Cultura | Salto Weekend

Erinnerungen zärtlicher Natur

Spurensuche in Klausen: Der vielseitige Künstler Rocko Schamoni hat sich in den 1980er Jahren kurz in Klausen aufgehalten. Salto hat ihn daran erinnert und nachgefragt.
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Foto: Dorle Bahlburg

salto.bz: Ihr Buch "Dorfpunks" ist vor 15 Jahren erschienen, wurde vor 10 Jahren verfilmt und wird immer noch gern gelesen. Sie beschreiben darin auch Erlebnisse in der Stadt Klausen/Chiusa. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Durchreiseort?

Rocko Schamoni: Meine Erinnerungen sind zärtlicher Natur. Ich und mein Reisefreund waren als Tramps in Klausen gelandet und hatten dort eine Gruppe von Klausner Mädchen kennen gelernt, ähnlich alt wie wir – also etwa 19 Jahre. Diese Mädchen versorgten uns liebevoll ein paar Tage lang, die eine nahm uns mit zu ihrer Mutter zum Essen und abends saßen wir gemeinsam in der ganzen Gruppe unter der Autobahnbrücke und tranken Bier.


Am aufregendsten fand ich ein dunkelhaariges Mädchen, dessen Namen ich vergessen habe, die die ganze Zeit über Wortspiele machte. Als wir uns über irgendetwas Sexuelles unterhielten fiel von unserer Seite aus der Begriff „Saukram“! Darauf antwortete sie mit „Markus“! Wir beide waren ratlos, was könnte sie meinen?

Von dem Moment an war ich in sie verliebt. 

Schließlich erklärte sie uns das Markus rückwärts „Sukram“ hieße, also das örtliche Dialektwort für „Saukram“. Von dem Moment an war ich in sie verliebt. Sie wollte bei uns im Zelt übernachten, ging dann aber doch nach Hause. Am nächsten Tag fuhren wir weiter. Wir haben uns nie wieder gesehen.

 

„Manche Leute behält man ein Leben lang im Kopf, auch wenn man sie nur ein paar Stunden gesehen hat“ heißt es in Ihrem Buch. Haben Sie jemals versucht das Mädchen aus Klausen wiederzusehen?

Nein, ich wusste nicht wie, ich hatte keine Adresse, keine Telefonnummer und das Internet gab’s noch lange nicht. Aber im Kopf behalten habe ich sie.

Wie wäre es mit einer möglichen Spurensuche in Klausen?

Wie sollte ich sie finden? Sie wird sich vermutlich selber nicht mehr an mich und unser Zusammentreffen erinnern. Vielleicht ist sie weggezogen. Vielleicht lebt sie auch nicht mehr. Wer weiß...

Das Leben der „Ausgestoßenen“ fühlt sich überall gleich an.

Sie sind in Lütjenburg aufgewachsen, unweit des zweisprachigen Grenzgebietes im Norden Deutschlands. Haben Sie diese Situation der Mehrsprachigkeit damals in Südtirol auch miterleben können?

Wir reden in Nordeutschland zwar Dialekt, also in unserem Fall „Platt“, aber Dänisch spielt keine Rolle, das spricht man nur bis kurz hinter der Grenze und Lütjenburg liegt davon zu weit entfernt.

Welche kulturellen Gemeinsamkeiten zu Schleswig-Holstein konnten Sie in Südtirol – ebenfalls Grenzregion – feststellen?

Dazu war ich zu kurz dort und ist es zu lange her, als dass ich das objektiv vergleichen könnte. Bis auf eines: das Leben der „Ausgestoßenen“ fühlt sich überall gleich an.

Wie farbenfroh blicken Sie in Ihre Vergangenheit als Dorfpunk. Was ist geblieben?

Ich denke selten daran, nur manchmal wenn ich darauf gestoßen werde kommen die Bilder wieder hoch – z.B. bei journalistischen Fragen aus Südtirol. Aber der anarchistische Geist wird immer in mir wohnen.

 

Sie wurden unter anderem mit dem Projekt "Studio Braun" bekannt. Als Deutscher leben Sie ein doch eher entspanntes Verhältnis zu dieser Farbe?

Nein, die Farbe war eine bewusste Provokation. Zum einen natürlich in Anlehnung an das dritte Reich, aber auch Kot könnte man damit assoziieren. Der Rasiererhersteller Braun gibt dem ganzen wieder eine versöhnlich positive Note.

Ihr jüngster Roman nennt sich Große Freiheit und spielt auf der Hamburger Reeperbahn. Sie beschreiben eine Figur die alle Freiheiten erlebt hat. Beneidenswert?

Schon. Wolli Köhler – mein Protagonist, den es wirklich gegeben hat – hat sich wirklich nichts verboten, er hat jede Grenze überschritten und ich beneide ihn um seinen Mut.

 

Noch eine kulinarische Frage: Sie essen am liebsten Nudeln? Ist diese Leidenschaft auf Ihren Italienurlaub zurückzuführen, der Sie mitunter auch nach Klausen/Chiusa gebracht hat?

Wo habe ich das denn behauptet? Ich bin ausgesprochener Wildesser und obwohl ich ansonsten kein Fleisch esse kann ich im Herbst eine kurze Zeit lang nicht widerstehen. Aber es stimmt schon: die italienische Küche ist mir die liebste auf der Welt. Vielleicht weil sie aus dem schönsten Land der Welt kommt…

Rocko Schamoni – Der Weg hinab: Auf dem Weg hinab triffst du alle noch einmal / Sie gehen den selben Weg vom Berg hinab ins Tal... (Aus dem Album "Musik für Jugendliche", 2019)