Politica | Italien

Surrealer Wahlkampf

Obwohl weder Listen noch Kandidaten feststehen, fliegen im Wahlkampf bereits die Fetzen.
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Foto: upi

Civica popolare.. Insieme...Direzione Italia... Noi con l'Italia: im Verwirrspiel der italienischen Politik vergeht kaum ein Tag, an dem keine neue Partei entsteht. Neu, aber mit alten Gesichtern, wie es italienischer Tradition entspricht. Es ist ein surrealer Wahlkampf, der allabendlich über die Fernsehkanäle der Halbinsel flimmert. Dick geschminkt stellt Silvio Berlusconi, der in seinen Sendern Heimrecht geniesst, täglich in staatsmännischer Attitüde sein Programm vor. Berlusconi presidente steht im Listenzeichen. Dass er zu den Wahlen gar nicht antritt und nie ein Regierungsamt bekleiden wird, wirkt offenbar kaum störend. Eine unwichtige Nebensache. 
Der 81-jährige tritt mit zwei ungeliebten, ultrarechten Partnern in einem konfliktanfälligen Bündnis an. Jeder weiss, dass die Allianz mit Matteo Salvini und Giorgia Meloni kaum lange halten kann - wegen inhaltlicher Divergenzen  und persönlicher Unverträglichkeit. Damit die Koalition nicht bereits vor der Wahl platzt, hat sich der Ex-Cavaliere bereits der Forderung Salvinis nach Abschaffung der Pensionsreform Fornero gebeugt.  Ein Zugeständnis, das den Staatshaushalt nach Prognosen von INPS-Präsident Boeri bis zum Jahr 2020 mit rund 140 Milliarden Euro belasten wird. 

Berlusconi presidente steht im Listenzeichen. Dass er zu den Wahlen gar nicht antritt und nie ein Regierungsamt bekleiden wird, wirkt offenbar kaum störend. Nebensache. 

Fast täglich fordert ein Chor von Kandidaten aller Couleurs die Abschaffung von Steuern und lästigen Normen - von der Impfpflicht über die Rundfunk- und Universitätsgebühren bis zur Kfz-Steuer und den studi di settore. 
"Abolisci qualcosa anche tu", wird im Internet bereits gewitzelt. Vergeblich appellierte der Staatspräsident an die Parteien, "proposte adeguate, realistiche e concrete" vorzulegen. Auch Italiens Bischofskonferenz erregte sich über die "slogan elettoriali deprimenti"  und forderte: "Basta promettere miracoli." 
Das hindert den M5S-Spitzenkandidaten Luigi Di Maio freilich nicht daran, umgehend die Abschaffung von 400 Gesetzen anzukündigen. Seine Bewegung, auf die sich Rechtsbündnis und PD einschiessen, hat durchaus Chancen, am 4.  März mit rund 35 Prozent zur stärksten Einzelpartei aufzusteigen. Besonders im Süden scheint die Zustimmung zu wachsen - mit Spitzenwerten von  34 Prozent in Sizilien und Sardinien. Der Partito Democratico liegt mit 23 Prozent deutlich im Hintertreffen gegenüber Berlusconis Allianz mit 35 Prozent. Pietro Grasso führt seine neue Linkspartei Liberi e uguali mit starker Hand und überlässt nichts dem Zufall. Eine Zusammenarbeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung will er im Gegensatz zu Laura Boldrini keineswegs ausschliessen. Die Uralt-Genossen Massimo D'Alema und Pier Luigi Bersani hat er im Wahlkampf zu einem "passo di lato" aufgefordert.

Wie auch immer: trotz täglicher Geschäftigkeit sind alle von einer absoluten Mehrheit meilenweit entfernt. Für glaubhafte Prognosen ist es zu früh.  Denn die Frist zur Einreichung der Listenzeichen läuft erst am 21. Jänner ab.  Bis 29. müssen sich die (teilweise improvisierten) Koalitionen bei der Nominierung der Kandidaten für die Ein-Mann-Wahlkreise zusammenraufen - ein Lotteriespiel, das Hochrechnungen zum Hasardspiel entarten lässt. Obwohl Fakten rar sind, widmen die Medien dem Wahlkampf breiten Raum.  Entgleisungen wie jene des lombardischen Spitzenkandidaten Attilio Fontana, der um den Fortbestand der weissen Rasse bangt, sorgen für dürftige Schlagzeilen.
Vielen Parteien wird wohl erst am Wahlabend dämmern, was sie mit ihrem irrationalen Votum für das neue Wahlrecht angerichtet haben. Dann, am Abend des 4. März beginnt endlich das, was Italiens Parteien durchaus schätzen: das endlose Feilschen um Macht und Pfründe. Und nach Wochen oder Monaten wird man schliesslich zurückkehren zu dem in der Verfassung festgeschriebenen Prinzip,  dass der Regierungschef in Italien nicht vom Volk gewählt wird, sondern vom Parlament.