Società | Engagement

Kritisch bleiben

Der Lananer Ivo Passler gehört zu jenen Südtirolern, die sich sozial engagieren, die finden, jeder und jede kann im eigenen Gärtchen und darüber hinaus was bewegen.

Vielleicht bräuchte es sie gerade jetzt wieder, die Handpuppe Resi, mit der Ivo Passler vor einem halben Jahr durch die Lande gezogen ist und sich auf die Suche begab nach Demokratie und Menschlichkeit, bei jungen Leuten von Sterzing bis Stilfs und von Tramin bis Bruneck. Was würde die geschnitzte Holzpuppe wohl in diesen Tagen der Attentate von Paris und Beirut zu hören bekommen, über Ängste und Befürchtungen, über Terroristen und Flüchtlinge  und darüber, wie auf das Ganze zu reagieren sei, wie der einzelne mit Schrecken, Bedrohung und vor allem Ohnmächtigkeit umgehen kann.

Der dritte Weltkrieg auf Raten

Das Gespräch mit Ivo Passler hat vor den Ereignissen in Paris stattgefunden, allein, die Gültigkeit der Gesprächsthemen stand vorher und steht nun noch einmal tragischer fest. „Krieg und Frieden sind für mich das große Thema heute,“ sagt Ivo Passler beispielsweise. Auch der Papst bezeichnet unsere Zeit als dritten Weltkrieg auf Raten. „Nicht nur aus diesem Grund kann ich mich als mündiger Bürger einfach nicht zurückziehen in meine Privatsphäre, ich glaube, wir alle, zumindest gilt das für mich, müssen die Zeichen der Zeit lesen und ernst nehmen.“ Lesen nicht nur im übertragenen Sinn, lesen, ganz konkret übersetzt mit sich informieren aus vielfältigsten Medien, in Erfahrung bringen, was in der Welt los ist und mitdenken.  "Aus dem Internet hole ich mir meine Information, nicht nur aus den großen Medien, sondern vor allem aus den quer und kritisch schreibenden Medien, gerne auch jenen, wo ich Quellen direkt überprüfen kann.“ Passler will keine vorgefertigten Meinungen übernehmen, er will mitdenken, kritisch bleiben.

Manchmal ist das anstrengend und erfordert vor allem konstantes Dranbleiben, aber, was wäre die Alternative? „Verantwortung abgeben ist keine Alternative“, sagt Ivo Passler. Deswegen engagiert er sich wo er kann, bzw. dort, wo sich für ihn neben seiner Arbeit als Sozialpädagoge und als Familienvater von zwei Töchtern Ressourcen und Zeit auftun. Ob beim Projekt Resistanz für den Verein für direkte Demokratie oder bei der facebook-Initiative „Solidarität mit Flüchtlingen“ - Interesse und Teilhabe sind dem 35-Jährigen wichtig. „Wenn ich das nicht wahrnehme, also die Möglichkeit mich einzubringen, dann darf ich aber nicht jammern, wenn andere für mich entscheiden, ich muss mich ermächtigen und kann die Verantwortung nicht einfach an die Politiker abgeben.“  

Die Politik und die Verantwortung

Dass sich Leute verstärkt in gesellschaftlichen und politischen Belangen engagieren, verwundert Passler nicht. Demokratie sei zu einem ausgehöhlten Begriff geworden und das spürten viele. "Wenn man etwa sieht, wie in Gemeinden die Gemeinderäte gegenüber Ausschüssen und Bügermeisterentscheidungen im Hintertreffen seien, wenn auf EU-Ebene die Nicht-Gewählten mächtiger sind als die vom Volk Legitimierten, dann ist das gefährlich auf eine Art, die von der Masse der Bürger nicht wahrgenommen wird", meint Passler. Er sei dafür, Verantwortung von Politikern konkret festzuschreiben, vor allem die Lösungsorientiertheit festzuschreiben. „Leider passiert das kaum, Probleme und Argumente werden um ihrer selbst willen gewälzt und da- und dorthin theoretisiert. Ich würde Politiker daran messen, was sie konkret bewegen und wie sie in ihrer politischen Arbeit nach Lösungen suchen und finden.“

Ich mag jene nicht, die pauschal kritisieren und sagen, weg mit dieser Schule oder weg mit dieser Politik.

Er selbst müsse das in seinem Job auch machen. Ivo Passler arbeitet als Sozialpädagoge im Meraner Schulsprengel Obermais. „Wenn ich in der Sozialarbeit nicht lösungsfokussiert bleiben würde, könnte ich gleich aufgeben. Ressourcen gibt es immer, man muss sie nur finden.“ Kreative Konfliktlösung ist für ihn nicht nur Schlagwort-Hülse, sondern angewandte Kernkompetenz. „Ich bin im Schulsprengel in einer Schlüsselposition zwischen Schülern, Eltern, Lehrern und der Direktion und arbeite beratend mit den Einzelnen, aber auch flächendeckend und präventiv.“ Dabei gehe es weniger um die sogenannten schwierigen Schüler, man müsse wegkommen von solchen Bezeichnungen. „Schwierig ist das ganze Setting Schule, aber das immer nur zu problematisieren, hilft auch nicht.“ Auch hier gelte: Genau hinschauen und herausfinden, was machbar ist und was eventuell an andere Einrichtungen weiterzugeben sei. „Ich mag jene nicht, die pauschal kritisieren und sagen, weg mit dieser Schule oder weg mit dieser Politik.“ Tabula-Rasa-Aktionen hinterließen Macht-Leerstellen meint Passler, das sehe man am Arabischen Frühling und seinen Folgen.

Ivo Passler ist überzeugt vom Nutzen des Auf- und Einstehens für so schwer und leer gewordene Begriffe wie Demokratie, wie Menschlichkeit, wie Konfliktlösung; diese Begriffe könnte man weiterbringen, und Südtirol biete Möglichkeiten dafür.