am 21. Oktober antritt, zu, der SVP ein blaues Auge verpassen zu können?

Das sind immer so Begrifflichkeiten, die die Medien verwenden, “blaues Wunder” und “blaues Auge”…

Angesichts der Parteifarbe bieten sich diese Wortspiele an.

Ich meine, ich habe schon zwei blaue Augen.

Dann stelle ich die Frage konkreter: Trauen Sie es dieser Frau- und Mannschaft um Parteiobmann und Spitzenkandidat Andreas Leiter Reber zu, ein starkes Ergebnis einzufahren?

Selbstverständlich traue ich das dieser Truppe zu! Das Schöne ist, dass ein gutes Team da ist, das eine große Breite und Abdeckung sicherstellt. Der Andi, der Andreas kommt aus dem bäuerlichen Bereich und ist ein bodenständiger Obmann, der die Partei seit einem Jahr wieder in eine Struktur, in einen Zusammenhalt, in eine Breite gebracht hat, die man auch bei den Kandidaten sieht. Die kommen aus unterschiedlichen sozialen und beruflichen Bereichen, aus der Stadt und vom Land, aus unterschiedlichen Segmenten des Bürgertums und auch aus der landwirtschaftlich-bäuerlichen Vertretung. Dazu kommt das alles Entscheidende: Es sind Leute mit Charakter, mit Herz vorhanden, die zu ihrem Wort stehen und die eine Meinung haben.

Es wäre wichtig, dass die Südtiroler Volkspartei durch die Stärkung der Freiheitlichen auch einmal den Druck bekommt, da oder dort mehr Rückgrat in der Politik zu leben.

Am Sonntag war Ihr Freund und politischer Verbündete Matteo Salvini beim Kastelruther Spatzenfest – einer Veranstaltung, auf der man eher Sie vermutet hätte. Hat Ihnen Salvini die Wahlkampf-Show gestohlen?

Wir spielen hier ja nicht Showelemente ab. Sondern ich bin heute (gestern, Anm.d.Red.) zu Gast, wie seit Monaten ausgemacht, und freue mich, dass ich meinen Besuch und meine Veranstaltungen absolvieren kann.

Was verbindet Sie mit Matteo Salvini?

Eine aufrichtige Freundschaft und vor allen Dingen das gemeinsame Interesse, die dramatischen Fehlentwicklungen, die Europa erlebt hat, zu korrigieren. Da sind wir beide mit vollstem Herzen dahinter. Und wir erleben, dass ein Umdenken quer durch Europa stattfindet. Ob das nun in Italien oder in Österreich der Fall und spürbar ist, oder durch Wahlergebnisse in anderen Ländern – es passiert ein Umdenken. Und ich glaube, dass diese Entwicklung bei der kommenden Europawahl ihre Fortsetzung finden wird und die freiheitlichen, patriotischen Kräfte in Europa vielleicht sogar zur drittstärksten Kraft werden können.

Salvini hat am Wochenende gesagt, dass die italienische Regierung mit dem Doppelpass “nicht einverstanden” sei. Gehen Sie davon aus, dass es bei der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler eine Einigung mit der italienischen Regierung in naher Zukunft geben wird?

Das Thema hat jetzt nicht oberste Priorität. Sondern es ist ein Wunsch, ein Herzenswunsch für viele. Es soll in Zukunft auch niemand gezwungen werden, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Wir werden uns in aller Ruhe im nächsten Jahr einmal mit der italienischen Regierung zusammensetzen, die rechtlichen Möglichkeiten besprechen und ein Einvernehmen suchen. Wenn man sachlich und ohne Emotion darüber redet, steht, so glaube ich, das verbindende Element im Vordergrund. Das kann auch im Sinne einer positiven historischen Gesamtbetrachtung einen guten gemeinsamen Schlussstrich sicherstellen.

In vielen Fragen hat man den Eindruck, er weicht den Antworten, die notwendig sind, aus.
(Strache über Arno Kompatscher)

Einerseits wollen Sie und die FPÖ Südtirolern den Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft ermöglichen. Andererseits setzen Sie und Ihre Partei sich dafür ein, dass türkisch-österreichischen Doppelstaatsbürgern die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wird. Spielen Sie in Sachen Doppelpass ein Doppelspiel?

Diese Frage stellt sich niemand. Denn das ist in der österreichischen Verfassung klar geregelt. Die Südtiroler sind aus der Historie heraus Altösterreicher…

Südtiroler wären also keine “Scheinstaatsbürger”, wie Sie türkisch-österreichische Doppelstaatsbürger bezeichnen?

Wie Sie wissen, waren die Südtiroler aus der Geschichte heraus ein Teil Österreichs und sind dann aus Österreich, aus der Geschichte herausgerissen worden. Nach vielen Wirren der Geschichte haben wir heute zum Glück eine gute Autonomie.
Wir als Schutzmacht wollen unseren Schwestern und Brüdern sehr wohl zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben. Zweitens tragen viele diese Identität natürlich auch in sich. Gerade dieses historische Element kann in einem zusammengewachsenen Europa zum Tragen kommen. Wir haben in Österreich ja auch vor, die Staatsbürgerschaft jenen jüdischen Familien möglich zu machen, die Opfer des Holocaust geworden sind und unser Land verlassen mussten. Diese Ausnahme ist verfassungskonform vorgesehen. Italien geht ja einen anderen Weg, Italien vergibt grundsätzlich Doppelstaatsbürgerschaften, wir eben nur spezifisch definierten Gruppen. Und da entscheidet Österreich genauso selbst über die Vergabe der Staatsbürgerschaft wie Italien das tut.

Weil die Zeit fast um ist, eine letzte Frage: Warum würden Sie am Sonntag nicht Arno Kompatscher wählen?

Naja, weil er einfach nicht die politische Gravitation und Persönlichkeit hat, dass ich ihm zutraue, gewisse Zukunftsfragen wirklich anzupacken und zu lösen. In vielen Fragen hat man den Eindruck, er weicht den Antworten, die notwendig sind, aus.

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Sepp.Bacher Mar, 10/16/2018 - 06:46

"Wie Sie wissen, waren die Südtiroler aus der Geschichte heraus ein Teil Österreichs und sind dann aus Österreich, aus der Geschichte herausgerissen worden." Also, nach diesem Verständnis müssten alle Alt-Tiroler, also auch die Welsch-Tiroler und jene Ladiner, welche heute im Bellunesischen leben, Anspruch auf den Österreichischen Pass haben. Aber soweit denken Strache, Leiter-Reber, Knoll & Co. nicht!

Mar, 10/16/2018 - 06:46 Collegamento permanente
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Christian Mair Mar, 10/16/2018 - 13:34

In risposta a di Sepp.Bacher

Und die "Süd - Deutschen" müssten eigentlich den Pass des römischen Reiches bekommen....

Spass beiseite:
In der Gesellschaft und auf dem Passpapier muss man über Konzepte nachdenken, die sich nicht auf Abstammung beziehen, sondern wie in Zukunft Lösungen aussehen können und wer Sie umsetzt. Die Autonomie scheint hier nicht nur für eine Provinz in Italien ein Konzept, sondern als regionale Struktur in einer Republik auf ganz Europa übertragbar.
Dieses Geschichtsverständnis haben leider die Rechten und ein Teil der Konservativen nicht verstanden.
Die Ursachen der PRobelem der Globalisiserung werden durch die neoliberale Rechte nur weitergetrieben.

Mar, 10/16/2018 - 13:34 Collegamento permanente